Parlamente als Erfüllungsgehilfen in Sachen Krieg?
BERICHT/163: Quo vadis NATO? – Selbstlegitimation (SB)
Parlamente als Erfüllungsgehilfen in Sachen Krieg?
„Rechtslage und Staatspraxis in den USA und im Vereinigten Königreich“ – Kurzbericht von Prof. Bill Bowring im Faktencheck der Arbeitsgruppe I „Militärische Einsätze – ihre rechtliche und demokratische Kontrolle“ am 27. April 2013 auf dem Bremer Kongreß „Quo vadis NATO? – Herausforderungen für Demokratie und Recht“
Prof. Bill Bowring
Nachdem bis zum August 2012 mehrere im Weltsicherheitsrat eingebrachte Resolutionsentwürfe, in denen der syrischen Regierung von Präsident Baschar Al-Assad gezielte Maßnahmen angedroht werden sollten, am Veto Rußlands und Chinas gescheitert waren, sprach US-Präsident Barack Obama folgenschwere Worte. Er kündigte an, daß mit dem Einsatz von Chemiewaffen eine „rote Linie“ überschritten werden würde, die ein militärisches Eingreifen der USA in Syrien zur Folge haben würde. In der Weltöffentlichkeit wurde diese Ankündigung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges – bekanntlich ist nach Kap. VII der UN-Charta nur der Weltsicherheitsrat, so kein Fall der Selbstverteidigung vorliegt, berechtigt, einen Militäreinsatz zu autorisieren – geflissentlich ignoriert.
Kritiker der inzwischen, wie zu befürchten steht, recht unmittelbar bevorstehenden Militärintervention einer US-geführten Kriegskoalition geben zu bedenken, daß Barack Obama, der 2009 in seinem ersten Amtsjahr „für seine außergewöhnlichen Bemühungen, die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken“ (Nobel-Komitee) mit dem Friedensnobelpreis international aufgewertet wurde, mit seiner „Rote-Linie“-Erklärung den Assad-Gegnern einen Anreiz geliefert haben könnte, durch unter falscher Flagge durchgeführte Giftgaseinsätze den von ihnen erwünschten Kriegseintritt der USA zu erzwingen bzw. zu legitimieren. Eine gründliche Untersuchung und Klärung der Frage, wer für die in Syrien verübten und inzwischen auch von UN-Inspektoren festgestellten Giftgasangriffe verantwortlich zeichnet, ist deshalb umso unverzichtbarer für jeden, der sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, anläßlich womöglich eigens zu diesem Zweck konstruierter Kriegsvorwände einer längst beschlossenen Intervention das Wort geredet zu haben.
Angesichts dieser ebenso brisanten wie bedrohlichen aktuellen Lage im Nahen und Mittleren Osten ist die Frage, wie es denn eigentlich um die rechtliche und demokratische Kontrolle militärischer Einsätze bestellt ist, für viele Menschen von großem Interesse. Diesem Thema hat sich auf dem Kongreß „Quo vadis NATO? – Herausforderungen für Demokratie und Recht“, der vom 26. bis 28. April 2013 in Bremen stattfand, eine eigene Arbeitsgruppe gewidmet. Zu ihrem „Faktencheck“ trug Bill Bowring, Professor der Rechtswissenschaften am Birkbeck College der Universität London, wo er Menschenrechte, Öffentliches internationales Recht und Minderheitenrechte lehrt, einen Kurzbericht zum Thema „Rechtslage und Staatspraxis in den USA und im Vereinigten Königreich“ bei. Der britische Jurist ist Internationaler Sekretär der „Haldane Society of Socialist Lawyers“, einer in den 1930er Jahren gegründeten Gesellschaft sozialistischer Juristen, die der „Europäischen Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt“ (EJDM) angehört. [1]
Im Zuge seines Referats kam Bowring auf die von Obama im vergangenen Sommer öffentlich gezogene „rote Linie“, bei deren Überschreiten eine Intervention der US-Streitkräfte in Syrien erfolgen würde, zu sprechen und berichtete von einer lebhaften, auf der Website „Opinio Juris“ [2] von Juristen geführten Diskussion der Frage, ob diese Worte des US-Präsidenten als Einleitung zu einem Militäreinsatz zu verstehen sind. Er habe mit großer Genugtuung festgestellt, so Bowring, daß in den USA zur Zeit sehr viel Wert auf das internationale Recht gelegt werde. Die Juristen im Weißen Haus seien 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche damit befaßt, eine rechtlich einwandfreie Lösung dafür zu finden, wie die USA in Syrien Gewalt anwenden können. Es brauche wohl nicht daran erinnert zu werden, daß es dafür nur zwei Möglichkeiten gibt, nämlich die Autorisierung nach Kap. VII der UN-Charta durch den Weltsicherheitsrat oder den Fall der Selbstverteidigung. Bei „Opinio Juris“ werde intensiv der Frage nachgegangen, ob der Einsatz von Giftgas wie beispielsweise Sarin durch Syrien auf irgendeine Weise eine Grundlage schaffen könnte für eine Argumentation, die es den USA ermöglichen würde, ihr militärisches Vorgehen gegen Syrien als Selbstverteidigung zu deklarieren.
Die Antwort müsse „Nein“ lauten, wie Bowring in seinem Bremer Kurzreferat am 27. April 2013 klarstellte. Doch wie hatte dies die sogenannte internationale Gemeinschaft gehandhabt? Nachdem der israelische Militärgeheimdienst die Meldung über einen möglichen Chemiewaffeneinsatz gegen syrische Zivilisten in Umlauf gebracht hatte, erklärte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel am 24. April, ein Verdacht sei die eine Sache, ein Beweis die andere. Auch US-Außenminister John Kerry zeigte sich zurückhaltend, indem er monierte, daß der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu keine Beweise für einen Chemiewaffeneinsatz der syrischen Armee habe vorlegen können. Nach Bowrings Ansicht würde es selbst dann, wenn, wie Ende Mai tatsächlich von türkischen Medien gemeldet, Sarin in der Türkei auftauchen sollte, für die USA sehr schwierig, daraus einen Akt der Selbstverteidigung als Rechtfertigung für einen eigenen Militäreinsatz abzuleiten.
Der Referent führte weiter aus, daß viele Experten, unter ihnen auch ehemalige Berater des Weißen Hauses sowie Bowrings Kollege Daniel Bethlehem, ein früherer Rechtsberater der britischen Regierung, die Auffassung vertreten würden, daß der einzige rechtlich gangbare Weg für Präsident Obama, gegen Syrien Gewalt anzuwenden, ein diesbezüglicher Auftrag von Seiten der syrischen „Nationalen Koalition“ und anderer Oppositionskräfte, die am 11. Dezember 2012 von der Arabischen Liga sowie der NATO als legitime Vertretung des syrischen Volkes anerkannt wurden, wäre. Da jedoch Rußland und China und eine ganze Reihe weiterer Staaten die „Nationale Koalition“ nicht als legitime Regierung Syriens anerkannt haben, wäre auch dies für die USA kaum eine Möglichkeit, sich eine rechtliche Grundlage für eine Miltärintervention zu verschaffen.
Inzwischen ist es in Syrien zu mehreren Giftgaseinsätzen gekommen, wobei sich der letzte und angesichts vieler Todesopfer und Verletzter folgenschwerste am 21. August ereignete. Im Juni war in einem aktuellen Bericht einer nach Syrien entsandten Untersuchungskommission der Vereinten Nationen festgestellt worden, daß in dem Bürgerkrieg neue Stufen der Brutalität erreicht worden seien. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden ausführlich dokumentiert in Verbindung mit dem Hinweis, daß sie von beiden Seiten begangen werden. Die UN-Untersuchungskommission zog das Fazit, daß es keine militärische Lösung in diesem Konflikt gäbe und weitere Waffenlieferungen sowie militärische Unterstützungen an eine der Kriegsparteien nur zu einer zusätzlichen Eskalation beitragen würden.
Wie der „Spiegel“ am 6. Mai berichtete [3], gibt es nach Angaben der ehemaligen Chefermittlerin am Jugoslawientribunal in Den Haag, Carla Del Ponte, die als Mitglied der UN-Kommission zur Untersuchung der Menschenrechtslage in Syrien tätig war, einen „deutlichen, konkreten Verdacht“ dafür, daß syrische Rebellen mit dem tödlichen Nervengas Sarin gegen ihre Gegner vorgegangen seien. Die UN-Ermittler hätten in den Nachbarstaaten mit Kriegsopfern aus Syrien sowie mit Ärzten und Krankenhausmitarbeitern gesprochen. Carla Del Ponte zufolge hätten die UN – zumindest zum damaligen Zeitpunkt – keine Hinweise auf einen Giftgaseinsatz der syrischen Armee gehabt. Die Untersuchungen der Menschenrechtslage in Syrien wurden unabhängig von den Inspektoren durchgeführt, die auf Geheiß des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon die Giftgaseinsätze untersuchten und inzwischen bestätigten, daß am 21. August das Giftgas Sarin in der Nähe von Damaskus mit Hilfe von Boden-Boden-Raketen ausgebracht wurde. Die Frage, welche der Kriegsparteien für die Giftgaseinsätze verantwortlich zu machen ist, war nicht Gegenstand der Untersuchung. In einem von zwölf ehemaligen hochrangigen Mitarbeitern der US-Streitkräfte und -Geheimdienste am 6. September 2013 veröffentlichten und an Obama gerichteten Memorandum teilten diese mit, daß frühere Kollegen zwar den Vorfall mit chemischen Substanzen am 21. August bestätigten, jedoch betonten, daß er nicht auf einen Chemiewaffenangriff der syrischen Armee zurückgehe. [4]
Die nach wie vor ungeklärte Frage, wer für die Giftgasangriffe verantwortlich zu machen ist, und die Bereitschaft der syrischen Regierung, auf der Basis der diplomatischen Bemühungen Rußlands einer Kontrolle seiner Chemiewaffenbestände unter internationaler Beobachtung zuzustimmen, scheinen die Entschlossenheit einiger NATO-Staaten zum Krieg gegen Syrien nicht geschmälert zu haben. Den aktuellen Stand dieser in den zurückliegenden Monaten erheblich zugespitzten Entwicklung konnte Bowring zum Zeitpunkt seines Referat nicht vorhersehen. Seine Ausführungen sind dennoch in der gegenwärtigen Situation hochaktuell und aufschlußreich, da er sich mit der Frage der Parlamentsbeteiligung an Kriegsentscheidungen sowohl in den USA als auch im Vereinigten Königreich befaßte.
US-Präsident Barack Obama – mit der Lizenz zur Kriegführung?
Im Unterschied zum Vereinigten Königreich gibt es in den USA, wie Bowring einleitend erläuterte, eine Verfassung, in der die Kompetenz zur Kriegsentscheidung sehr klar geregelt wird. In Artikel I, Abschnitt 8 steht klipp und klar, daß der Kongreß die Befugnis hat, einen Krieg zu erklären. Die vom Referenten rhetorisch gestellte Frage, ob dies auch bedeute, daß der Kongreß die Kontrolle über den Einsatz militärischer Gewalt durch die US-Streitkräfte habe, beantwortete er mit einem klaren Nein. Diesen offenkundigen Widerspruch erklärte Bowring durch Artikel II, Abschnitt 2, in dem es heißt, daß der US-Präsident der Oberbefehlshaber der Armee und der Flotte ist. Mehr ist zu diesem Thema in der US-Verfassung nicht geregelt. Allem Anschein nach leitet US-Präsident Barack Obama aus der letztgenannten Regelung die Autorisierung zur Kriegsentscheidung auch ohne ein dementsprechendes parlamentarisches Votum ab. Obama vertritt die Auffassung, daß selbst monatelange Luftangriffe, bei denen keine US-Bodentruppen eingesetzt werden würden und die Gefährdung amerikanischer Soldaten sehr gering sei, nicht als Krieg, sondern als begrenzte Militärschläge anzusehen sind.
Am 31. August, noch bevor die UN-Inspekteure ihre Tätigkeit in Syrien abschließen und Generalsekretär Ban Ki Moon Bericht erstatten konnten, gab Präsident Obama die Anrufung des Parlaments bekannt und bekräftigte zugleich, daß er „die Autorität“ habe, „diese militärische Aktion ohne spezielle Ermächtigung durch den Kongreß durchzuführen“. [5] Unter Berufung auf Insider aus Obamas Umgebung wurde gemunkelt, daß er sich die Option offen halte, auch ohne ein Votum des Kongresses angreifen zu lassen. Dies wäre beileibe kein Novum. Wie Bowring in Bremen ausführte, hat der US-Präsident als „Commander-in-chief“ in der bisherigen Kriegsgeschichte der USA einhundertmal eine Truppenentsendung in andere Länder angeordnet, während der Kongreß dies nur fünfmal getan hat. Die fünf Beispiele, in denen der US-Kongreß die Kriegserklärung vornahm, zählte der Referent auf: Der Krieg von 1812 gegen das Vereinigte Königreich, der Mexikanisch-Amerikanische Krieg von 1846 bis 1848, durch den sich die USA Texas, New Mexico und Arizona einverleibten, dann der Krieg gegen Spanien von 1898, durch den Kalifornien amerikanisch wurde, und schließlich der Erste und Zweite Weltkrieg. Alle übrigen Kriege und Militäreinsätze wurden vom US-Präsidenten angeordnet.
Nach heutigem bundesdeutschen Verfassungsverständnis mutet die von Bowring geschilderte jahrhundertealte Kriegspraxis, in der der US-Präsident als Oberkommandierender der Streitkräfte über Kriegseinsätze entscheidet, obwohl dies laut Verfassung Aufgabe des Kongresses ist, bizarr an. Dies jedoch als einen Rechts- oder Verfassungsbruch anzusehen, der behoben und korrigiert werden müßte, hieße zu ignorieren, daß Rechte stets bestimmter Institutionen bedürfen, die diese mit repressiver oder militärischer Gewalt durchsetzen könnten. Dies gilt selbstverständlich auch dann, wenn es sich um die Schutzrechte einzelner wie die Menschenrechte oder die Regelungen der UN-Charta handelt, die allen Staaten und Völkern Schutz vor Kriegen und Übergriffen zu bieten verspricht.
Was kaum jemand weiß: Im Vereinigten Königreich gibt es ein Hoheitsrecht zur Kriegführung
Im Vereinigten Königreich gibt es keine (niedergeschriebene) Verfassung, wohl aber Verfassungsprinzipien. Wie Bowring in seinem Vortrag erläuterte, lebe die Insel in vielerlei Hinsicht noch immer im Feudalismus. So hat der Einsatz militärischer Gewalt nichts mit dem Parlament zu tun, sondern stellt ein königliches Hoheitsrecht dar, das vom Premierminister ausgeübt werden kann. Die Wurzeln dieses Verfassungsparadoxons liegen im Bürgerkrieg im England des 17. Jahrhundert, in dem sich der Parlamentarismus gegen die Monarchie durchsetzte. Der König verlor nicht nur den Krieg, sondern auch sein eigenes Leben, er wurde 1649 geköpft. Seitdem gibt es in Britannien das Verfassungsprinzip der Vormacht des Parlaments. Das Parlament hat die Macht, alle Entscheidungen zu treffen, auch die, die Monarchie abzuschaffen, dazu wäre nicht mehr als eine einfache Mehrheit im Parlament erforderlich. Halten die britischen Abgeordneten und Parteien an der Monarchie fest, um des königlichen Hoheitsrechts zur Kriegführung nicht verlustig zu gehen?
Vor kurzem, so berichtete Bowring, habe die House of Commons Library, die offizielle Informations- und Forschungsstelle des britischen Unterhauses, einen Expertenbericht zu diesem Hoheitsrecht („royal prerogative power“) herausgegeben, in dem es hieß, daß die Aufstellung von Truppen sowie ihr Einsatz in Feindseligkeiten Angelegenheiten des Hoheitsrechts sind, das von der Regierung ausgeübt werden kann. Der Premierminister kann darüber entscheiden, ob sich das Vereinigte Königreich an einem bewaffneten Konflikt beteiligt oder nicht. Die Regierung hat das Recht zu handeln, das Parlament muß dazu nicht seine Zustimmung geben.
Diese Ausführungen Bowrings deuten in der aktuellen Situation – das britische Unterhaus hat die Beschlußvorlage für eine Militärintervention in Syrien zurückgewiesen, wobei nicht nur die oppositionelle Labour Party, sondern auch 30 Abgeordnete der regierenden konservativen Torys Premierminister Cameron die Gefolgschaft verweigerten – an, wie marginal die Frage des Parlamentsvorbehalts in rechtlicher Hinsicht zu sein scheint. Offenbar sieht Cameron aus politischen Gründen davon ab, von seinem Hoheitsrecht Gebrauch zu machen. Der Premier steht ohnehin unter so starkem innenpolitischem Druck, daß ein solcher Schritt das Faß zum Überlaufen und eine bereits tiefgreifend unzufriedene Bevölkerung buchstäblich auf die Barrikaden hätte bringen können.
Aufschlußreich waren in Bowrings Vortrag auch die historischen Anmerkungen zur britischen Kriegsgeschichte. Zum Kriegsbeitritt Britanniens zum Zweiten Weltkrieg hatte es lediglich eine Mitteilung des Premierministers an das Unterhaus gegeben. Beim Koreakrieg im Juni 1950 wurden einige Erklärungen des regierenden Premierministers – Clement Attlee von der Labour Party – abgegeben, darunter eine Antwort an den Oppositionsführer Winston Churchill. Der Falklandkrieg wurde von der jüngst verstorbenen damaligen Premierministerin Margaret Thatcher angeordnet. Zu seinem Beginn hatte es im April 1982 eine Debatte im Parlament aufgrund eines Antrags auf Aufschub („motion to adjourn“) gegeben. Zur Erläuterung führte der Referent an, daß im Vereinigten Königreich traditionell nicht über die Frage abgestimmt werde, ob die britische Armee in einen Kriegseinsatz geschickt wird, sondern immer nur darüber, ob der bereits beschlossene Einsatz aufgeschoben werden soll. Für Menschen aus anderen Länder müsse dies, so Bowrings Einschätzung, extrem befremdlich wirken. Auch beim Falklandkrieg war dies das einzige Votum des Parlaments. Bis zur Kapitulation Argentiniens im Juni 1982 erfolgten 14 Mitteilungen und fünf Debatten im Parlament, allesamt „motions to adjourn“.
Als viertes Beispiel benannte der Referent den Golf-Krieg, bei dem es sieben Mitteilungen des damaligen Premierministers John Major und am 21. Januar 1991 eine Debatte im Parlament gegeben hatte über die Sicherheitsresolution 678, durch die dieser Krieg autorisiert worden war. Beim fünften Beispiel, dem Kosovo-Krieg, würde jeder Student des internationalen Rechts der Einschätzung zustimmen, daß er illegal war. Manche vertreten die Auffassung, daß er dennoch gerechtfertigt gewesen sei. Bowring, der selbst der Labour-Partei angehört, mußte einräumen, daß dieser illegale Krieg am 24. März 1999 vom Stellvertretenden Premierminister John Prescott mit einer einfachen Erklärung begonnen wurde. Während des Krieges folgten acht weitere Mitteilungen und drei Debatten im Parlament, allesamt wieder nur „motions to adjourn“.
Auf dem Weg in den Irak-Krieg wurde am 25. November 2002 eine substantielle Debatte über die Kriegsbeteiligung Britanniens geführt. Es gab eine Resolution des Sicherheitsrates (Nr. 1441), die jedoch den Einsatz von Gewalt nicht autorisierte. Da also weder eine Autorisierung durch den Weltsicherheitsrat nach Kap. VII der UN-Charta noch ein Fall der Selbstverteidigung vorlag, war die Entscheidung für diesen Krieg illegal. Es gab dazu zwar eine parlamentarische Debatte, doch in ihr wurden den Abgeordneten durch die Regierung Lügen aufgetischt über Massenvernichtungswaffen des Irak und weitere Angelegenheiten. Das Parlament wurde in Unkenntnis gelassen darüber, daß der Kronanwalt, immerhin ein Mitglied der Regierung, die Regierungsverantwortlichen vor diesem Krieg gewarnt hatte, weil sie sich vor einem Kriegsverbrechertribunal wiederfinden könnten.
2004 wurde eine öffentliche Untersuchung an der London School of Economics durchgeführt von acht Professoren des internationalen Rechts aus vier Ländern, die in ihrem Abschlußbericht erklärten, daß es starke Beweise gäbe, die für eine Strafverfolgung des für den Irakkrieg verantwortlichen früheren Premierministers Tony Blair und seine Kollegen ausreichend wären. Unglücklicherweise könnten die Betroffenen nicht mit diesen Strafvorwürfen konfrontiert werden, weil der ihnen zugrundeliegende Aggressionsakt beim Internationalen Strafgerichtshof anhängig ist. Die Mitglieder der Untersuchungskommission hofften nun auf den neuen Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof. Der erste Chefermittler, Luis Moreno Ocampo, der dieses Amt bis Juni 2012 inne hatte, las zwar den Bericht, blieb jedoch über ein Jahr lang untätig.
Die britische Regierung hat ihrerseits im Juni 2009 eine nach ihrem Vorsitzenden Sir John Chilcot benannte Untersuchungskommission eingesetzt, bestehend aus drei Nicht-Juristen. Ihrer Berichtspflicht sind sie bis heute nicht nachgekommen. Wie Bowring annimmt, könnten die Gründe dafür darin liegen, daß der Kommission Dokumente und andere Belege vorliegen, die zeigen, daß Tony Blair bei seinem Auftritt vor der Kommission über die Umstände, die zu dem Kriegseintritt Britanniens in den Irakkrieg geführt haben, gelogen hat.
Zum Abschluß seines Referats ging Bowring noch auf die jüngsten Kriege in Afghanistan und Libyen ein. In beiden Fällen wurde das Parlament nicht miteinbezogen. Wie es hieß, wurden lediglich Resolutionen des Weltsicherheitsrates umgesetzt. Inzwischen wüßten wir, so Bowring, was in Afghanistan geschehen ist, dazu könne er noch viel sagen. Das Vereinigte Königreich hat in diesem Krieg sehr viele Soldaten verloren. In Libyen war es nun so, daß die UN-Resolution lediglich beinhaltete, daß zum Schutz der Zivilbevölkerung eine Flugverbotszone eingerichtet werden sollte.
In diesem Punkt müsse er der russischen Regierung beipflichten, so Bowring, weil Rußland im Weltsicherheitsrat ausgetrickst wurde. Rußland sei gesagt worden, daß es keine Absicht gäbe, in Libyen einen Regimewechsel herbeizuführen. Tatsächlich hegte der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy mit Unterstützung Camerons gänzlich andere Pläne. Dies sei einer der Gründe, so erklärte Bowring Ende April auf dem Bremer Quo-vadis-NATO-Kongreß, warum die russische Regierung keine UN-Resolution mittragen wird, die eine Gewaltanwendung gegen Syrien autorisiert. Das werde nicht geschehen, lautete Bowrings durch die weiteren Geschehnisse, die sogar eine gezielte Eskalationsstrategie vermuten lassen könnten, bis heute nicht widerlegte Bewertung.
Fußnoten:
[1] Siehe auch das Interview mit Prof. Bill Bowring im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
INTERVIEW/176: Quo vadis NATO? – Empire exklusiv – Bill Bowring im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0176.html
[2] www.opiniojuris.org
[3] Zeugenaussagen aus Syrien: Rebellen könnten Nervengas eingesetzt haben. Spiegel online, 06.05.2013 – 08:24 Uhr.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/carla-del-ponte-syriens-rebellen-sollen-sarin-eingesetzt-haben-a-898243.html
[4] Handelt es sich in Syrien um eine Falle? Memorandum an Präsident Barack Obama von zwölf ehemaligen Angehörigender US Streitkräfte und verschiedener US Geheimdienste, Vertreter/innen der Organisation Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS). Junge Welt, 10.09.2013, S. 3. Englisches Original:
consortiumnews.com/2013/09/06/obama-warned-on-syrian-intel [1] /
[5] Votum über Krieg. Von Knut Mellenthin, junge Welt, 02.09.2013, S. 1
Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de