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„Massenkultureller Krieg“ und Zivilisationskonsens

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II54 Peter Bürger

Foto: © 2013 by Schattenblick – www.schattenblick.de

„Massenkultureller Krieg“ und Zivilisationskonsens 

Problemanzeigen, Thesen & Provokationen

Peter Bürger 

„Militarismus bezeichnet die Vorherrschaft militärischer Wertvorstellungen und Ziele in der Politik und im gesellschaftlichen Leben, wie sie bspw. durch die einseitige Betonung des Rechts des Stärkeren und die Vorstellung, Kriege seien notwendig oder unvermeidbar, zum Ausdruck kommen …“ 

Online-Politiklexikon der Bundeszentrale für politische Bildung

(1) In der Präambel der UN-Charta erklären die Völker ihre Absicht, untereinander freundschaftliche, von Respekt getragene Nachbarschaftsbeziehungen zu entwickeln und einen universalen Frieden zu stärken. Gemäß EG-Fernsehrichtlinie (Art. 22a) haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, „dass die Sendungen nicht zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität aufstacheln“. In Anlehnung an Art. 1 der UNESCO-Mediendeklaration von 1978 könnten „die Stärkung des Friedens und der internationalen Verständigung, die Förderung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Rassismus, Apartheid und Kriegshetze“ als ausdrückliche Zielsetzung der Medienpolitik genannt werden. – Ist dem nationalen und völkerrechtlichen Verbot von „Kriegspropaganda“ überhaupt eine praktische Relevanz zuzuschreiben? (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 20a) Betrifft das Verbot – jenseits konkreter Schauplätze – auch prinzipiell die Kulturbegünstigung des Programms „Krieg“? Ergibt sich schließlich aus dem in der UN-Charta manifestierten Zivilisationskonsens („die Menschheit von der Geißel des Krieges zu befreien“) und ebenso aus der Präambel unserer Verfassung („dem Frieden in der Welt dienen“) so etwas wie eine Verpflichtung zu aktivem Kulturhandeln?

Problemanzeige:
Kulturhegemonie des Programms „Krieg“ 

(2) Die Gründungsakte der UNESCO antwortet auf diese Frage, Friede müsse „in der geistigen und moralischen Solidarität der Menschheit verankert werden“: „Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.“ Dem stehen in der real existierenden Kultur eine Hegemonie des „massenkulturellen Krieges“ und ein dominanter „Kult der Waffe“ gegenüber. Wer Kulturphänomene nicht losgelöst vom ökonomischen und politischen Machtgefüge betrachtet, wird sich über diesen traurigen Befund nicht wundern.

(3) Mit der EDV-Revolution, die ja wesentlich schon in Forschungen des militärischen Sektors wurzelt, sind nicht nur neue Qualitäten des „Wirtschaftens“ (die virtuelle Geldvermehrungsmaschine) verbunden, sondern ebenso Revolutionierungen der Kriegstechnologie und der gesamten Kommunikationstechnologie. Ist die digitale Abstraktion von der leibhaftigen Lebenswelt ein Tor hin zu ganz neuen Formen der Barbarei? Diese Anfrage darf nicht einfach als kulturkonservatives Ressentiment abgetan werden: Die virtuelle Geldvermehrungsmaschine macht sich die Menschen untertan und geht über Leichen. Die Digitalisierung hat zu einer Aufrüstung des massenkulturellen Krieges geführt, die bis in den Alltagsablauf vieler junger Menschen hineinreicht. Im Irak schießen dann US-Soldaten vom Hubschrauber aus auf Zivilisten und führen gleichzeitig Dialoge, als steckten sie in einem Videospiel.

(4) Das Heilsversprechen, die neuen Medientechnologien würden die Medienkonzernmacht brechen und zu einer Demokratisierung des gesamten Kulturgeschehens – zu mehr Vielfalt, Gegenaufklärung und Dialog – führen, hat sich (bislang jedenfalls) nicht erfüllt. Wie von geheimer Hand hat sich in den Jahrzehnten des Neoliberalismus im explodierenden Medienangebot am Ende doch überall der gleiche „Programmdirektor“ durchgesetzt. Im Kontext postmoderner Beliebigkeit findet man im Netz zwar auch alle möglichen Investigationen, kritische Aufklärungen, Faktenchecks etc. etc. – aber all dies hat, wie es scheint, nicht wirklich gesellschaftliche und politische Relevanz. Man beachte nur, wie ungeschoren hierzulande die politische Klasse mit ihren ungeheuerlichen Statements zu Rüstungsexporten an den „Stabilitätsgaranten Saudi-Arabien“ durchkommt – von „Afghanistan-Vietnam“ ganz zu schweigen. Allein die Relationen von Militärhaushalten und zivilen Hilfebudgets entlarven das Projekt der herrschenden Politik, doch dafür gibt es kein öffentliches Bewusstsein.

Der Gegenstand:
Militarisierung der Massenkultur

(5) Während nun der besondere Blick auf Manipulationen der Informationsmedien in der Friedensforschung als etabliert gelten kann, ist das Bewusstsein für die zentrale Bedeutung der unterhaltsamen „Bildermaschine für den Krieg“ noch vergleichsweise gering ausgeprägt. Möglicherweise ist aber der unterhaltungsindustrielle Beitrag zur Subventionierung des Programms „Krieg“ (Militainment) der bedeutsamere, auch wenn sich diese „Macht der Bilder“ einer kantianisch geprägten und stark bewusstseinsorientierten Friedenswissenschaft nicht so leicht erschließt. Für Informationsmedien gilt, sie dürften selbst als Berichterstattende keinen „Krieg“ führen. Für fiktionale Filmgenres gibt es keinen vergleichbaren Kodex. – Durch Zwitterformate der „unterhaltsamen Information“ (Infotainment) verwischen solche Grenzziehungen ohnehin immer mehr. – Auch auf der Grundlage meiner eigenen Studien halte ich es für angemessen, das Kriegs-Entertainment wie einen schwergewichtigen Rüstungssektor einzustufen und von einem militärisch-unterhaltungsindustriellen Komplex zu sprechen. Eine systematische, institutionalisierte Erforschung der kriegssubventionierenden Massenkultur gibt es nicht. Die Produktsortimente (Kino, TV, DVD, Videospiel, Internetclips, Comics etc.) sind für Einzelne kaum noch zu überblicken. Das Gleiche gilt für Wirtschaftsdaten, die sich auf Herstellung, Werbung, Vermarktung oder Distribution von großen Unterhaltungsproduktionen beziehen. Produktionsbudgets von 100 oder 150 Millionen US-Dollar sind für Blockbuster des Kriegskinos durchaus normal. Ein militärfreundlicher Produzent wie Jerry Bruckheimer spielt mit seinen Filmen Milliarden ein. – Ein isolierter Blick nur auf den eigentlichen Kriegsfilm führt freilich in die Irre, denn die Militarisierung betrifft alle Genres (auch Historiendrama, Katastrophenfilm, Weltuntergangskino, Sciencefiction, Phantasy, Geheimdienst-Thriller etc.).

Die Akteure:
Der militärisch-kulturindustrielle Komplex 

(6) Bezogen auf die Anbieterseite, d.h. die „Macht der Bilderfabriken“, darf sich der Blick nicht nur auf Konzentrationsprozesse im Medienbereich beschränken. Zu untersuchen ist die organisierte Einflussnahme von staatlichen, militärischen und ökonomischen Kriegsinteressenten auf den Militainment-Komplex. Medienmonopole unterhalten Denkfabriken und Stiftungen, die über gezielte „Dienstleistungen“ (Expertisen, Film-Unterrichtsmaterialien etc.) auf Politik und Bildungsbetrieb einzuwirken versuchen. Sie sind mitunter in einem Konzerngeflecht angesiedelt, in dem auch Rüstungsproduzenten und andere Kriegsprofiteure den Ton angeben. Neben der Rüstungsindustrie kommt vor allem auch das Militär als Akteur ins Spiel. Die traditionsreiche Kooperation von Hollywood und Pentagon vollzieht sich in festen Strukturen (u.a. Förderrichtlinien, Filmbüros aller Waffengattungen). Das Militär erlangt – über Mechanismen der Selbstzensur hinausgehend – hierbei eine regelrechte editorische Kontrolle über Produktionen der privaten Filmwirtschaft. Zu den

eigenen Medienangeboten des Pentagon gehören Kabelsenderprogramme, Kinotrailer, Internetclips und Computerspiele für Jugendliche. Im Bereich der Computerspielindustrie ist die Kooperation von Militär und Professionellen der privatwirtschaftlichen Kreativtechnologie schon seit längerem institutionalisiert. Auf diesem Sektor entstehen Produkte, die zivil und militärisch genutzt werden („double use“). Analoge Verhältnisse gibt es längst auch in Europa (z.B. Frankreich), was für den Bereich der Bundeswehr zuletzt Michael Schulze von Glaser aufgezeigt hat. – Hier stellt sich die Frage: Welcherdemokratischen Kontrolle unterliegt die „Öffentlichkeitsarbeit“ des Militärs? Gehören Felder wie die politische Bildung oder Unterhaltungsangebote mit militärischer Thematik zu den Aufgaben der Bundeswehr?

Der Lehrplan:

Themenschauplätze und Funktionen des „Kriegskinos“

(7) Für die Militainment-Sortimente ist ein vielseitiger „Lehrplan“ der kulturellen Kriegssubventionierung auszumachen. Der Krieg wird – ausgehend von einem Welt-und Menschenbild der Konkurrenz – zum universalen, „naturgegebenen“ und alternativlosen Programm. Die Militarisierung erstreckt sich auf alle Zeit-Dimensionen (Historie, Gegenwartschauplatz, Sciencefiction für jede erdenkliche Zukunft) und Raum-Dimensionen (vom Wohnzimmer bis ins äußerste Universum). Das Kriegskino reproduziert die kriegsbereite Nation und sorgt für die Ikonographie der „globalen Mission“ (zuletzt mit US-Militärunterstützung: ACT OF VALOR 2012). Es betreibt über revisionistische Drehbücher „Geschichtspolitik für den guten Krieg“ (womit zivilisatorische Lernprozesse sabotiert werden), antwortet auf Polarisierungen in der eigenen Gesellschaft (nicht selten mit einem vermeintlichen „Antikriegsfilm-Paradigma“), sorgt für die Wahrung von Tabus (ökonomische Interessen, Kriegslügen, Kriegsverbrechen der eigenen Seite) und inszeniert – selektiv und instrumentell – die „humanitäre Katastrophe“ (die „Notwendigkeit menschenfreundlicher Militäreinsätze“ gilt für ganze Generationen längst als Dogma). Die Massenkultur betreibt kollektive Psychopolitik durch archaische Kriegsmythen und Kriegstheologie, aktiviert das Feindbildschema (Kulturkampf-Agenda) und präsentiert konkrete Bedrohungsszenarien (Aufbau des Bedrohungsgefühls). Weitere Funktionen betreffen das positive Militärimage und die Rekrutierung (z.B. Militär als gesellschaftlicher Ordnungsfaktor, sexuelle Attraktivität des Soldaten, Technikfaszination, Aussicht auf Identitätsfindung und gesellschaftlichen Aufstieg, Verharmlosung oder Verherrlichung des „Kriegsabenteuers“, Helden-und Märtyrerkult).

„Out of Law“:
Impulse für eine rechtswissenschaftliche Betrachtung 

(8) Bezogen auf Maßstäbe gesellschaftlicher Medienkritik dürfen sich die Rechtswissenschaften nicht zurückhalten: Massenkulturelle Propaganda zur Begünstigung bzw. Billigung von Verbrechen gegen Menschen-und Völkerrecht ist keine Bagatelle. Das gilt zumal dann, wenn speziell auch militärisch subventionierte Kunstwerke eine Lanze brechen für ein vermeintliches Recht auf Angriffshandlungen an jedem Ort des Globus, den Einsatz geächteter Kriegsmittel, Gleichgültigkeit gegenüber zivilen „Kollateralschäden“, die negative Darstellung ganzer Kulturräume oder Religionen, die Missachtung rechtsstaatlicher Verfahren und die Kreation willkürlicher neuer „Rechtsnormen“. – 1996 verkündete der Internationale Gerichtshof in Den Haag sein Rechtsgutachten zur grundsätzlichen Völkerrechtswidrigkeit von Atomwaffen. Ab dem Folgejahr kamen dann mehrere militärisch unterstützte US-Produktionen auf TV-Bildschirm und Kinoleinwand, die die modernste Nuklearwaffentechnologie als unerlässlich zur „Rettung der Erde“ anpriesen (ASTEROID 1997, ARMAGEDDON 1998, DEEP IMPACT 1998, THE CORE 2003). – Beim Einsetzen der Kriegspolitik der Bush-Administration im Jahr 2001 lag – mit gutem Timing – ein stattliches Sortiment von Pentagon-geförderten Kriegs-bzw. Terrorfilmproduktionen schon vor. Zu wenig bedacht wird, dass US-Filmproduktionen mit militärischen Kooperationspartnern Folter, Geiselerschießung oder Geheimdienstmorde ganz indifferent als übliche Methoden vorstellen (z.B. GOLDENEYE, TOMORROW NEVER DIES, PATRIOT GAMES, CLEAR AND PRESENT DANGER, RULES OF ENGAGEMENT, THE SUM OF ALL FEARS). RULES OF ENGAGEMENT (USA 2000) gehört zu den Filmen, die mit Schützenhilfe des Pentagon internationale Rechtsnormen aushebeln und sich in großer Gleichgültigkeit gegenüber Ziviltoten eines anderen Kulturkreises üben. Dieses Militärgerichtsdrama zeigt – wie das ebenfalls vom Pentagon unterstützte Somalia-Epos BLACK HAWK DOWN (2001) – Menschen eines islamischen Landes vorzugsweise als feindselige Masse. Zur massenkulturellen Formung des öffentlichen Rechtsbewusstseins trug auch die TV-Militärgerichtsserie JAG (USA 1995ff) bei, die im Sinne des Militärs ebenfalls förderungswürdig war. – Akzeptanz für die „außergerichtlichen Hinrichtungen“ durch ferngelenkte Drohnen hat die Massenkultur schon beworben, als es die Praxis selbst noch gar nicht gab. Die vom Pentagon unterstützte Hollywood-Produktion STEALTH (2005) bereitet die Zuschauer – unter Vorspiegelung eines ethischen Diskurses – auf eine revolutionär neue Militärtechnologie vor: Das der Aufklärung dienende UAV (Unmanned Air Vehicle) ist längst zum UCAV (Unmanned Combat Air Vehicle) weiterentwickelt worden; die Zeit der bemannten Kampfjets läuft aus. Es entsteht schließlich eine UCAV-Generation, die auf der Grundlage elektronischer Datenverarbeitungssysteme mit integrierten „Lernprozessen“ autonome „Entscheidungen“ trifft bzw. eigene „Handlungsmuster“ entwickelt. – Der CIA-Thriller ZERO DARK THIRTY (2013) von Kathryn Bigelow zeigt aktuell – angeblich auf der Basis geheimdienstlicher Expertisen – Folter als erfolgreiche Ermittlungsmethode.

(9) Verflechtungen von „Kriegsinteressenten“ und Medienmacht sowie entsprechende gezielte Manipulationsstrategien sind wesentlicher Teil des Kriegsapparates und verdienen ein besonderes Interesse. Allerdings darf dies nicht zu einer Militainment-Forschung auf der Basis eines zu engen und einfach gestrickten Propagandamodells führen. Die durch Konzepte der Kulturellen Hegemonie inspirierten Erkenntnisfortschritte würden dann nämlich wieder unter den Tisch fallen. Neben den Propagandaphänomenen im engeren Sinne muss jene viel umfassendere Kollaboration der gesamten Kulturmaschine bzw. des „freien Marktes“ im Blickfeld bleiben, die nicht auf sichtbaren Druck, Zensur, Manipulation, gezielte Propagandastrategien, bezahlte Auftragsarbeiten etc. zurückgeführt werden kann. Das „brainwashing“ in den Jahrzehnten des Neoliberalismus hat in der Breite zu einer „freiwilligen kulturellen Kollaboration“ mit dem Kriegsapparat geführt, deren Bedeutung die der bezahlten Propagandawerkstätten wohl weit übertrifft.

(10) Im Zentrum einer flachen, oftmals populistischen Mediengewalt-Debatte stehen besonders brutale und blutige Szenarien (im sog. Volksmund: „die ständige Ballerei“). In einem dem entsprechenden Konzept von „Jugendmedienschutz“ wird man eine Kritik der friedensfeindlichen „politischen Drehbücher“, die dem unterhaltungsindustriellen Angebot zugrundeliegen, kaum leisten können (ein „harmloses Video-Strategiespiel“, das globale Ressourcenaneignung als das Allernormalste vermittelt, kann im Sinne von „Jugendmedienschutz“ u.U. als ganz unbedenklich gelten). Viel problematischer als blutig aufquellende Eingeweide auf dem Bildschirm sind schließlich der saubere Krieg im virtuellen Technikdesign ohne Leiden und Opfer (unter „realistischer“ Simulation) oder Waffentechnologie als Instrument ziviler Problemlösungen. Spiele-Rezensenten loben dann unter Ausblendung jeglicher Ideologiekritik getreue Technik, Funktionalität und „genialeÄsthetik“. Die digitale Barbarei im Computer-Kunstwerk kommt problemlos ohne den Geruch von brennendem Menschenfleisch aus.

„Kultur des Friedens“:
Gibt es Gegenstrategien und Lösungen? 

(11) Der Blick auf die Anbieterseite (Medienmacht, Medienökonomie) ist in den Jahrzehnten

des Neoliberalismus aus der Mode gekommen. Konzerne produzieren einfach nur, was der

freie Markt verlangt. Der Rest ist dann Sache der mündigen Konsumenten – oder der Eltern

und Lehrer. Beim inflationären Gerede von Medienpädagogik geht es vor allem um

Bedienungskompetenzen, formalistische Paradigmen und einen rein technischen Blick auf

ästhetische Strategien. Wertgebunde Ansätze sind längst denunziert. Selbst kritische Autoren

fragen heute, ob denn normative Kritik überhaupt noch legitim ist. Auf der anderen Seite

muss man sich klarmachen, dass nach Verabschiedung der Ideologiekritik ein erneuter

Rückgriff auf politischen Moralismus, Medienkontrolle oder gar Medienzensur

kontraproduktiv ist. Junge Medienkonsumentenszenen mit weithin „libertären

Anschauungen“ erreicht man nur, indem man ihnen vermittelt, dass die über moderne

Kommunikationstechnologien militarisierte Massen- und Alltagskultur zu einer Dynamik

gehört, die als Ganzes in eine unfreie, autoritäre Gesellschaft hineinführt. Der „Ego-Shooter“

ist durchaus auch sichtbares Symbol einer aggressiven Gesellschaftsideologie, die der

Mehrheit aller Menschen nichts Gutes verheißt. Doch das dürfte kaum einem Konsumenten

bewusst sein.

(12) Gegenkonzepte im Sinne des klassischen Paradigmas einer der Aufklärung verpflichteten Friedensarbeit sind nicht falsch, vorausgesetzt man macht sich keine Illusionen über deren Reichweite. Zu nennen wären z.B. die Etablierung einer systematischen Militainment-Forschung, eine medienpädagogische Offensive im Dienste des Friedensgedankens (die „UN-Dekade für eine Kultur der Gewaltfreiheit“ ist ziemlich folgenlos verhallt), Datenbanken mit kritischen Medieninformationen (Inhalte, Hintergründe, Beteiligte der Produktion, Wirtschaftsdaten), ein gut gemachtes Portal zur Erschließung von empfehlenswerten Medienproduktionen im Dokumentar-und Unterhaltungsbereich und meinetwegen auch die Anpreisung „wertvoller friedensfördernder Computerspiele“. Bezogen auf die Beteiligung von staatlichen Stellen, Militär oder gar Rüstungsindustrie an kriegsfreundlichen Medienproduktionen bietet sich politisch die Kategorie des Verbraucherschutzes an. Konsumenten haben ein Recht, ohne langwierige Recherchen schon anhand der Verpackung zu erfahren, wer denn bei einem angebotenen Produkt alles beteiligt ist. Analog zur AntiRaucher-Kampagne kann man schließlich auch über einen Aufdruck auf Medienhüllen phantasieren: „Militainment gefährdet die Gesundheit der Weltgesellschaft!“

(13) Die Macht einer unterhaltungsindustriellen Massenkultur, deren Sortiment vom Kult der Waffe und vom „Programm Krieg“ dominiert wird, kann aber letztlich nicht gebrochen werden durch noch mehr Aufklärung, Medienkritik etc. etc., sondern nur durch neue Kulturräume und eine neue kulturelle Praxis. Es geht an erster Stelle um kulturelle Immunitäten und widerständige Kulturstrategien, und auf diesem Feld gibt es derzeit bestenfalls Suchbewegungen. Vielleicht starren wir zu sehr auf das Große? Die Vorstellung, man müsse mit dem mächtigen Apparat der Medienmonopole und kommerziellen Kommunikationsstrukturen eigentlich einen Drachenkampf auf „gleicher Augenhöhe“ aufnehmen, bewirkt Ohnmacht. Die Augenhöhe ist eben nicht die gleiche. Vielleicht liegt gerade darin ein Schlüssel für die Entwicklung widerständiger Kommunikationsformen? Im nahen Lebensraum kann man auf gleicher Augenhöhe kommunizieren. Solche Begegnung von Mensch zu Mensch ist das, was Konzerne trotz all ihrer Macht nicht produzieren können.

(14) Interessant für die Suche nach Alternativen ist besonders das, was im vorherrschenden Programm gerade nicht vorkommt. Spannende Erzählungen über gewaltfreien zivilen Widerstand – d.h. über die einzige ernstzunehmende Gefahr für die wirtschaftlich und politisch Mächtigen – sind z.B. im kommerziell maßgeblichen Medienangebot nicht zu finden. Vielleicht am meisten bedeutsam ist die Einsicht, dass eine „Kultur des Friedens“ auf der reaktiven Ebene des „Antikriegsfilms“ noch gar nicht zur Sprache kommt. Denn wer in seiner Kritik selbst noch den Bildern der Angst und der Katastrophe verhaftet bleibt, eröffnet keinen neuen Horizont. Letztlich geht es durchaus um etwas Utopisches, um die anspruchsvollste kulturelle Herausforderung überhaupt. Eine „Kultur des Friedens“ ist nur als „erotische Kultur des Lebens“ vorstellbar. Worin besteht das Subversive einer solchen Kultur? Die Antwort: Sie erzählt Geschichten von Begegnungen, Dialogen und Kooperationen in der Menschenwelt, die attraktiver sind als die Sensationen einer Kultur der Gewalt und der egomanen Aufrüstung. Sie öffnet uns wieder die verstopften Sinne für das Zärtliche, die Musikalität des Lebens und das Wunder miteinander geteilter Bedürftigkeit. Plakativ auf den Punkt gebracht: Krieg ist unsexy! Eros votiert für den Frieden.

(15) Im Zeitalter der globalen Kommunikation ist die Weltgesellschaft so nahe zusammengerückt wie noch nie. Doch den formalen Technologien entsprechen keine kommunikativen, dialogischen und kooperativen Qualitäten, die der menschlichen Familie auf unserem Planeten eine Zukunft eröffnen würden. Die Realutopie der UN-Charta von 1945 ist so aktuell und Not-wendig wie nie zuvor. Doch sie ist in Alltag und Alltagsbewusstsein gar nicht verankert. (Wo begegnen wir einem wirklich populären Symbol der Vereinten Nationen? Wo ist der UN-Gründung zumindest ein großer Spielfilm gewidmet? Wie steht es um Verächtlichmachungen der UN in der Massenkultur?) Hier sind wir wieder bei unserem Ausgangspunkt. Die so bitter errungenen Buchstaben des Völkerrechts bleiben tot, wenn ihnen in unseren Gesellschaften kein lebendiger „Eros des Völkerrechtes“ – auch als Dankbarkeit für zivilisatorische Lernprozesse der menschlichen Gemeinschaft – gegenübersteht. Der Friedensgedanke eines nach Recht und Gerechtigkeit gestalteten Miteinanders der Völkerwelt muss sich in den Lebensräumen der Menschen widerspiegeln. Es ist an der Zeit, diese kulturelle Herausforderung anzugehen.

Literaturhinweise

Bürger, Peter: Kino der Angst – Terror, Krieg und Staatskunst aus Hollywood. Stuttgart: Schmetterling-Verlag 2005. [2. durchgesehene, erweiterte Neuauflage 2007]

Bürger, Peter: Bildermaschine für den Krieg – Das Kino und die Militarisierung der Weltgesellschaft. Hannover: Heise [Telepolis-Buch] 2007. [Zahlreiche Einzelbeiträge des Verfassers auch im Internet, besonders im Archiv des Online-Magazins Telepolis]

Schulze von Glaßer, Michael: An der Heimatfront. Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der Bundeswehr. Köln: PapyRossa 2010. [Vgl. die zahlreichen aktuellen Arbeiten dieses Autors auf http://www.militainment.info/ und http://www.imi-online.de/]

Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de