rss search

Krieg und Frieden Beteiligungs- und Entscheidungsrechte von BürgerInnen

line

arrow-back-1zurück

line

Quo vadis NATO ? Kongress der IALANA in Bremen vom 26. bis 28. 04. 2013

Bericht aus der Arbeitsgruppe II

Krieg und Frieden: Beteiligungs- und Entscheidungsrechte von BürgerInnen – informati­onelle und institutionelle Voraussetzungen

Konzeption und Moderation: Annegret Falter 

Mitwirkende: Jenny Becker, Annegret Falter, Hans Lietzmann, Wolfgang Neskovic, Thilo Weichert

Rapporteur: Christoph Strecker

I Fragen

Woher können wir wissen, ob das, was die NATO und ihre Mitgliedsstaaten planen, finanzieren und in ihrer Praxis im Bereich von Krieg und Frie­den tun, mit dem geltenden Recht, insbesondere mit dem Friedensgebot des Grundgeset­zes und der UN-Charta ver­einbar ist? Haben denn wir, haben unsere Abgeordneten Zugang zu den einschlägigen Doku­menten der Regierung, der öffentlichen Verwaltung, der Nachrichtendienste? Wie kön­nen wir uns Informationen verschaffen? Woher und wann wissen wir überhaupt, dass etwas „im Gange“ ist?

Wie ist es um die Informationspflichten der Regierung oder der Nachrichtendienste be­stellt? Sind wir nicht geradezu auf Insider angewiesen, die ihre Geheimhaltungspflicht bewusst und im öffentlichen Interesse missachten (Whistleblower)?

Selbst wenn alle informationellen Voraussetzungen gegeben wären – was wäre dann die Konsequenz? (Wie) könnten wir uns etwa gegen Völkerrechtsverletzungen der Nato wehren?

II Bestandsaufnahme

Die Frage nach Information und unmittelbarer Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger entspringt den Mängeln parlamentarischer Kontrolle und Entscheidungen.  In Nordrhein-Westfalen haben bei einer Untersuchung zwischen 60 % und 86 % der Landtagsabgeord­neten – je nach Sachgebiet – angegeben, dass sie nicht glauben, politischen Einfluss zu haben.

Wenn die Wahlbeteiligung zurückgeht und ganze Quartiere sich aus der Poli­tik verab­schieden, stellt sich die Frage nach direkter Demokratie als Alternative.

Einer der Gründe für die geringe Erfolgsquote bei Volksabstimmungen wird in der man­gelnden Fachkenntnis der Abstimmenden gesehen. Dieser Mangel beeinträchtigt auch parlamentarische Entscheidungen.

Aus alledem folgt für Hans Lietzmann die Frage nach Verbesserung und Ergänzungen der Verfahren zur Beschaffung von Informationen.

II.1 parlamentarische Kontrolle

Eine wesentliche Grundlage für Regierungsentscheidungen, bei denen es um Krieg und Frieden geht, sind die Berichte der Geheimdienste. Diese unterliegen gemäß Art. 45 d) GG  einer parlamentarischen Kontrolle durch ein vom Bundestag bestelltes Kontroll­gremium, das aber zu einer effizienten Kontrolle nicht in der Lage ist.

Den ca. 10.000 Mitarbeitern der Geheimdienste stehen 11 Mitglieder des Kontroll­gremiums gegenüber, dessen Sitzungen nicht mehr als 3 Stunden pro Monat umfassen. Das Gremium hat keinen Zugriff auf Infor­mationen ausländischer Geheimdienste, die von deutschen Geheimdiensten benutzt wer­den.

Im Ergebnis dürfen die Mitarbeiter des BND mehr wissen als die Abgeordneten. Für eine grundsätzliche verfassungsge­richtliche Überprüfung dieses demokra­tietheoretisch unhalt­baren Zustands gibt es nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungs­ge­richts bislang kein Klagerecht eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontroll­gremiums.

Neben diesem Defizit des Kontrollgremiums besteht ein weite­res strukturelles Defizit darin, dass seine Beschlüsse jeweils eine Mehrheit erfordern. Die Regierung basiert auf einer parlamentarischen Mehrheit im Bundestag, die sich auch im Kontroll­gremium wiederfindet und Beschlüsse zu Lasten der Regierung verhindern kann – und im Regelfall nicht darauf bedacht ist, der eigenen Regierung zu schaden.

Nach Einschätzung von Wolfgang Neskovic hat es in Sachen Informationsfreiheit in den letzten 8 Jahren deutliche Verbesserungen gegeben, die jedoch keinesfalls ausreichend sind. Ins­besondere müssten Minderheiten –und Klagerechte für die einzelnen Abgeord­neten im Kontrollgre­mium eingeführt werden.

Für weitere konkrete Reformvorschläge siehe

http://www.wolfgang-neskovic.de/files/121026__reform_des_verfassungsschutzes.pdf

(B.II.3.)

II.2 Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz

Partizipation setzt Information voraus.

Seit dem Jahre 1996 gilt in der Bundesrepublik das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), das einen grundsätzlichen Anspruch gegenüber den Behörden des Bundes auf Zugang zu amtlichen Infor­mationen eröffnet. Nicht die Bürgerinnen und Bürger müssen ihr Interesse an einer Informa­tion begründen, sondern die Behörde muss gegebe­nenfalls begründen, warum sie den Anfragenden eine erbetene Information vorenthalten möchte.

Hierfür kommt vor allem § 3 IFG in Betracht, der Ausnahmen zum „Schutz von besonde­ren öffentlichen Belangen“ vorsieht, „wenn das Bekanntwerden der Information nach­teilige Auswirkungen haben kann auf a) internationale Beziehungen, b) militärische und sonstige sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr, c) Belange der inneren oder äußeren Sicherheit …“. So sind VS-Sachen generell von der Auskunftspflicht ausge­schlossen, desgleichen Fragen, bei denen internationale Belange beeinträchtigt werden können.

Mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes konnten diverse Themen der Bundeswehr (z.B. zu Baumaßnahmen, Gesundheit) öffentlich gemacht werden.

Auch die Europäische Union hat eine Regelung getroffen, die einen allgemeinen An­spruch von Bürgerinnen und Bürgern auf Einsicht in Dokumente der EU vorsieht.

Das Land Hamburg hat im Jahre 2012 als Folge einer Bürgerinitiative anstelle seines frü­heren Informationsfreiheitsgesetzes ein Transparenzgesetz beschlossen, nach welchen die Behörden nicht nur auf Anfrage, sondern von sich aus Informationen erteilen müssen. Derartige Initiativen gibt es mittlerweile auch in anderen Bundesländern. Offengelegt werden müssen danach z.B. Beschlüsse, Mitteilungen, Verträge der Daseinsvorsorge, Regelungen, Haushalts-, Stellen- und Aktenpläne, Statistiken und Tätigkeitsberichte, Geodaten und einiges mehr.

Nach Einschätzung von Thilo Weichert sind in Deutschland noch immer Nachwirkungen des preußischen Amtgeheimnisses zu beobachten. Er meint jedoch, dass gemäß den Er­fahrungen in Ländern mit einer langen Geschichte der Informationsfreiheit bei Verteidi­gungs- und Militärfragen noch ein großes bisher nicht genutztes Informationspotenzial besteht. Voraussetzung sei jedoch, dass das Instrument selbstbewusster von möglichst vielen genutzt wird und flankierend Druck durch eine offensive Öffentlichkeitsarbeit gemacht wird.

II.3 Liquid Democracy

Breitere Öffentlichkeit und eine qualifiziertere politische Meinungsbildung verspricht sich die Piraten-Partei vom „Partizipativen Parlamentarismus“: Vorschläge für politische Entscheidungen werden im Internet diskutiert. Nach einiger Zeit wird im Internet darüber abgestimmt. Wenn sich ein Vorschlag auf diese Weise durchgesetzt hat, sind die Land­tagsabgeordneten der Partei aufgrund einer Selbstverpflichtung daran gebunden. Es wird angenommen, dass sinnlose Vorschläge sich in der „Schwarmin­telligenz“ nicht durchset­zen.

Das Internet kann die bestehenden ungleichen Chancen infolge ungleicher Bildung nicht aufheben. Sie wirken sich aber nach der „online-affinen“ Sichtweise bei der Informati­onsgewinnung über das Internet weniger stark aus als dort, wo Zeit und Kosten für die Anschaffung von Büchern oder Fahrten zu Bibliotheken aufgewandt werden müssen.

Dem Internet wird zugetraut, bestehende Chancenungleichheiten reduzieren zu können, die sich daraus ergeben, dass die Teilnahme an Versammlungen und Veranstaltungen mit einem Aufwand an Zeit und Kosten verbunden ist, den sich nicht alle in gleicher Weise leisten können.

Beispiele für Online-Kampagnen zur Mobilisierung von Massen gibt es bereits, genannt werden Avaaz und Campact.

Ein grundlegender Vorteil der Liquid Democracy wird darin gesehen, dass es möglich ist, Stimmen zu delegieren, sodass sie sich dort ansam­meln, wo Expertise vorhanden ist. Die Delegation kann im Internet verfolgt und bei Misstrauen widerrufen werden, anders als die bei Wahlen für 4 Jahre abgege­bene Stimme.

Durch Datenschutz und Anonymisierung ist das System betrugsanfällig. Zwischen Transparenz und Information einer­seits und Da­tenschutz andererseits besteht ein Span­nungsverhältnis.

Derzeit findet in Ostfriesland ein Projekt der Liquid Democracy statt, das wissenschaft­lich begleitet wird:

LiquidFriesland ist eine Online-Plattform des Landkreises Friesland, durch die eine neue Form der Bürgerbeteiligung verwirklicht werden soll. Neu an LiquidFriesland ist insbe­sondere die Verknüpfung von Formen der Online-Demokratie mit der durch Landesrecht vorgegebenen Kommunalverfassung.

Mit Hilfe des Programms LiquidFeedback soll der Prozess der demokratischen Willens­bildung und Entscheidungsfindung unterstützt werden. Bürger des Landkreises Friesland können ab der Vollendung des 16. Lebensjahres einen persönlichen Zugang zu dem Pro­gramm erhalten und sich an Diskursen über Vorhaben, für die der Landkreis als Gebiets­körperschaft zuständig ist, sowie an Abstimmungen über diese Vorhaben betei­ligen. LiquidFriesland wurde vom Kreistag des Landkreises auf Initiative des Landrats Sven Ambrosy (SPD) einstimmig beschlossen. Der Kreistag griff dabei auf ein aus den USA stammendes Demokratiemodell zurück, das in Deutschland zuerst von Teilen der Piratenpartei Deutschland diskutiert wurde. Diese Diskussion war 2009 Anlass für die parteiunabhängige Entwicklung der Software LiquidFeedback durch den Public Software Group e. V. Weitere Kommunen erwägen, das Modell LiquidFriesland für ihren Bereich zu übernehmen.

Nach Überzeugung von Jenny Becker bewegen wir uns dahin, dass wir alle „oline-affin“ sein werden.

III. Whistleblowing

Wenn die formelle Wege der Kontrolle sich als ineffektiv erweisen, dann kann oft nur die Entscheidung von Geheimnisträgern helfen, ihre „Loyalität gegenüber der Menschheit“ (Rotblat) über die Loyalität gegenüber den Vorgesetzten zu stellen und geheime Infor­mationen an die Öffentlichkeit zu bringen. Ein eindrucksvolles  Beispiel hat in jüngster Vergangenheit der US-amerikanische Soldat Bradley Manning gegeben.

Hierfür hat sich der Begriff „Whistleblowing“ eingebürgert. Als Metapher würde ihm näherungsweise das deutsche „Ausposaunen“ entsprechen. Für ihn hat sich keine  deut­sche Übersetzung durchgesetzt. So gehört „Whistleblowing“ mittlerweile zum deutschen Wortschatz.

Whistleblower sind häufig die einzigen Personen, die vertrauliche oder geheime Sach­verhalte wenigstens soweit enthüllen können, dass ein Informationsinteresse bei Journa­listen oder sonstigen zivilgesellschaftlichen Akteuren erst geweckt wird. Oft sind nur sie aufgrund ihres Insiderwissens im Stande, Risiken, Rechtsbrüche und politische Folgen rechtzeitig zu erkennen.

Sie riskieren – wie alle ausgewählten Beispiele zeigen – erhebliche Sanktionen, auch wenn die jeweiligen Enthüllungen im öffentlichen Interesse liegen.

In den USA hat sich über längere Zeit die Zunahme von Enthüllungen im Sicherheits­be­reich konstatieren lassen. Die massive Sanktions- und Einschüchterungspraxis der Obama-Administration scheint aber dazu zu führen, dass Whistleblowing seltener wird und regierungsamtliche Geheimhaltung dominiert.

In Deutschland gibt es keine vergleichbaren Fälle von Geheimnisverrat im Sicherheits­bereich. Deutsche Whistleblowerfälle – einschließlich der damit verbundenen Risiken – spielen sich weitgehend im Bereich des Arbeitsrechts ab. Der arbeitsrechtliche Whistleblowerschutz ist in Deutschland (noch) schlechter als in vielen westeuropäischen Ländern.

Anlässlich der Verleihung des Whistleblowerpreises 2011 an Bradley Manning hat die Jury, der Annegret Falter angehört,Whistleblowerschutz gerade auch im strafrechtlichen Bereich gefordert:

„Die Offenbarung von Vorgängen, die gegen die Verfassung, insbesondere die Grund­rechte, und gegen das Völkerrecht verstoßen, müssen durch den Gesetzgeber oder zu­mindest die auslegende Rechtsprechung von strafrechtlicher Verfolgung freigestellt wer­den.“

Eine dahingehende Verbesserung kann nur mit einer fortschreitenden Veränderung der politischen Kultur und der Einstellung zum Recht auf öffentliche Zugänglichkeit von Re­gierungshandeln einhergehen. Dies soll auch als Fazit aller Workshop – Themen fest­gehalten werden: Dass Demokratie und Partizipation nicht an der hohen sicherheitspoliti­schen Schwelle scheitern dürfen.

Christoph Strecker

23.06.2013

Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de