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Targeted Killing durch Nato-Bündnispartner und das Recht

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II41 Gerd Hankel

Foto: © 2013 by Schattenblick – www.schattenblick.de

Gerd Hankel

Targeted Killing durch Nato-Bündnispartner und das Recht

1. Unter „targeted killing“ (gezielter Tötung) ist ein Akt, der als präventiv und Ausdruck der Selbstverteidigung gilt. Er wird in einem formalen Prozess der Zielauswahl von einer Regierung angeordnet und überwacht. Die Tötung findet außerhalb des Hoheitsgebiets des anordnenden Staates statt und richtet sich gewöhnlich gegen Personen, die als für die Sicherheit des Staates gefährlich angesehen werden. Zwischen dem Staat, der die gezielte Tötung anordnet und durchführt und dem Staat, auf dessen Hoheitsgebiet die Tötung stattfindet, muss kein Kriegszustand bestehen.

2. Als Mittel der gezielten Tötung kommen in Betracht: Geheimdienstoperationen, Einsatz von Spezialkräften, ein Militärschlag durch eine Rakete oder die Bombe eines Flugzeugs, ein Drohnenangriff.

3. Es ist davon auszugehen, dass nicht nur die USA gezielte Tötungen praktizieren, sondern z.B. auch Russland oder Israel. Nato-Bündnispartner (vgl. den Titel der Veranstaltung) sind jedoch nur die USA, so dass sich die folgende Darstellung auf sie konzentriert.

Als Vorbemerkung sei noch darauf hingewiesen, dass die USA schon vor der forcierten Politik der „gezielten Tötungen“ einige Expertise in dieser Hinsicht erworben haben. Zwischen 1960 und 1980 entwickelten sie in Lateinamerika ein Folter- und Tötungsprogramm, das darauf ausgerichtet war, Gegner diktatorischer Regimes wie der Regimes in El Salvador, Guatemala und Nicaragua durch die glaubhafte Androhung von Mord und Terror auszuschalten. Sie bedienten sich dazu gewöhnlich sogenannter Todesschwadronen.

4. Und doch sollte es nach den Anschlägen vom 11. September 2001 noch mehrere Jahre dauern, bis wieder auf diese Expertise von CIA und anderen Spezialkräften zurückgegriffen wurde. Zwischen 2001 und 2008 blieben gezielte Tötungen „hochwertiger Ziele“ im, wie es heißt, niedrigen zweistelligen Bereich. Präsident George W. Bush setzte, wie es schien, mehr auf den massiven Waffeneinsatz gegen „unrechtmäßige Kämpfer“ (unlawful combatants), sein Nachfolger Barack Obama hingegen nutzte die „Authorization for Use of Military Force“, die nach dem 11. September 2001 erlassen wurde und ein Freibrief für den Präsidenten ist, Terroristen oder solche Personen, die dafür gehalten werden, weltweit mit militärischen Mitteln zu verfolgen, mit steigender Intensität. Allein in Pakistan sind bis heute (Stand: Mai 2013) zwischen 2000 und 3300 Menschen durch Drohnenangriffe getötet worden. Wie hoch der Anteil ziviler Opfer unter ihnen ist, ist nicht genau bekannt. Geschätzt werden zwanzig Prozent, doch ist durchaus auch ein weit höherer Prozentsatz möglich. Und in Afghanistan haben US-Spezialkommandos bei verdeckten Operationen zwischen dem 28. Januar und 29. April 2011 im Bereich des unter deutscher Führung stehenden Regionalkommandos Nord 485 Verdächtige getötet. Wie viele Zivilisten unter ihnen waren bzw. außerdem getötet wurden, ist nicht bekannt. Einer Studie zufolge, die Spezialoperationen in einer bestimmten Region Afghanistans über einen Zeitraum von 22 Monaten untersucht hat, verloren jeden Tag rein rechnerisch 2,38 Personen bei „capture-or-kill“-Operationen ihr Leben.

5. Gezielte Tötungen, die mit angeblich „chirurgischer Präzision“ durchgeführt werden („wie Chirurgen, die Krebsgeschwüre herausschneiden, ohne andere Organe zu beschädigen“), liegen üblicherweise sogenannte Ziellisten zugrunde, die Personen und Gebäude aufführen, die möglicherweise angegriffen werden sollen. Diese Listen werden von Analysten verschiedener Geheimdienste erstellt und sind nicht immer zentral koordiniert. Auch ist der Grad der Autorisierung unterschiedlich, d.h. in bestimmten geographischen Gebieten kann ohne Autorisierung von ganz „oben“ getötet werden; außerdem ist die Sicherheit der Zielerkennung nicht in allen Fällen gleichermaßen erforderlich, mal muss das Ziel zweifelsfrei identifiziert werden, mal reicht schon der Verdacht. Gemeinsam jedoch ist allen Operationen gezielter Tötungen jedoch, dass sie in einer Zone stattfinden, die wenig bis keine Transparenz zulässt. Die Exekutive entscheidet, wie eine legislative Ermächtigung umgesetzt wird und wird dabei nicht von der Judikative kontrolliert. Die in ihrer Reichweite beinahe beliebig interpretierbare nationale Sicherheit genießt Vorrang.

6. Die Unsicherheit, die Unfähigkeit oder der Unwillen nationaler Gerichte, gezielte Tötungen rechtlich zu kontrollieren, lenken den Blick auf mögliche völkerrechtliche Vorgaben, die, weil sie als Vertragsrecht oder gewohnheitsrechtlich gelten, von den Staaten, d.h. auch von den USA und ihren Bündnispartnern in der Nato, zu beachten sind. Diese Vorgaben finden sich im sogenannten humanitären Völkerrecht, das die Zulässigkeit von Kriegshandlungen in bewaffneten Konflikten definiert.

Danach gilt im Kontext „gezielter Tötungen“ folgende Grundregel: Ist das Ziel der gezielten Tötung ein gegnerischer Kombattant oder ein feindlicher Zivilist, so ist die gezielte Tötung grundsätzlich zulässig.

Allerdings ist die Realität komplexer und diese Komplexität wird genutzt bzw. zuvor absichtlich verstärkt, um eine Ausweitung dieser Grundregel zu erreichen. Dies geschieht auf dreierlei Weise:

Ein Kriegszustand wird einseitig dekretiert, wie im Fall des „war on terror“ geschehen. Während die eigenen Soldaten als legale und selbstverständlich legitime Kombattanten angesehen werden, gelten die Kämpfer des Kriegsgegners pauschal als illegale Kombattanten, als Terroristen, die, auch wenn ihr tatsächlicher Status alles andere als sicher ist, bekämpft werden dürfen. In einer Situation, die kein Krieg (bewaffneter Konflikt) ist, wird so das Töten des per se als Terroristen gedachten Feindes zu einer rechtmäßigen Handlung umgedeutet. Ein angeblich asymmetrisches Missverhältnis soll derart wieder in die herkömmlichen Bahnen der Symmetrie zurückgeführt werden.

Der Kreis derer, „die unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen“ und darum – einen de jure existenten, bewaffneten Konflikt unterstellt – bekämpft werden dürfen (auch mittels gezielter Tötungen), wird ausgeweitet. Dazu wird dann nicht, wie die Rechtsregel es vorschreibt, auf den erkennbaren, individuellen feindlichen Akt, der stattfindet oder dessen Ereignis mit Sicherheit erwartbar ist, abgestellt, sondern auf andere Kriterien wie z.B. den Status des Kämpfers (Mitgliedschaft in einer Widerstandsbewegung) oder politischer Erfolgsdruck (die gezielte Tötung wäre dann leicht Ausdruck der Rache und nicht ultima ratio).

Mit der Darstellung des Gegners als Inkarnation des Bösen wächst die Neigung, Kollateralschäden (Kollateralopfer ist der eigentlich anschaulichere Begriff) in Kauf zu nehmen. Gewohnheitsrechtlich gilt für jeden bewaffneten Konflikt der Grundsatz, dass „Verluste an Menschenleben unter Zivilbevölkerung“, die „in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen“, vermieden werden müssen. Wann jedoch das Missverhältnis zwischen militärischem Vorteil und moralischem Schaden, d.h. der Tötung unbeteiligter Zivilisten, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren, erreicht ist, ist nicht klar festgelegt. Die Entscheidung hängt vom konkreten Fall ab, je nach Einschätzung der konkreten Situation vor Ort entscheidet der Befehlshaber, ob es besteht oder nicht. Und dabei ist, wie schon die Formulierung „in keinem Verhältnis“ klarstellt, von einer deutlichen Vorrangigkeit des militärischen Vorteils auszugehen.

7. Wie ist nun vor diesem Hintergrund das „targeted killing“ zu bewerten? Rechtlich ist es, wie dargestellt, nicht verboten. Moralisch hingegen ist seine Zulässigkeit, selbst im gewaltgeprägten Umfeld des Krieges, sehr zweifelhaft. Es ist auf gefährliche Wiese offen für ein politisches Vorverständnis, für eskalationsfördernde Feindbilder und eine rechtliche Grauzone, die sich aus der Verhältnismäßigkeit zwischen militärischem Vorteil und humanitärem Schaden ergibt. Hinzu kommt noch, dass das humanitäre Völkerrecht und das Recht der Menschenrechte heute nicht mehr zwei strikt voneinander getrennte Rechtsbereiche sind. Vor allem im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt, wozu auch die „Intervention auf Einladung“ nach afghanischem Beispiel zählt, ist das humanitäre Völkerrecht nicht lex specialis zu den Menschenrechten und deren wichtigstes, dem Recht auf Leben, sondern neben diesen anwendbar. Schließlich ist auch noch zu berücksichtigen, dass die gezielte Tötung üblicherweise in einem Modus erfolgt, der – mit guten Gründen – als heimtückisch und damit ungerecht empfunden wird. Einer (langfristigen) Befriedung ist das nicht dienlich, wie durch Untersuchungen herausgefunden wurde.

Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de