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Der Umgang der Massenmedien mit Krieg – strukturelle Produktionsbedingungen

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Jörg Becker 

Der Umgang der Massenmedien mit Krieg – strukturelle Produktionsbedingungen

Paper in der Arbeitsgruppe VII: „Medien als Kriegspartei und das Recht“ auf dem IALANA-Kongreß: „Quo Vadis NATO? Herausforderungen für Demokratie und Recht“, 26.4. – 28.4.2013 in Bremen

1. Contentismus

„Das Bild des Afghanistan-Krieges in der FAZ“, „Der Libyen-Krieg in der englischen Presse“, „Der Georgien-Krieg im französischen Fernsehen“ usw., usw. Solche akademischen Arbeiten gibt es leider im Übermaß. Leider deswegen, weil solche Arbeiten zu kurz springen. Denn es ist in der Kommunikationsforschung eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, über den Inhalt eines Mediums nachzudenken, will man zu sinnvollen Aussagen zur sozialen Relevanz medialer Kommunikation kommen.

1. Das theoretisch gut begründete Diktum von der politisch wichtigen Bedeutung des Unpolitischen heißt für weitere Arbeiten über das Bild des Krieges in den Massenmedien, sich nicht länger auf die manifesten, sondern auf die latenten, indirekten und quasi unpolitischen Inhalte einzulassen.

2. Es ist in der empirischen Sozialforschung völlig offen, ob in einem sozialen Wirkungsprozess der Massenmedien der Inhalt, also der Content, die wichtigste Wirkungsvariable ist. So könnte z. B. die ritualisierte alltägliche Nutzung ein und desselben Mediums in einem solchen Wirkungszusammenhang viel wichtiger sein als ihr Content.

3. In den letzten 40 Jahren gab es in der Sozialwissenschaft und damit auch in der Friedensforschung einen cultural turn. Kurz gesagt: Ein idealistischer Ansatz der politischen Kultur verdrängte erfolgreich den materialistischen Ansatz einer Politökonomie. Das hatte mehrfache und höchst fatale Konsequenzen. In den methodischen Debatten über das, was eine Inhaltsanalyse ist und was sie leisten kann, führte dieser Wechsel weg von der Methode der Ideologiekritik hin zur Diskursanalyse. Ohne die wissenschaftstheoretischen Implikationen beim Wechsel von Kritischer Theorie zur Theorie der Postmoderne richtig zu begreifen, ist heutzutage sehr schnell von framing und Diskurs die Rede. Doch bei diesem Wechsel müssen genuin politikwissenschaftliche Kategorien wie Macht, Herrschaft, System und Struktur auf der Strecke bleiben.

4. In der Germanistik verwandelte die Postmoderne dieses Fach in eine neue Art von Medienwissenschaft. Bar irgendeiner Diskussion über die materiellen Bedingungen von Textproduktion feiert diese Medienwissenschaft eine Renaissance von werkimmanenter Literaturinterpretation, wie sie durch Soziolinguistik, Trivialliteraturforschung, Wirkungs- und Rezeptionsästhetik, ideologiekritische Textarbeit usw. nach 1968ff. eigentlich abgeschafft worden war. Es geht hier um ein subjektiv assoziative Glasperlenspiel mit Texten: nett, aber völlig beliebig und unpolitisch. Anders formuliert: Wer lediglich Texte interpretiert, ohne den gesellschaftlichen Konstitutionsprozess dieses Textes mit zu berücksichtigen, verdoppelt Ideologie, selbst da, wo sich der Interpret inhaltlich vom Textangebot distanziert.

5. Daraus folgt, dass bei zukünftigen Beschäftigungen mit dem Zusammenspiel von Massenmedien und Krieg sehr eindeutig das, was ich mit deutlich negativer Konnotation Contentismus nenne, verlassen werden muss. Notwendigerweise muss man sich den gesellschaftlichen Bedingungen von Medienproduktion und Mediennutzung, -rezeption und -wirkung zuwenden.

2. Historisch-systematischer Bedingungszusammenhang: Medien des Krieges / Medien im Krieg 

Im Krimkrieg (1853-1856) kamen parallel zu- und miteinander die Medien Schlachtengemälde, Taubenpost, Unterwasserkabel und Zeitungsberichte zum Einsatz, der Erste Weltkrieg (1914-1918) verhalf den Medien Presse, Karikaturen, Plakate, Postkarten, Fotografie, Film und Telefonie zum Durchbruch, der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939) gab der zwar alten literarisch-journalistischen Gattung der engagierten Sozialreportage einen völlig neuen Glanz, und der Zweite Golfkrieg (1990-19901) war die Sternstunde der Satellitentelefonie und damit der Echtzeitübertragung vom Kriegsgeschehen. Aus diesem nur kursorischen Überblick lassen sich eine Vielfalt von Schlussfolgerungen ziehen.

1. Die Produktionsmittel sowohl der Medien- als auch der Kriegstechnologie sind einem dauernden historischen Wandel unterworfen, und oft genug sind sie Ausdruck ein und desselben Wandels. Das verleiht ein und demselben Medium in unterschiedlichen Kriegen eine unterschiedliche soziale Relevanz.

2. Technisch-eindimensionaler Fortschrittsoptimismus ist hier jedoch (wie auch generell) fehl am Platz: Im High-Tech-Vietnamkrieg nutzte der Vietcong zur Informationsübertragung erfolgreich große Kriegstrommeln und Osama bin Laden arbeitete sehr effektiv mit elektronisch nicht erfassbaren Stafettenläufern und setzte erfolgreich alt-arabische Poesie in seiner Kriegspropaganda ein.

3. In allen Epochen unterliegt das Zusammenspiel von Krieg und Medien folgenden strukturellen Problemen: Geheimhaltung versus Transparenz, staatliche Propaganda versus realistische Kriegsdarstellung, Feindbildproduktion versus differenzierte Wahrnehmung usw. Ob diese Gegensatzpaare freilich eher ähnlich oder eher different zu analysieren sind, muss jeweils konkret und neu entschieden werden.

4. Auch bei diesen sozialen Konflikten ist ein evolutionär-historischer Fortschrittsoptimismus fehl am Platz. Dass z. B. die Intensität von Feindbildern auf einer historischen Fortschrittsachse von Diktatur zu Demokratie abnehme, mag bei genauem Hinsehen ein verhängnisvoller Mythos sein und möglicherweise weisen Freundbilder einen größeren Grad an Verzerrung und Rigidität auf als Feindbilder.

5. Die gegenwärtige Kriegsführung kennt sehr unterschiedliche Spielarten des Cyberwar: Militär- und Industriespionage, staatlich gelenkte elektronische Massenangriffe auf gegnerische Server, Netze, Computer und homepages, Zerstörung der Steuersysteme automatisierter Industrieanlagen und militärischer Waffensysteme, Zerstörung gegnerischer elektronischer Infrastrukturen usw. In solchen Cyberkriegen geht es sehr viel mehr als bisher um die Formensprache und weniger um die Inhalte von Medien. Im gegenwärtigen Syrienkrieg versuchen z. B. Anti-Assad-Kräfte das syrische Staatsfernsehen durch ein komplett anderes (westliches) Fernsehen von außen auszuschalten und zu ersetzen.

6. Unter einem neoliberalen Wirtschaftssystem von Deregulierung, Privatisierung, Kommerzialisierung und Globalisierung wird das öffentliche Gut Journalismus durch ein privatwirtschaftliches System kommerziell arbeitender Public Relations-Agenturen ersetzt. Sowohl Kriegsmarketing als auch der soziale Protest gegen Krieg (Astroturf) werden marktgerecht angeboten und an den Meistbietenden verkauft. Auch wegen dieser strukturellen Veränderungen muss sich das analytische Gewicht weg vom Contentismus und hin zu einer Analyse des Akteurs und seiner politisch-ökonomischen Interessen verlagern.

Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de