rss search

Wo verläuft die Grenze zwischen ‚ziviler’ und ‚militärischer’ Forschung?

line

arrow-back-1zurück

line

III10 Sabine Jaberg

Foto: © 2013 by Schattenblick – www.schattenblick.de

Sabine Jaberg

Wo verläuft die Grenze zwischen ‚ziviler’ und ‚militärischer’ Forschung?

Vorbemerkungen

Eine Frage ruft die Erwartung einer Antwort hervor. Diese kann ich nicht geben. Vielmehr werde ich die Schwierigkeiten verdeutlichen, die mit dem Versuch einer eindeutigen Grenzziehung zwischen militärischer und ziviler Forschung verbunden sind.

Strenggenommen erstreckt sich der Einzugs- bzw. Auswirkungsbereich der Zivilklausel nicht nur auf die Forschung, sondern auch auf die Lehre. Im letzten Fall geht es sowohl um Inhalte als auch um die jeweiligen Dozentinnen und Dozenten sowie die Studierenden als potentielle Träger von Positionen, die der Zivilklausel entsprechen oder nicht entsprechen. Wenn im folgenden also von Forschung die Rede ist, so ist die Lehre (bzw. andere Vortragstätigkeit) stets mitgedacht.

Ausgangspunkt meiner Ausführungen sind keine wissenschaftstheoretischen Abstraktionen, sondern meine konkrete Begegnung mit der Zivilklausel.

Daher beginne in mit einer biographischen Kurznotiz, der die Schilderung eines bestimmten Ereignisses folgt, um danach meine Reflexionen zum Thema anzuschließen.

1. Biographische Kurznotiz

Nach dem Studium arbeitete ich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Friedensforschungsinstitut: genauer: am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität in Hamburg (IFSH).

2002 bis 2004 war ich Stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK), dem Dachverband der Friedensforscher und Friedensforscherinnen.

2005 habe ich meine Habilitationsschrift zum State of the Art der Friedensforschung in Deutschland eingereicht, bevor das Verfahren 2009 zum Abschluß kam.

Zu meinen Publikationen gehören einige Veröffentlichungen zur disziplinären Konturierung der Friedensforschung sowie zu ihrer Normproblematik. Bei der Zeitschrift Sicherheit und Frieden bereite ich ein Heft zum Themenschwerpunkt Pazifismus – gewaltfreie Aktion – Militärkritik vor.

Beinahe hätte ich es vergessen: Seit 1999 arbeite ich als Dozentin für Internationale Beziehungen an der Führungsakademie der Bundeswehr.

2. Meine Begegnung mit der Zivilklausel

Im vorletzten Jahr bekam ich aus Tübingen eine Einladung, einen Vortrag im Rahmen einer Ringvorlesung zu halten, die anläßlich der frisch beschlossenen Zivilklausel veranstaltet wurde. Mein Thema: Was bleibt von der grundgesetzlichen Friedensnorm? Gerne habe ich die Einladung angenommen.

Doch was geschah dann? In Tübingen schlugen die Wellen hoch, es kam zu Ausladungsersuchen, denen jedoch nicht entsprochen wurde. Als ich in Tübingen am Veranstaltungsort ankam, waren engagierte Verfechter der Zivilklausel bereits da. Über dem Eingang zum Vorlesungsraum prangte in großen Lettern der Hinweis: „Der Krieg beginnt hier.“

Wenn ich von zwei Sachverhalten absehe: erstens, daß der Slogan in diesem Kontext einer Kriegsverharmlosung gleichkommt und zweitens, daß ich nun selbst die Adressatin der Kritik war, so habe ich doch ein gewisses Verständnis für die Position der Zivilklausel-Anhänger. Denn sie erwächst aus der Logik der Zivilklausel. Wie schaut diese aus?

3. Logik der Zivilklausel: Inklusion und Exklusion

Die Zivilklausel folgt der Logik der Inklusion und der Exklusion, d.h. es gibt ein Drinnen und ein Draußen. Das genau ist ja auch ihre Absicht: Die Zivilklausel soll eine bestimmte Art Forschung aus den Universitäten raushalten, also nur eine andere bestimmte Forschung reinlassen.

Die Logik ist demnach binär: Es gibt nur 0 oder 1, weiß oder schwarz, drinnen oder draußen. Die Unterscheidung Inside-Outside bedarf einer Grenze, die beide Bereiche voneinander trennt. Dabei lassen sich zwei Fälle unterscheiden:

Entweder die Grenze ist eindeutig.

Oder sie ist es nicht, muß aber dennoch so behandelt werden, als wäre sie es. Denn am Ende muß ein eindeutiges Ergebnis stehen: Drinnen oder draußen – tertium non datur.

Wo oder wie kann die Grenze gezogen werden? M.E. gibt es zwei Ansatzpunkte: zum einen der Inhalt der Forschung, zum anderen die Person (bzw. deren Arbeitgeber) sowie der Financiers des jeweiligen Projekts. Beginnen wir mit dem Inhalt.

4. Grenzziehung (I): Inhalt

Zunächst wäre natürlich zu klären, was genau unter ‚zivil‘ bzw. nicht-zivil im Sinne der Zivilklausel zu verstehen ist. Zivil bedeutet im Zusammenhang etwa mit Zivilgesellschaft den Gegenpart zum Staat. Zivil kann aber auch als Gegenteil von militärisch verstanden werden. Ich unterstelle einmal, daß dies die Bedeutung ist, die sie im Kontext der Zivilklausel erhält.

Die Grenze zwischen ziviler und militärischer Forschung mag in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen unterschiedlich große Probleme bereiten. Im Falle der Natur- und Technikwissenschaften kann es Beispiele geben, in denen die Grenzziehung einfach fällt – ein Panzer ist ein Panzer ist ein Panzer und mithin ein Kriegsgerät. Aber auch in solchen Wissenschaften mag eine derart eindeutige Grenzziehung nicht immer möglich sein – zumal die Universitäten wohl kaum ganze Kriegsgeräte entwickeln, sondern eher Teilbereiche zuliefern würden. Möglicherweise zeichnet sich hier im Zusammenhang mit der Miniaturisierung der Kriegführung auch ein Wandel ab, wie es etwa mit Blick auf Kampfdrohnen der Fall ist. Wo liegt auch in den Natur- und Technikwissenschaften das Problem für die Zivilklausel?

Das eine Stichwort lautet dual-use: Also eine Forschung über Gegenstände, die sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können.

Das andere Stichwort heißt Grundlagenforschung – also eine Forschung, über deren spätere Anwendbarkeit geschweige denn konkreten Anwendungsbereiche noch keine Aussagen getroffen werden können.

Noch schwieriger erscheint mir die inhaltliche Grenzziehung in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Wie lassen sich hier zivile und militärische Forschung im Sinne der Zivilklausel unterscheiden? Mir scheinen folgende Ansätze denkbar:

Da wäre erstens die Exklusion ganzer Themenfelder: Fragestellungen, die sich direkt auf das Militärische beziehen, würden aus den Universitäten etc. verbannt. Beispielsweise: Krieg, Militär, Waffen.

Zweitens bestünde die Option, alle Themenfelder zuzulassen, aber den Modus ihrer Thematisierung festzulegen. Dabei wären zwei Eskalationsstufen denkbar:

Auf der niedrigeren Eskalationsstufe würden nur solche Positionen ausgegrenzt, die als Verherrlichung von Krieg, Militär und Gewalt begriffen würden. Damit blieben jene Positionen zulässig, die sich den genannten Phänomenen eher analytisch-deskriptiv annähern, ohne sie normativ in die eine oder andere Richtung zu bewerten.

Die höhere Eskalationsstufe würde hingegen nur solche Positionen zulassen, die sich in kritischer wie praktischer Absicht den Phänomenen nähern, um zu deren Überwindung beizutragen. Damit wäre der Mainstream der Kriegs-, Krisen- und Konfliktforschung exkludiert.

Drittens ließe sich der Relevanzbereich der Zivilklausel erweitern. Dabei würden auch solche Positionen aus den Universitäten exkludiert, die direkt oder indirekt zur Legitimierung militärischer Gewalt beitrügen: Nach meiner Einschätzung wären davon altehrwürdige politiktheoretische Großtheorien wie der Realismus, bestimmte Strömungen des Idealismus bzw. Liberalismus betroffen. Ebenfalls exkludiert wären zivilisierungstheoretische Ansätze in der Friedensforschung, die mit einer friedensdienlichen Restgewaltsamkeit kalkulieren.

Wie Sie sehen, erweist sich der der Versuch, die Zivilklausel über das Inhaltliche bestimmen zu wollen, als überaus komplex und kontingent. Eingedenk wissenschaftlicher Diskursregeln ist er außerdem extrem heikel. Es scheint kaum möglich, zu einer ebenso einfachen wie eindeutigen (unumstrittenen) Lösung zu gelangen. Hier kommt der zweite Exklusionsweg ins Spiel. Er führt über die Person bzw. ihren Arbeitgeber sowie über die Geldgeber avisierter Forschungsprojekte. Wo liegt nun der Charme dieses Ansatzes?

5. Grenzziehung (II): Person (bzw. ihr Arbeitgeber) sowie Projekt-Financiers

Die Grenzziehung zwischen Zivilklausel-konformer und Zivilklausel-nichtkonformer Lehre bzw. Forschung erfolgt erstens anhand eines prinzipiell eindeutigen Kriteriums: der Arbeitgeber einer Person oder die Financiers eines Forschungsprojekts sind grundsätzlich ermittelbar. Demnach würden Personen oder Projekte exkludiert, die von Institutionen bezahlt werden, die der Zivilklausel nicht entsprechen. Dazu würde zweifelsfrei das Militär, wohl auch das Verteidigungsministerium sowie Wirtschaftsunternehmen gehören, die als Rüstungskonzerne bekannt sind.

Ist der Arbeitgeber bzw. Geldgeber bekannt und gemäß der Zivilklausel ‚richtig‘ eingestuft, so fällt zweitens die Entscheidung einfach, gleichsam mechanistisch, ohne daß weitere intellektuelle Anstrengungen erforderlich wären. Alle Probleme des zuerst vorgestellten Lösungswegs, der über den Inhalt führt, träten gar nicht erst auf.

Mit dem Weg über Person bzw. Financiers verknüpfen sich wohl auch weitere inhaltliche Überlegungen: Zum einen könnte die Gefahr gesehen werden, daß das ‚zivile Gesicht‘ die ‚militärische Fratze‘ verdeckt und damit verharmlost. Zum anderen könnte sich, wer nicht-zivil finanzierte Personen oder Projekte aus den Universitäten verbannen möchte, in der Hoffnung wiegen, auch inhaltlich ungenehme Forschung zu exkludieren – getreu dem Motto einer vulgär-materialistischen Reflextheorie: „Wessen Brot ich es, dessen Lied ich sing“. Wahrscheinlich trifft der Verdacht in einigen Fällen sogar zu. Aber in allen? Hier möchte ich auf nur auf die offensichtlichsten Probleme hinweisen:

Erstens könnte es sein, daß im weitesten Sinne militärische Stellen zivil interessante Forschung in Auftrag gäben. Sollte das Bundesministerium der Verteidigung etwa eine Forschung unterstützen, die Hörschäden nach heftigen Explosionen heilen hilft, so wäre der militärische Verwertungszusammenhang zunächst offensichtlich: kriegs- oder einsatzgeschädigten Soldaten soll bei ihrer Genesung geholfen werden. Aber macht dieser Verwertungszusammenhang aus der in Auftrag gegebenen Forschung bereits genuin militärische Forschung, die der Zivilklausel widerspricht? Wenn nicht, müßten ihre Anhänger einräumen, daß diese Forschung durchaus Platz an den Universitäten fände, käme das Geld nur aus anderer Quelle.

Zweitens finden sich im etablierten Wissenschaftsbetrieb zivil-militärische Verschränkungen. So ist eines der Friedensforschungsinstitute, das IFSH, von einem ehemaligen General gegründet worden: Wolf Graf von Baudissin. Noch heute verfügt das IFSH über einen Military Fellow aus der Bundeswehr. Außerdem beteiligt es sich seit vielen Jahren am Baudissin-Fellowship, das sich überwiegend an Soldaten östlich der ehemaligen Systemgrenze richtet. Wie wäre damit umzugehen? Hätte es all diese militärischen Bezüge auszumerzen?

Drittens könnte es sein, daß Personen, die über solche Stellen bezahlt werden, die Anhängern der Zivilklausel suspekt erscheinen, ihnen inhaltlich näher stehen als andere Personen, die aus ‚zivilen‘ Töpfen bezahlt werden. Damit entstünde ein Personen-Positionen-Paradox: Im Namen der Zivilklausel würden zivilklauselkompatible Inhalte exkludiert, zivilklauselinkompatible Inhalte inkludiert. Ich möchte hier nur erwähnen, daß mancher Friedensforscher bzw. manche Friedensforscherin ihr Geld über das BMVg verdient oder verdient hat. Ich möchte nur auf einige Fälle, die allseits bekannt sind, hinweisen. Sie wären dann Kollateralschäden der Zivilklausel:

Der ehemalige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung und Verfechter der These einer Inkompatibilität von militärischer Friedenssicherung und industrialisiertem Zivilisationsprozeß, Wolfgang Vogt, war lange Zeit mein Kollege an der Führungsakademie.

Gleiches gilt für Volker Matthies, der nicht nur ein großer Afrika-Kenner ist, sondern die Debatte über zivile Krisenprävention wesentlich mitbestimmt hat.

Ulrike Wasmuht, die ihre Habilitationsschrift über die Geschichte der Friedensforschung geschrieben und die Debatte über Pazifismus und Bellizismus in der Friedensforschung angestoßen hat, war fünf Jahre am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr beschäftigt.

Militärs würden qua Berufsgruppe aus den Universitäten exkludiert und zwar auch dann, wenn sie wie das Darmstädter Signal sich als Teil der Friedensbewegung begreifen. Oder sich wie Heinz Loquai kritisch mit dem Kosovokrieg (1999) auseinandersetzen.

6. Fazit

Worin besteht nun mein Fazit? Je länger ich über eine generelle Zivilklausel nachdachte, desto problematischer erschien sie mir zumindest mit Blick auf die Geistes- und Sozialwissenschaften – und das, obwohl ich ihr Anliegen eigentlich teile: Universitäten sollten möglichst weder hardware noch die software zum Krieg liefern. Im Sinne einer Zweck-Mittel-Relation scheint mir eine generelle Zivilklausel jedoch ungeeignet. Folgende Hauptprobleme bestehen:

Erstens begünstigt eine generelle Zivilklausel wenig fruchtbare Meta-Diskussionen über Exklusion und Inklusion.

Zweitens leistet eine generelle Zivilklausel – etwas spitz formuliert – einem ‚Terror der Tugend‘ Vorschub. Bildhaft gesprochen zieht sie ihre Grenzen mit dem Fallbeil. Diese binäre Logik läßt sich gemeinsam mit dem Friedensforscher Johan Galtung als kulturelle Gewalt klassifizieren. Sein erkenntnisthereotischer Yin- und Yang-Modus wäre hier friedensverträglicher, weil entspannter: Er geht davon aus, daß in jeder Gewalt stets auch Friedenselemente und in jedem Frieden stets auch Gewaltelemente enthalten sind.

Welche Alternativen bestehen?

Erstens möchte ich anregen, in der Debatte über Zivilklauseln verstärkt der Unterschiedlichkeit der Disziplinen Rechnung zu tragen. Das könnte auch bedeuten, über speziellere Zivilklauseln nachzudenken, die gleichzeitig friedensverträglicher im Sinne Galtungs wären. In den Natur- und Technikwissenschaften finden sich allen Unschärfen im Bereich Dual Use und Grundlagenforschung zum Trotz auch eindeutige Fälle genuin militärischer Forschung (z.B. Panzer, Kampfdrohnen). Zumindest ihnen ließe sich durchaus mit einer auch exkludierenden Zivilklausel relativ zuverlässig beikommen – wenn dieser Weg denn weiter beschritten würde. Bei den Geistes- und Sozialwissenschaften, auf die ich mich ja in meinen Ausführungen im wesentlichen bezogen habe, sieht das jedoch anders aus. Hier könnte ich mir aber sehr wohl die Einrichtung spezieller Lehrstühle vorstellen, die die Kriegs- und Friedensbezüge ihrer jeweiligen Disziplin offenlegen (z.B. Kriegs- und Friedensbezüge in der Literatur, in der Politikwissenschaft, in der Philosophie, in der Rechtwissenschaft). Ob institutionalisierte Zivilklauseln (im Sinne einer Rechtsnorm) dazu einen nützlichen oder gar notwendigen Beitrag leisten, wage ich jedoch zu bezweifeln. Wichtiger erscheinen mir ohnehin die nun folgenden Punkte.

Zweitens setze ich auf den wissenschaftlichen Diskurs. Unliebsame Positionen gilt es gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften nicht per order mufti zu exkludieren, sondern einem wissenschaftlichen Diskurs zuzuführen. Gleiches gälte wohl mindestens auch für die uneindeutigen Bereiche der Technik- und Naturwissenschaften (Dual Use, Grundlagenforschung). Das Mittel der Wahl lautet Analyse und Argumentation, nicht Restriktion und Oktroy.

Dementsprechend favorisiere ich drittens das Prinzip der Öffentlichkeit: Forschungsergebnisse, die an den Universitäten erzielt werden, dürfen nicht privatisiert, sondern müssen publiziert werden. Das ist gleichzeitig der beste Schutz gegen solche Forschungen, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen müssen.

Wohlwissend, daß ich hiermit ein neues Faß aufmache, beende ich an dieser Stelle meinen Input.

Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de