rss search

Gastvortrag mit Diskussion

line
III20 Eugen Drewermann

Foto: © 2013 by Schattenblick – www.schattenblick.de

Dr. Eugen Drewermann: Ethik, Menschenrechte und militärische Gewalt.

Abschrift der frei gehaltenen Rede.

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

liebe Freundinnen und Freunde des Friedens,

von Herzen danke ich Ihnen für Ihr Interesse und für Ihr Engagement an einer Frage, die für unser Zusammenleben zu den aller wichtigsten zählt. Denn solange wir den uns Regierenden noch erlauben, sich für ihr politisches Handeln die Option des Krieges offen zu halten – oder wie Obama mit Blick auf Syrien sich ausdrückt – alle Optionen auf dem Tisch zu lassen, solange wird es kulturell keinen Fortschritt in Richtung Menschlichkeit geben können und der Krieg wie ein Kraken unsere Zivilisation umklammern sowie das Beste und Edelste an Menschlichkeit absaugen, um es in sein Gegenteil zu vergiften.

Tucholsky hat Recht, Soldaten sind Mörder. Krieg ist so wenig vereinbar mit der Kultur wie Lüge mit der Wahrheit, wie Brutalität mit Sensibilität, wie Menschlichkeit mit Grausamkeit. Krieg ist die organisierte Totalisierung aller Unmenschlichkeit. Krieg ist das Schlimmste, was man Menschen zufügen kann – die gezielte Tötung, die eiskalt berechnete Ermordung. Krieg ist ein Rückfall in längst vergangene Zeiten, aber auf dem technischen Niveau der Moderne.

Wir sind hier, um zu zeigen, dass Thomas de Maizière sich irrt. Er sprach vor einer Weile davon, dass wir jetzt die Diskussionen über den Einsatz der Bundeswehr außerhalb Europas hinter uns haben. Doch diese Diskussionen hat er vor sich. Denn es darf nicht sein, dass man uns den Krieg weiter als eine Ware der Sicherheit verkauft, die man herstellt wie in einer Schlachtfabrik an der Peripherie der Großstädte, die man dann gut verpackt über die Theke schiebt. Genau das findet statt. Deswegen können wir nur wünschen, dass die Empfänge des Herrn de Maizière so wie kürzlich in der Humboldt-Universität in Berlin enden. Wir fordern die allgemeinen Studentenausschüsse an jeder Universität auf, die Ironie, die Groteske von allem was Militär heißt offenbar zu machen.

Wir erwarten, dass die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft ihre Lehrer gegen die Rektoren mobilisiert, die scheinbar immer weniger dabei finden, dass man bezahlte Anwerbeoffiziere der Bundeswehr in die Schulen lockt, um unseren Kindern beizubringen, es sei Soldat zu werden so wie Tischler, Malermeister oder Friseurin zu werden. Gerade das ist die Lüge des Herrn Baron von Guttenberg beim Übergang zu einer Berufsarmee. Als könnte man Soldat sein, ohne sich zu verraten, ohne sich als Söldner des Kapitals zum Grausamsten zu befähigen. Es gibt keinen Beruf des Soldaten. Es gibt nur eine Entwürdigung des Menschen.

Dazu zählt, dass wir Offenheit fordern müssen. Kein Instrument ist wirksamer gegen den Krieg als Transparenz. Denn wahr ist, was Immanuel Kant in den Gedanken zum ewigen Frieden vor über 200 Jahren bereits schrieb: „Jemand, der in Öffentlichkeit handelt, unterliegt dem Formalgesetz der Sittlichkeit, dass die Absichten seines Handelns jederzeit offenbar gemacht werden könnten.“ Alles was das Militär betrifft kann nicht offenbar gemacht werden. Es verschleiert sich im Geheimen, in Kommissionen, die das Bewusstsein der Öffentlichkeit nicht erreichen dürfen. Wäre unserer Bevölkerung auch nur z.B. der Versuch an Schweinen zur Zielgenauigkeit von Waffen bewusst, sie würde vor lauter Entsetzen und Ekel nicht auf diese Art verteidigt werden wollen.

Aber der Einsatz von Drohnen entzieht uns jeder Rückmeldung dessen was wir tun, auch unserer eigenen Gefühlsrezeptoren. Bringen Taliban eine Sprengfalle an einer Straße nach Kabul an, ist das ein hinterhältiger und gemeiner Anschlag. Wenn die Soldaten in Potsdam in 10.000 Kilometer Entfernung per Joystick Hellfire-Rockets von Predator-Drohnen über Waziristan, Pakistan, Afghanistan oder irgendwo auf Erden abschießen, muss man das als ordnungsgemäß und heldisch hinnehmen. Herr de Maizière ist dabei uns begreifbar machen zu wollen, dass es sich um nichts weiter handelt als den Einsatz der Luftwaffe auch sonst.

Wir wollen wissen, was da entschieden wird. Damit wir, wie soeben, nicht nach Jahren in einer winzig kleinen Zeitungsmitteilung lesen müssen, dass ein griechischer Minister wegen Korruption beim Ankauf deutscher U-Boote in Haft genommen wird. Milliarden haben die deutschen U-Boote gekostet. Griechenland wurde dabei verschuldet. Aber wie hat man die Leute geködert, um solche idiotischen Ankäufe zu genehmigen? Von der Kaiserzeit bis heute gibt es keine Rüstungsgeschäfte ohne Korruption, ohne Bestechung, ohne Lüge. Deshalb muss es geheim sein und darf nicht öffentlich werden. Wäre es öffentlich, würde unsere Bevölkerung den Krieg nicht länger vertragen. Nicht einmal wäre es hilfreich, dass wir die Jugendlichen bereits vorbereiten, in endlosen Kriegsspielen zu trainieren, was sich die GIs auf den Militärplätzen mühsam selbst beibringen: die Abschaltung aller Gefühle beim Zusammenbruch eines Getöteten, die absolute Gefühllosigkeit, wenn man mit der Schusswaffe erfolgreich gewesen ist. Und aus all dem wird ein Videospiel gemacht, das den Ernst verschleiert.

Das Militär selbst besteht darin, Menschen aus dem kultureigenen Bereich zu entfremden. Stanley Milgram hat in den 1970er Jahren zur Nacharbeit des Vietnamkriegs sozialpsychologisch gezeigt, wie das Militär funktioniert: Man nimmt noch relativ unmündige 18-jährige, die das Denken kaum gelernt haben, um sie von all den Kontrollen, die humane Erziehungsziele waren, mit System zu entfremden. Ganz ähnlich wie Erich Maria Remarque zwölf Jahre nach dem 1. Weltkrieg schrieb: „Ich hätte nicht gedacht, dass ganze sechs Wochen genügen, uns alles vergessen zu machen, was von Platon bis Schopenhauer gedacht und geschrieben wurde und uns fähig zu machen, irgendeinem ehemaligen Postbeamten, nur weil er die richtigen Kokarden trägt, im Staub zu Füßen zu kriechen. Wenn das möglich ist, ist alles umsonst, was wir Kultur genannt haben.“ Man setzt ihnen vor, dass jetzt nicht mehr gilt, was mal der Vater, der Pfarrer, der Lehrer gesagt hat als sie Kinder waren. Jetzt zählt, was der Vorgesetzte sagt, entsprechend der Befehlskette. Jetzt ist Befehl Befehl. Es wird nicht diskutiert. Es wird exekutiert, pariert. Selbst wenn der Inhalt des Befehls, das Töten von Menschen – wird man nicht sagen, aber das Neutralisieren, Eliminieren irgendwelcher Targets – sein soll. Verleumden wir da das Militär? Keinesfalls.

Unvergesslich in Erinnerung ist mir eine Stunde aus dem deutschen Fernsehen, als Günther Jauch noch Moderator auf RTL war. Es war der 9. August 1995, der Jahrestag des Bombenabwurfs über Nagasaki. Ein Studiogast war Mayor Sweeney, der Mann der den Abwurf leitete. 50 Jahre waren hingegangen und Jauch fragte ihn, was in ihm in all den Jahren vor sich gegangen ist. Er war noch keine 25 Jahre und hat mehr Menschen eigenhändig getötet als jeder andere in der Geschichte der Menschheit – weit mehr als Dschinghis Khan und alle Massenmörder. Die Antwort des hochdotierten American Hero lautete: ‚Was soll die Frage? Befehl ist Befehl. Jeder Soldat der Welt hätte genauso gehandelt. Außerdem der scheiß Krieg war dann auch zu Ende.‘ Der Krieg war längst zu Ende, aber man wollte den Zündmechanismus bei Implosion und Explosion an Uranbomben ausprobieren. Das war der Grund, dass Hiroshima drei Tage vorher nicht genügte. Man wollte es wissen. Am 6. August verkündete Präsident Truman: „Jungs, wir haben ihnen einen Ziegelstein auf den Kopf geschmissen.“ Als seine PR-Berater sagten, so könne man in Angesicht von Hunderttausend Toten nicht sprechen, mäßigte Truman seine Sprache. Er erklärte, dass man eine bis dahin noch unbekannte Waffe eingesetzt habe, um die Industrieanlagen in Hiroshima zu zerstören. 12 Stunden lagen zwischen dem einen und dem anderen Ausspruch und die Lüge arbeitete weiter. Leider hat Günther Jauch nicht gefragt: Wie man in Amerika den Satz verarbeitet, Befehl sei Befehl und jeder Soldat der Welt hätte genau das Gleiche getan?

1947 in Nürnberg war dies genau der Vorwurf der Anklage. Alle Nazis standen da: Befehl ist Befehl. Sehr zu Recht fragten die Amerikaner, was man sich dabei gedacht habe, als man meinte, seine Persönlichkeit an der Garderobe abgeben zu können, um ins Walhall der Geschichte einzumarschieren und ob dies nicht der eigentliche Frevel sei, Verantwortung zu leugnen und zu delegieren, entsprechend der Befehlshierarchie immer nach oben weg von sich selbst. Aber wo Mayor Sweeney Recht hat, hat er Recht. Es ist genau das, was man den Soldaten mit System beibringt, dass die Gefechtslage einen Komplexitätsgrad erreicht, der aus der Sicht des Einzelnen vollkommen unüberschaubar ist und schon deswegen in die Verantwortung und Zuständigkeit des Nächsthöheren gehört. Es wäre ein Verbrechen, einen Befehl nicht zu erfüllen. Verantwortung ist die Treue zum Befehl, geschworen unter Eid. Das ist, was man Soldaten eintrainiert, weswegen sie aufhören, im humanen Sinne selbst verantwortete Personen zu sein und die Voraussetzung ethischen Handelns noch bei sich zu behalten.

Das Wesen des Militärs ist die vollkommene Verwandlung von Menschen in Tötungsautomaten. Ohne diese Umfunktionalisierung wäre es gar nicht vorstellbar. Aber auch die Gebrauchsanweisungen haben sich geändert. Es gab einmal eine so genannte Kriegerkultur, beschrieben im antiken Griechenland, z.B. in den Gesängen des Homer. Der konnte in der Ilias davon berichten, dass es zwischen zwei tötungswilligen Kombattanten Fairness, Respekt und am Ende eine fast tragische Solidarität geben konnte. Hektor trifft in der Schlacht auf Aias. Beide sind geschickt genug, dem Speer und den Steinwürfen auszuweichen und als Götter schließlich den Zweikampf beenden, tauschen sie ihre Rüstungen in Hochachtung vor ihrem Gegner. Genau das darf ein Soldat heute nicht fühlen. Zu seiner moralischen Ausrüstung und Aufrüstung zählt, dass man ihm beibringt, dass jenseits der Grenzlinien das absolut Böse liegt.

Man kann nur skrupellos töten, wenn man sich reinwäscht in dem Gefühl, dem Guten zu dienen. Der potenzielle Gegner ist gewissermaßen der Teufel selbst. Entsprechend verhielt sich Bush der Ältere 1991 beim Ausbruch des 2. Golfkriegs: „Dies ist ein Krieg, der nicht zwischen Christen und Muslimen geführt wird, sondern für das, wofür jeder Krieg geführt wird, die ewige Auseinandersetzung um Gut und Böse. Ich sage, der Ausgang dieses Krieges wird der Sieg des Guten sein.“

Wenn es so steht, fraktioniert man alle möglichen Begriffe, die der Menschheit dienen, zur Propaganda der Vereinseitigung der Perspektive. Wir sind die Guten, die die Bösen. Was zusammen gehört, reißt man auseinander, um gegeneinander aufmarschieren zu können. Werte verwandeln sich in eine Propagandawaffe, den anderen niederzuschlagen. Mythologisch gesprochen bekämpfen wir grundsätzlich den Teufel. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Adolf Hitler in jeder Form bekämpft: Milosevic, der wahnsinnige Hussein in Bagdad – immer Hitler, immer der Teufel. Was wir uns nicht zugeben möchten oder können, ist, dass wir die Welt dabei selbst in eine Hölle verwandeln. Wir selbst sind als aller erstes die Teufel. Der Krieg besteht darin, alles was grausam, unmenschlich, schrecklich ist, zum Zwecke der effizienteren Vernichtung, zur Steigerung der Tötungskapazität, zum Sieg gegen das instrumentalisierte Bösen steigern zu wollen. Wir verinnerlichen den Gegner im eigenen Handeln, wenn wir gegen ihn Krieg führen. 

Wäre das nichts, was Ex-Pastor Gauck hätte lernen können? Er stellt sich vor, dass wir auf die Bundeswehr stolz sein sollten. Er habe eine Wehrmacht in einem Zustand der Unfreiheit in der DDR kennengelernt und glücklicherweise hätten wir nun eine Wehrmacht, eine Bundeswehr im Zustand der Freiheit. Doch kein Soldat auf keinem Kasernenhof hat irgendeinen Spielraum von Freiheit. Außer man nennt die Triebabfuhr vor dem Kasernenhof seine Freiheit. Nichts bleibt dem Soldaten, außer wie man ihn schikaniert, uniformiert. Deswegen die absolute Sinnlosigkeit des Trainings: die Augen links, Gleichschritt marsch. Wie verwandelt man noch denkende Menschen in ein Räderwerk des Todes, das entsprechend der vorgegebenen Zielsetzungen ineinandergreift? Das ist Militär und deshalb darf es nicht sein.

Die Sozialpsychologen Zimbardo und Hanley haben vor Jahr und Tag gezeigt, was passiert, wenn man sich dieses Weltbild zu eigen macht: wir sind die Guten und drüben sind die Bösen. Sie haben ganz simpel Gefängnis gespielt. Betreuer und die Insassen wurden frei nach dem Zufallsprinzip ausgewählt: Die einen in dem Glauben, das richtige verkörpern zu sollen und die anderen als Statisten und Repräsentanten des Verbrecherischen. Die Spielregeln waren sehr simpel: Was auf den Tisch kommt, wird gegessen; die entsprechende Kleidung 24 stundenlang getragen; nach Löschen des Lichts um 22 Uhr erlischt jedes Gespräch; Gewalt wird nicht angewandt. Wenn Sie von Psychologie nicht ganz viel verstehen und sich ein optimistisches Menschenbild erhalten haben, würden Sie wetten, dass nach 14 Tagen eines solchen Gefängnisexperiments die Beteiligten sich auf die Schulter geklopft, 2000 Dollar kassiert und sich wieder zu einer Jahresfeier eingeladen hätten, um voller Sehnsucht sich wieder zusehen.

Was Hanley und Zimbardo vermuteten, wurde von der Wirklichkeit übertroffen. Bereits nach drei Tagen gab es durch die Wachmannschaften, die Vertreter des Guten, die ersten Schwerverletzen. Was auf den Tisch kommt, wird gegessen. Nur hat sich zufällig ereignet, dass jemand an Laktose-Unverträglichkeit leidet. Der kann den Nachtisch nicht essen. ‚Du frisst die Pampe!‘ Eine anderer sagte, ich esse den Nachtisch für ihn. ‚Nein!‘ Er isst ihn und erbricht sich. ‚Leck das auf!‘ So schürt man Aggressionen. Am zweiten Tag sagte einer der Häftlinge: „Sir, es gibt seit den alten Ägyptern vermutlich so etwas, was man Seife nennt. Öle kann man verestern und dann haben sie eine reinigende Wirkung auf den menschlichen Körper. Ich wollte empfehlen, davon Gebrauch zu machen. Mit einem Wort, Sie stinken.“ Am Abend dieses Tages ergießt sich die Wachmannschaft reihum auf den gefesselt am Boden Liegenden. Aber Gewalt wird nicht angewandt. 

Zimbardo hat 2003 gefragt, was man denn erwartet hat, als man 18-jährige, 20-jährige, mit genau dieser Weisung nach Bagdad geschickt hat: „Es liegt an euch, sie zum Reden, zum Quieken zu bringen. Bestimmt haben sie Geheimnisse, die, wenn wir sie nicht rechtzeitig in Erfahrung bringen, amerikanisches Leben gefährden können.“ So ist jedes Mittel recht: Hunde, simulierte Elektroschocks, das Ausstrecken der Arme. Versuchen Sie einmal über 3 Minuten hinaus ihre Arme auszustrecken mit der Angst, dass wenn Sie die Hände bewegen, einen Starkstromschlag auszulösen, der Ihnen durch den Körper fahren wird. Es gibt so viele praktische Verfahren der Folter. Nur dass Amerikaner niemals foltern. Allenfalls lassen sie foltern. Dann war wieder letzte Woche im Kleindruck zu lesen, dass die Deutschen dabei waren. Steinmeier hatte das stets geleugnet. Doch sie wussten genau und waren behilflich. Die Ergebnisse waren hoch erwünscht. 

Alles was das Militär betrifft, besteht in den Sichtblenden. Die da drüben sind keine Menschen mehr. Sie sind Informanten, die man auspressen muss. Sie sind schon die Verkörperung des Bösen, weil sie nicht reden. Es gibt Formen, Menschen zu foltern, indem man die Kultur ausnutzt, um sie als Waffe gegen den Gegner zu wenden, mit allem was möglich war. Es gab in Abu Ghraib Männer, die aus was für Gründen immer nicht redeten. Aber man konnte sie durch ihr Schamgefühl brechen. Muslime haben so etwas. Es war zu viel für einen Iraker, wenn eine halbnackte Frau über einen gefesselten Iraker ging mit Händen, die so aussahen als wären sie mit ihrem Menstruationsblut beschmiert und sie den Geschlechtsverkehr simulierte. Es war jenseits des Denkbaren – identisch mit moralischem Zusammenbruch. 

Das alles ist Krieg: seine Vorbereitung, seine Folge. Die Konfettiparaden zwischen der Ost- und der Westküste – ‚Desert Storm‘ – und General Schwarzkopf ein Held. Dekoriert wurden sie, weil sie mit Bulldozern und Panzern über die Stellungen der Iraker gefahren waren, um gar nicht mehr töten zu müssen, sondern gleich zur Beerdigung zu gehen: sechs Kilometer Frontlänge, lebendige Beerdigungen der Gegner – hochdekoriert, heldisch, amerikanische Kriegsführung.

Man könnte mit Drohnen vieles tun. Man könnte den Zustand der tropischen Regenwälder erforschen. Archäologen könnten unentdeckte Ruinen im antiken Sumer erforschen. Das Beobachten der Meeresbewegungen zum Schutz von Fischen, Säugern und Vögeln wäre möglich. Aber sie einzusetzen, um Menschen zielgenau zu erfassen und ohne Urteil hinzurichten? Jeden Dienstag wird im Weißen Haus die Liste aufgestellt derer, die exekutiert werden. Das zeigt, dass wir das Beste in das Schlimmste verwandeln.

Es ist die Physikerin, unsere Kanzlerin Frau Merkel, die sich vielleicht nicht unbedingt als Pastorentochter, aber als Naturwissenschaftlerin ein Rest von Ethos bewahren sollte. Gesprochen hat sie davon, dass wir Bildung an die Wirtschaft anschließen müssen. Frau Schavan hat genau diese Worte auch im Deutschen Bundestag gebraucht. Sie hat auch davon gesprochen, dass wir den Bildungsvorsprung vor Indern und Chinesen halten müssen, um wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben. Was wir Krieg nennen, ist die Perversion von allem was Wissenschaft heißt. Eben deshalb müssen die Universitäten sich gegen die Werbekampagnen der Bundeswehroffiziere wehren. Wissenschaft bedeutet, Erkenntnisse zu gewinnen, die der ganzen Menschheit gehören. 

Wenn wir eine Rakete ins Universum schicken und da Daten lagern, von denen wir annehmen, dass jeder intelligente Bewohner unseres Universums sie werde lesen können, weil er Mathematik treibe, denken wir ungefähr so, wie Galilei es um 1620 tat: Es gäbe eine Sprache Gottes, die in die Natur eingeschrieben sei und die Naturwissenschaftler zu lesen vermochten. Kann man Erkenntnisse, die allen gehören, verwandeln in Waffen mit Geheimhaltung, mit Konkurrenz in den Waffenschmieden, im gegenseitigen Täuschen? In diesen Widersprüchen besteht, was wir Krieg nennen.

Deshalb gibt es keinen anderen Ausweg, als den Krieg abzuschaffen, ihn mit allen Mitteln loszuwerden. Er ist unserer nicht würdig. Die Kosten seiner Vorbereitung bereits kommen einem Massenmord gleich. Wir rechnen, dass in den sechs Jahren des so genannten 2. Weltkriegs in Europa und Ostasien 50 Millionen Menschen starben. Dabei darf man mehr als 23-25 Millionen Russen allein schätzen. Denkt man noch an die Verbrechen der Wehrmacht, von denen Adenauer sagte, der deutsche Soldat in der Wehrmacht ist immer sauber geblieben. All diese Lügen waren nötig, um 1955 schon wieder in Reih und Glied in die NATO einzutreten. Aber 50 Millionen Tote sind die Durchschnittszahl derer, die auf diesem Planeten verhungern von den inzwischen sieben Milliarden Menschen. Sie müssen verhungern, weil allein in den USA 700 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben werden, weil die NATO alleine drei Viertel aller Rüstungsmittel auf dieser Erde verplempert und weil die Folgen dieser Rüstungspolitik in der Gestalt von Wirtschaftsemigranten mit Drohnen über dem Mittelmeer militärisch bekämpft werden. Wir verwandeln das Mittelmeer in ein Massengrab von mindestens 3000 Toten pro Jahr zum Abriegeln der Südgrenze der Europäischen Union. Wir wollen die Folgen unseres eigenen Handelns nicht sehen und bekämpfen zum Erhalt unserer Sicherheit oder Blindheit diejenigen, die die ersten Opfer unseres Zynismus sind. 

Kann nicht jeder sehen, wofür in Wirklichkeit Krieg geführt wird? Was für ein Schwindel! Wir befreien die Frauen in Afghanistan. Selbst EMMA musste diese Lüge stolz zur Frauenemanzipation verbreiten. Richtig, wir verbreiten mit Krieg die Demokratie. Wir verbreiten mit Lüge die Wahrheit. Wir verbreiten mit Grausamkeit die Menschlichkeit. Was wir in Wirklichkeit verbreiten wollen, ist die Zielsetzung der Ausbeutung des gesamten Planeten zugunsten des Wirtschaftsimperialismus oder des Kapitalismus und die Waffe dazu heißt NATO. 

Es hat keinen Sinn, nur einen Teil der Rüstungspolitik zu problematisieren und hinauszuzögern. Adorno hatte Recht, man kann innerhalb des Falschen nichts richtig machen. Die NATO ist das Falsche. Sie war es von Anfang an. Als wir in Westdeutschland 1955 der NATO beitraten, sollte das die amerikanische Antwort auf die Stalinnote von 1952 sein und war vorweggenommen die Antwort auf den Plan des polnischen Außenministers Rapacki zur Entmilitarisierung zumindest der beiden geteilten Blöcke des Warschauer Pakts und des amerikanischen Einflussgebiets. Man hat uns weiß gemacht, wir brauchten die NATO für die balance of power. Man wagte es, das Gleichgewicht des Schreckens als Frieden zu bezeichnen. Wenn jeder bei der Eröffnung eines atomaren Erstschlags mit je nach Windrichtung 100-150 Millionen Toten am Ende vor der Frage steht, wie es weiter gehen soll, dann kann mit der Abschreckung, dass der Gegner zurückschlagen würde, eine solche Angst verbreitet werden, dass der mögliche Gegner gar nicht anfängt zuzuschlagen. Und wer jeden im Würgegriff hat und müsste nur noch die Hand fester um seinen Hals pressen, kann den anderen zumindest in einem gewissen Rahmen noch wechselseitig kontrollieren. 

Fast 50 Jahre hat dieser Wahn gedauert. Die Leute, die uns regierten, haben allen Ernstes gemeint, dies sei ihre Sorte von Verantwortung. Harry Truman notierte 1952 um wiedergewählt zu werden in seinem Tagebuch, was man alles tun müsste ungefähr so: Fünf Atombomben auf Petersburg, sieben auf Moskau und so weiter. Es gab Politiker, die dachten, dass man bereits abgeschossene Raketen zurückrufen kann. Wenn solche Idioten uns regieren, wem dürfen wir dann noch Macht über Menschen anvertrauen? Dass sie einen Sprung in der Schüssel haben, dürfen wir getrost sagen, ohne jemanden zu beleidigen, auch im Raum einer Universität. Wem 100 Millionen Tote als eine Eintrittskarte in neue Heldentaten dienen, verdient nicht den Umgang mit Menschen. Aber um das zu sagen, müssten wir in unseren Geschichtsbüchern und beim Erziehen unserer Kinder den Begriff der Größe verändern.

Die Jüdin Simone Weil hat 1943 darüber nachgedacht. Sie fragte sich, wie Hitler denn möglich ist. Er stand auf dem Höhepunkt seiner Macht. Ihre Antwort war, dass man ihm beigebracht hat, dass Größe genau darin besteht, zu tun was Alexander der Große und Napoleon taten. Dass Größe sich an der Opferzahl misst. Was wäre denn, wenn er Erfolg gehabt hätte? Wäre er dann nicht ganz groß gewesen? Und soll wirklich erst der Ausgang eines Kriegs darüber entscheiden, wer klein oder groß ist? Richtiger erscheint es, wir nennen den Krieg selbst ein Verbrechen und diese Art von Größe eine Fehlerziehung der Menschen über Generationen hinweg. Groß wird derjenige, der etwas dazu beiträgt, die wahnsinnigen Rüstungsmittel endlich zur Bekämpfung der Gründe der Kriege, zur Beseitigung der Ungerechtigkeit zwischen Nord und Süd und Ost und West und oben und unten zu konvergieren und zusammenzuführen in einem besseren Morgen der menschlichen Geschichte. 

Ein Austritt aus der NATO wird einzig von der Partei die Linke favorisiert und in unseren Mainstream-Medien als Utopie, Illusion und unverantwortlich verschrien. 1989 bot Gorbatschow dem Westen an, nach Beseitigung des Warschauer Pakts genauso die NATO aufzulösen. Sie mache keinen Sinn mehr. Der Kalte Krieg sei vorbei. Nun könne man ein entmilitarisiertes Europa haben vom Ural bis zum Atlantik, das seine gigantischen Fähigkeiten zur Verbesserung des Lebensstandards global und zum Schutz der Natur vor dem Zwinggriff der Ausbeutung einsetzt. Endlich könnten wir in einen Zukunft schauen, die dem Frieden offen stünde. Zum dritten Mal im 20. Jahrhundert boten Russen dies an. Wer es nicht wollte, war Bush der Ältere. Und wer nicht glaubte, es tun zu können, war Helmuth Kohl, der Folgsame.

Seitdem haben wir die NATO unter Bedingungen, die selbst alles in den Schatten stellen, was im Kalten Krieg an Lügen aufbereitet wurde. Selbst wer noch bereit gewesen wäre, sie mit der balance auf power zu rechtfertigen, muss erkennen, dass die NATO seit 1989 zu einer kriminellen Vereinigung, einer mafiösen Organisation mutiert ist. Überall, inzwischen bei der Ostausdehnung, sitzt sie, wo sie nicht hingehört: in Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan,  Georgien, zerreißt die Ukraine, stationiert Raketen in Polen, bewegt sich mit Zentrum in Stuttgart über gesamt Afrika. Die NATO überlässt den Europäern, vor ihrer Haustür zu kehren, damit die Amerikaner freie Hände im Pazifik haben, um mit künstlichen Krisen in Nordkorea, vor allem China in den Griff zu bekommen. 

Die NATO hat keinen anderen Zweck, als Wirtschaftsinteressen des Westens zu globalisieren und das mit allen Mitteln, um den Preis jedes denkbaren Verbrechens. Eine Vereinigung, die ihre Zielesetzungen so offenkundig ändert oder sollten wir sagen, endlich so offen eingesteht, verdient alleine unter den geänderten Geschäftsbedingungen keinerlei Pflicht der Folgsamkeit mehr. Wenn es den Franzosen möglich war, aus der NATO auszutreten, warum hätten wir Deutschen dann nicht das Recht, aus der NATO auszutreten, um endlich ein Stück Menschlichkeit in die Geschichte zu bekommen? Es wäre ein Erdrutsch, aber ein möglicher. Auch Schweden, Dänen und Norweger haben nicht nötig, in der NATO mitzumischen. Selbst den Österreichern war es möglich, die Russen aus Wien heraus zu komplementieren ohne einem Militärbündnis beizutreten. Es gäbe genügend Beispiele. Eines jedenfalls ist klar: Die Zukunft der Geschichte kann nur der Friede sein.

Alles war wir bisher in der Geschichte erlebt haben, bestand darin, dass wir die Areale der Pazifizierung im Inneren und die Bellifizierung im Äußeren vergrößert haben – von den Stadtstaaten im alten Sumer, zu den Machtblöcken von Ost und West im Kalten Krieg und heute zu der unilateralen Machtbeanspruchung des Westens gegenüber dem Rest der Welt, immer größere Einheiten. Der Bürger muss auf Gewalt verzichten, indem er das Gewaltmonopol des Staates anerkennt. Das führt dahin, dass wir unter Nachbarn, selbst wenn wir uns nicht mögen, keinen Krieg vom Zaun brechen. Nach demselben Prinzip kann die Zukunft der Menschheit nur darin liegen, dass wir ein gemeinsames Gewaltmonopol einrichten in einer Art Weltverantwortung, die lokale, nicht lösbare Konflikte als eine letzte juristische Schiedsstelle unparteilich, unvoreingenommen durch eigene Wirtschaftsinteressen für die Kombattanten zu lösen unternimmt. 

Der Weg dahin kann als erstes nur darin bestehen, sämtliche Nationalarmeen und Bündnisse aufzulösen. Die Mittel, die freigesetzt würden, hätten eine enorme Beschleunigung dessen zur Folge, was wir im Kampf gegen die Gründe des Krieges, wie Hunger, Verelendung, Krankheit, mangelnde Bildung, Migration und Versteppung ganzer Kontinente, beseitigen müssen, damit unser Globus lebensfähig bleibt und wird. Kann man den Krieg beseitigen? Es ist kein Wunsch, es ist ein Muss – menschlich, ethisch, religiös, im Namen von allem, das sich mit den tragenden Säulen von Kultur verbindet.

Schließen möchte ich mit einem Wort, das 1947 der deutsche Dichter Wolfgang Borchert formuliert hat, der Autor von ‚Draußen vor der Tür‘, über den Spätheimkehrer Beckmann. Ein Mann, der durch den Krieg traumatisiert ist, wie Hunderttausende GIs nach ihren Einsätzen im Irak und Afghanistan, und der die Welt nur noch durch die Gasmaskenbrille der deutschen Wehrmacht sehen kann. Ein Mann, der nicht erträgt, dass die alten Generäle schon wieder neu dekoriert da stehen, um wieder neu in die Stiefel zu steigen. Beckmann hat Albträume von einem blutbeschmierten General an einem Knochen-Xylophon und will endlich irgendwo seine Schuld loswerden, um ordentlich zu schlafen. Doch dahin kommt er nicht.

Borchert hat damals eine Art Testament formuliert, in der Zeit, die sich damals bot, doch leicht übersetzbar für die Aktualität aller Zeit: „Mutter in Deutschland, Mutter in der Ukraine wenn sie wieder kommen und dir sagen, du sollst Kinder gebären, Mädchen als Krankenschwester für die Hospitäler und Jungen als Soldaten in den Schützengräben – Mutter in Deutschland, Mutter in der Ukraine, sag Nein. Mann an der Werkbank wenn sie wieder kommen und dir sagen, du sollst statt Kochtöpfen Handgranaten und statt Wasserrohren Kanonen ziehen – Mann an der Werkbank, sag Nein. Arzt im Labor, wenn sie kommen und dir sagen, du sollst den neuen Tod für den alten Krieg erfinden – Mann im Labor, sag Nein. Pfarrer auf der Kanzel wenn sie wieder kommen und dir sagen, du sollst den Krieg rechtfertigen und die Waffen segnen – Pfarrer auf der Kanzel, sag Nein. Denn wenn wir nicht Nein sagen, wird das alles schlimmer und schlimmer wieder kommen.“

Wessen Nerven es leiser brauchen, dem kann ich in der lateinischen Sprache des Tibull sagen, der um 50 v.Chr. in den Tagen des Bürgerkriegs des „großen“ Cäsar schrieb: „Bleibt ihr Musen mir weit. Wenn ihr nicht beisteht der Liebe. Nein, ich verehre euch nicht Kriegspropaganda zu lieb.“

Ich danke Ihnen sehr für Ihr Engagement zugunsten des Friedens.

Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de