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Der Film ruft zu den Fahnen

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BERICHT/159: Quo vadis NATO? – Der Film ruft zu den Fahnen (SB)

Militarisierung der Kultur – Glorifizierung des Krieges

Workshop am 27. April 2013 auf der Konferenz „Quo vadis NATO?“ in Bremen

 

„Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.“ Zur Einstimmung in das Thema „Pentagon und institutionalisierte Kriegs-Spielfilm-Produktion“, einem Vortrag im Workshop „Medien als Kriegspartei und das Recht“, zitiert der Theologe und Publizist Peter Bürger aus der UNESCO-Gründungsakte. Deren Autoren waren noch vom Traum einer zivilisatorischen Entwicklung inspiriert, die die Katastrophe des Krieges vielleicht eines Tages unumkehrbar überwindet. Dieser hehre Anspruch wirkt heute wie aus der Zeit gefallen. 1945, als die UNESCO als Sonderorganisation der Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurde, um weltweit Erziehung, Wissenschaft und Kultur als elementare Träger dieser Entwicklung zu fördern, war die Erfahrungswelt von Millionen Menschen unmittelbar durch die Schrecken des Zweiten Weltkriegs bestimmt. Heute, da die größten Staaten unter den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen nicht mehr durch fremde Aggressoren von Kriegen betroffen sind, ihre Interessen aber mit militärischen Mitteln weit entfernt von den eigenen Territorien ausfechten, können sich ihre Bevölkerungen dem Trugschluß hingeben, daß das Problem des Krieges sie eigentlich nichts mehr angehe.

Wieso also findet, wie der Referent sich ausdrückt, nach drei neoliberalen Jahrzehnten eine „massenkulturelle Verschwörung gegen den Frieden“ statt? Was Bürger als historische Kontinuität einer im Grunde genommen in der gesamten Geschichte der Menschheit präsenten Allgegenwart des Kriegsbis in die imaginierte Zukunft der Science Fiction hinein schildert, bestimmt die kulturindustrielle Produktivität der Unterhaltungsmedien inmitten vermeintlicher Friedenszeiten in einem Ausmaß, daß der eklatante Mangel an kritischer Reflektion über diese „Bildermaschine für den Krieg“, so der Titel eines Buches Bürgers über „Das Kino und die Militarisierung der Weltgesellschaft“, sofort ins Auge sticht. Dies ist für den vielbeschworenen gesellschaftlichen Frieden um so prekärer, als diese „massenkulturelle Aufrüstung“ der europäischen und nordamerikanischen Kulturindustrie auch nicht annähernd äquivalent durch Produktionen antimilitaristischen und pazifistischen Gehalts gekontert wird.

Freigestellt durch die konformistische Logik einer Medienwissenschaft, laut der allein der Konsument darüber befinde, was er anschaut, produzieren die globalen Medienkonzerne weitgehend ungehindert von kritischen Interventionen kriegsverherrlichende Filme von hoher Suggestivkraft. Was im buchstäblichen Sinne zählt, ist die Vermarktungslogik eines Unterhaltungsgeschäfts, das die Kanäle der Information und Kulturproduktion aufgrund seiner oligopolen Macht so hermetisch besetzt, daß der vermeintlich mündige Konsument von vornherein durch die gigantische Maschinerie, die die Unterhaltungsware crossmedial bewirbt und vermarktet, vereinnahmt wird. Er oder sie müssen schon über ein erhebliches Interesse an Alternativprogrammen verfügen, um nicht der raumgreifenden Dominanz der kapitalistischen Kulturindustrie zu erliegen.

So beklagt Bürger zu Recht, daß die vorherrschende Medienpädagogik weitgehend auf normative Anfragen verzichtet und Ideologiekritik zu einem Tabu hat verkommen lassen. Ästhetische Maßstäbe seien ihm zufolge ihrer gesellschaftlichen Genese weitgehend enthoben und bieten keinen Aufschluß mehr zur kritischen Erkenntnis der gesellschaftlichen Widerspruchslagen, denen sie entspringen und die sie reproduzieren. Die Darstellung des aus der Sicht der Operateure an den Konsolen der Distanzwaffen und Kampfdrohnen sauberen Krieges hat den Nexus von Cinema und News, von Fiktion und Faktizität zu einem Amalgam aufregender Kriegsästhetik verschmolzen, das beim Konsumenten hochexplosiver Bilderwelten ehrfürchtige Schauer ob der Macht auslöst, mit der der HighTech-Kapitalismus seine Marktordnung durchsetzt.

Wenn der Rüstungsunternehmer Tony Stark im Film „Iron Man“ einem Trupp Generäle die Wirksamkeit seiner Waffen vor dem Hintergrund einer afghanischen Bergkette demonstriert, die in einem großen Feuersturm nur zu diesem Zweck zerstört wird, dann kann der ironisierende Duktus der Handlung nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Shock and Awe-Strategie bei der Bombardierung Bagdads keinen anderen Zweck hatte, als die irakische Bevölkerung mit übermächtiger Feuerkraft ins Mark zu treffen. Doch auch in weniger glattpolierten Oberflächen des US-amerikanischen Kriegskinos ist das Verhältnis von Affirmation und Subversion meist zugunsten einer prinzipiellen Zustimmung geklärt, das nun einmal Notwendige einfach tun zu müssen. Die Auswirkungen eines solchen Kinos auf die historische und kulturelle Wirklichkeitsauffassung nachwachsender Generationen sind kaum auszuloten, steht doch eine weitere, durch die sozialdarwinistische Konkurrenzgesellschaft bereits hochentwickelte Barbarisierung sozialen Verhaltens in Aussicht, die die negativsten Menschenbilder autoritärer Staatsphilosophie mit entsprechenden politischen Folgen bestätigen.

Dementsprechend kurz greift die bloße Analyse der propagandistischen Anliegen, die im Blockbuster-Format der großen US-Produktionen derart ungefiltert auf das Publikum losgelassen werden, daß der Versuch, darüber hinauszudenken und ihnen mit subversiver Absicht entgegenzutreten, schon an dem technischen und sinnlichen Overkill ihrer filmästhetischen Performanz scheitert. Um dieser Herausforderung auf der Höhe ihrer instrumentellen Intelligenz und medialen Suggestivkraft entgegenzutreten, bedarf es einer gesellschaftspolitischen Analyse, die die materialistischen Voraussetzungen dieser nicht umsonst hegemonial gewordenen Form der Kulturproduktion erhellt.

Desungeachtet geht es, wie der Referent betont, darum, die Produktionsbedingungen des kriegsverherrlichenden Kinos zu untersuchen und die Frage aufzuwerfen, wieso es auch in den Redaktionen der Feuilletons und Kulturmagazine weitgehend unkritisch propagiert wird. Im Zentrum seines Vortrags steht daher die Kooperation zwischen dem Militär und der Unterhaltungsindustrie, namentlich dem Pentagon und Hollywood. So verfügt das US-Verteidigungsministerium über eine eigene Abteilung, die die Zusammenarbeit mit der Filmindustrie organisiert, zudem unterhalten alle Teilstreitkräfte eigene Filmbüros. Dafür, daß die US-Streitkräfte Gerät und Personal fast kostenlos zur Verfügung stellen, verlangen sie nicht nur Einblick in das Drehbuch des betreffenden Films, sondern üben minutiöse Kontrolle über seine inhaltliche Gestaltung aus. Expliziten Antikriegsfilmen kommt eine derartige Förderung, die einen Unterschied im Budget um viele Millionen Dollar machen kann, nicht zugute. Indem die US-Regierung damit eine qualitative Auswahl bei der Filmförderung mit Steuergeldern trifft, obwohl sie im Verfassungsgrundsatz zur strikten Wahrung der Meinungsfreiheit verpflichtet ist, hebt sie ihre kulturelle Verfügungsgewalt auf die gleiche Ebene jener exekutiven Sondervollmachten, die der US-Präsident in seiner Eigenschaft als Commander-in-Chief genießt.

Wie Bürger schon in seinen Studien zu dieser symbiotischen Beziehung geschildert hat, werden dabei ganz systematisch bestimmte Ziele wie die Reinszenierung der kriegsbereiten Nation, das Anwerben neuer Soldaten, die mitunter schon beim Verlassen des Kinos von Rekrutierungsoffizieren angesprochen werden, oder die Revision der Geschichte US-amerikanischer Kriege verfolgt. Allein der Wandel in der cineastischen Darstellung des Vietnamkrieges bietet ein überaus aufschlußreiches Bild vom wirkmächtigen Einfluß der Filmindustrie auf die staatskonforme Korrektur der Wahrnehmung eines Krieges, der ein wesentlicher Anlaß der Politisierung und des Widerstands der US-amerikanischen Jugend in den sechziger und siebziger Jahren war. Unter dem Titel der Versöhnung mit zu ihrer Zeit angeblich zu Unrecht für ihren Kriegseinsatz geschmähten Soldaten wird deren Tragik personalisiert, während das Schicksal der zwei bis drei Millionen gestorbenen Vietnamesen noch mehr zu einer bloßen Fußnote der Geschichte schrumpft. Die Personalisierung komplexer Zusammenhänge ist nicht umsonst das probate Mittel einer Berichterstattung, die keine Position beziehen will und sich dadurch als Sachwalterin hegemonialer Interessen empfiehlt.

Eine weitere, von Bürger dankenswerterweise bestrittene Argumentationsfigur ist die auch in Kriegsfilmen propagierte Neutralität des militärischen Waffenarsenals. Die Dissoziation von technisch-wissenschaftlicher Produktivität und davon angeblich unabhängiger politischer Entscheidungskraft dient der Bereitstellung von Zerstörungspotentialen, die, wenn sie erst einmal losgelassen, eben das tun, worauf sie strukturell und operativ ausgerichtet wurden. Wie beim Befehlsnotstand, mit dem sich schlimmste Verbrechen rechtfertigen lassen, wird Tätern zumindest dann erheblicher rechtlicher Freiraum verschafft, solange sie auf der richtigen Seite stehen. Wenn schließlich über die berüchtigten Doppelstandards in der Kriegführung geklagt wird, dann wird der Primat der Stärke zugunsten seiner weiteren Ermächtigung dadurch bestätigt, daß jegliche Willkür straflos bleibt, wenn sie durch ein entsprechendes Gewaltverhältnis gedeckt ist. So brüsten sich Herolde des neuen Imperialismus wie Cooper gerade mit der Amoralität zweckrationalen realpolitischen Handelns, was einmal mehr demonstriert, daß die Frage des Rechts der der Macht im Zweifelsfall nachgeordnet ist. Auch hier zeigt sich, daß Kriegspropaganda lediglich Ausfluß einer systemischen Problematik ist, der man am ehesten mit der Untersuchung der politischen und staatstheoretischen Folgen kapitalistischer Vergesellschaftung auf die Spur kommt.
Kriegspädagogik à la Spielberg

Abweichend vom Vortrag Bürgers, der aus Zeitgründen vor allem die rechtlichen Implikationen des Pentagon-Hollywood-Nexus zum Gegenstand hatte, soll an dieser Stelle exemplarisch auf das Weltkriegs-Drama „Saving Private Ryan“ verwiesen werden. Diese in der Bundesrepublik 1998 unter dem Titel „Der Soldat Ryan“ gezeigte Produktion des Regisseurs Steven Spielberg erinnert daran, daß es nicht erst der Anschläge des 11. September 2001 bedurfte, um auch kulturindustriell „die Handschuhe auszuziehen“, wie US-Vizepräsident Cheney in Ankündigung des nun anhebenden Verschleppungs- und Folterregimes meinte. Der mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigte Epos über die Anlandung amerikanischer Truppen in der Normandie 1944 wurde bisweilen aufgrund seiner hyperrealen Schlachtszenen als Antikriegsfilm bezeichnet, als ob allein die realitätsnahe Darstellung des blutigen Schreckens irgend etwas Grundlegendes an der Einstellung der Menschen zum Krieg ändern würde. Tatsächlich war das Werk alles andere als ein Anstoß, über die Notwendigkeit des Mordens und die Abgründe der sich auch mit dem Kampf gegen Hitlerdeutschland legitimierenden Kriegspolitik der NATO nachzudenken.

In den USA wurde der Film, den Spielberg persönlich seinem Vater für dessen Verdienste im Zweiten Weltkrieg widmete, insbesondere wegen des durch ihn angeblich bewirkten Verständnisses für dessen Veteranen durch die nachfolgenden Generationen gelobt. Daß es dazu einer Filmgeschichte schreibenden Inszenierung der Eroberung eines Strandes an der französischen Atlantikküste bedurft hätte, kann in Anbetracht der Tatsache, daß der Kriegseintritt der USA nicht nur der Bekämpfung Nazideutschlands geschuldet war, sondern aufgrund der absehbar erfolgenden Neuaufteilung der globalen Machtsphären quasi eine unerläßliche geostrategische Notwendigkeit darstellte, kaum überzeugen.

Einen viel größeren Nutzeffekt hatte „Saving Private Ryan“ für die nach dem Ende des Kalten Kriegs eröffnete Phase der militärischen Reorganisation der globalen Hegemonie der NATO-Staaten. Was 1991 mit einem Krieg gegen den Irak eingeleitet wurde, der mit der flächendeckenden Zerstörung der zivilen Infrastruktur des Landes unmißverständlich auch gegen seine Bevölkerung gerichtet war, fand in der Zuspitzung des Konfliktes zwischen der NATO und Jugoslawien seine Fortsetzung. Hier konnte ein moderner Geschichtenerzähler wie Steven Spielberg einem legitimatorischen Bedarf genügen, der 1999 mit dem Überfall der NATO auf Jugoslawien manifest wurde.

Der zentrale Mythos, den es damals wie heute zu befestigen gilt, ist der des hochmoralischen Anspruchs, unter dem US-amerikanische Soldaten ins Feld ziehen. Nicht nur Henry Kissinger, einer der aggressivsten Verfechter des militanten Antikommunismus, nutzt gerne das Credo vom guten Krieger, wie er anläßlich der UN-Friedensmission in Somalia, bei der die US-Marines bis zu 10.000 in Kämpfen erschossene Bürger des Landes auf ihrem Erfolgskonto verbuchen konnten, im britischen „Guardian“ vorführte: „Tatsächlich wurde jeder Krieg, den die Amerikaner in diesem Jahrhundert geführt haben, mit moralischen Motiven begründet. (…) Die neue Herangehensweise beansprucht eine Erweiterung der moralischen Reichweite.“

Kissinger meint die Doktrin eines humanitären Interventionismus, für die es sich bestens fügte, wenn Staatschefs wie Saddam Hussein oder Slobodan Milosevic auf der Basis des Spielbergschen Gut-Böse-Rasters zu neuen Hitlers gekürt wurden, um zu belegen, daß sich die internationale Völkergemeinschaft kein zweites Mal auf die Appeasement-Politik des britischen Premierministers Neville Chamberlain einlassen dürfe. Die an diesem Beispiel in Jugoslawien und im Irak herangezogene Unerläßlichkeit aggressiven Handelns verdichtete einen historisch ganz anders gelagerten Fehler, der seinerseits eher machtpolitischem Kalkül als bloßer Ignoranz geschuldet war, zu einer wirkmächtigen Allegorie, der kaum zu widersprechen war, da man sich damit als Apologet Hitlers kenntlich gemacht hätte.

Wer wollte da als Jugendlicher zurückstehen und sich der patriotischen Pflicht entziehen, um von Opposition und Protesten gar nicht erst zu reden. In „Saving Private Ryan“ konnte sie oder er sehen, worum es im Krieg geht, wurde dieser Film doch ganz offiziell als Heldenmaschine für junge Soldaten vor ihrem ersten Kriegseinsatz empfohlen. Mit seiner Hilfe könnte sich der frischgebackene Soldat auf die Herausforderungen des Kampfes angemessen vorbereiten, meinte ein Militärexperte aus Spielbergs PR-Truppe bei Erscheinen des Films. Stephen Ambrose, Autor mehrerer Bestseller über den Zweiten Weltkrieg, stellte die cineastische Wehrertüchtigung Marke Spielberg 1998 so dar:

„Die Menschen brauchen Helden. Der Zweite Weltkrieg gibt uns echte Helden, völlig authentische Menschen, die von Charakteren repräsentiert werden, wie sie Tom Hanks in dem Film verkörpert. Gewöhnliche Menschen, die in außergewöhnlichen Zeiten beobachtet werden und die Großes vollbracht haben, von dem die ganze Welt profitiert hat.“

Ambrose war von Steven Spielberg, der seine Bücher gelesen hatte, vor der endgültigen Fertigstellung von „Saving Private Ryan“ gebeten worden, sich den Film anzusehen, um seine historische Richtigkeit zu beurteilen. Ambrose gab ihm ein uneingeschränktes Plazet und stellte sich zudem als Berater für die Werbekampagne zur Verfügung. Dort vertrat er etwa die These, daß Kriegsfilme immer einen tiefgreifenden Effekt auf zukünftige Kriegshelden hätten und daß mit diesem Film ein ganz anderes Bild vom Zweiten Weltkrieg vermittelt würde, als es die Soldaten früher mit nach Vietnam genommen hätten:

„Das nächste Mal, wenn dieses Land seine jungen Männer in den Krieg schickt, wird es sich um Kids handeln, die ‚Saving Private Ryan‘ gesehen haben und deshalb wissen werden, daß sie die schlimmste Erfahrung vor sich haben, die ein Mensch jemals machen kann. Sie ziehen in den Kampf, und sie werden sehr viel besser vorbereitet sein, die außerordentlichen Herausforderungen des Kampfes zu meistern, weil sie John Wayne aus ihrem Kopf verbannt und dafür Tom Hanks hineingetan haben.“

So vermittelt das Kino nicht nur moralische Werte, sondern auch, wie sie durchzusetzen sind, ob der Feind nun unter dem Hakenkreuz, dem roten Stern, der aufgehenden Sonne oder dem grünen Halbmond daherkommt. Der aufgrund seines übertriebenen Draufgängertums und seiner unrealistischen Überlebensfähigkeit geschaßte Ledernacken John Wayne machte einer moderneren Version des US-Kriegshelden Platz, der weniger macho sein mochte, dafür aber einen humanitär aufgerüsteten Militarismus propagierte, der nicht minder mörderisch war.

Auch die amerikanische Filmhistorikerin Jeanine Basinger, Verfasserin des Grundlagenwerks The World War Two Combat Film, hielt den Zeitpunkt des Erscheinens von „Saving Private Ryan“ für goldrichtig. Jeder Generation sei durch Filme ein eigenes Verständnis über den Zweiten Weltkrieg vermittelt worden, und auch jetzt brauche die Nation wieder solche Filme, erklärte sie in Vorschau auf kommende Kriege. Auch wenn das Anschauen eines Kriegsfilms den Soldaten kaum kampfestauglicher machen dürfte, so verfestigt er doch den Mythos von der gerechten Sache und die Notwendigkeit des persönlichen Opfergangs. Auf diese Weise läßt er sich bereitwillig auf Handlungen konditionieren, die einem Menschen zutiefst widerstreben, wie etwa das Befolgen eines Befehls, dessen Ausführung tödlich enden könnte.
Handlungsnotstand legitimiert Folter

Das martialische Historisieren der 1990er Jahre ging fugenlos über in den filmwirtschaftlich höchst ertragreichen Aufschwung zur cineastischen Glorifizierung des nach dem 11. September 2001 erklärten Krieges gegen den Terrorismus. Peter Bürger erinnert daran, daß die dieses Thema bedienenden großen Kinofilme wie auch wichtige TV-Serien bereits vor den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon produziert waren. Die Vorbereitung des Irakkriegs und weiterer Feldzüge zur Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens waren längst im Gange, man könnte aber auch sagen, daß das US-Kino und -Fernsehen schlicht an die Normalität des Imperialismus andockte. Die in Folge von „Saving Private Ryan“ gedrehte und vom US-Militär koproduzierte TV-Serie „Band of Brothers“ wurde zu diesem Zeitpunkt bereits ausgestrahlt, während die Produktion des sogenannten National Security Thrillers „24“ zwar angelaufen war, es jedoch erst im November 2001 zur Premiere der überaus erfolgreichen TV-Serie kam. Auch auf diesen vom neokonsvervativen Sender Fox TV produzierten Kampf einer fiktiven Antiterroreinheit gegen Terroristen, die die USA bedrohen, soll abweichend vom Vortrag Bürgers an dieser Stelle aufgrund ihrer hohen Relevanz für die kulturelle wie rechtliche Legitimation der Kriegführung gegen den äußeren wie inneren Feind eingegangen werden.

So befand sich diese TV-Serie ganz auf der Höhe einer global entgrenzten Kriegführung, die immer weniger zwischen innerer und äußerer Sicherheit, zwischen Zivilist und Soldat, zwischen militärischer und polizeilicher Gewaltanwendung, zwischen Normalität und Notstand unterschied. Sie propagierte die Permanenz des Ausnahmezustands in einem Land, das im Prinzip ständig, wie es damals hieß, „under attack“ war. Bezeichnenderweise waren die Angreifer der ersten Staffel in Anknüpfung an den Jugoslawienkrieg noch serbischer Herkunft, bevor in der zweiten Staffel auf den Nahen und Mittleren Osten als Ursprung der amerikafeindlichen Bedrohung übergeblendet wurde.

2007 untersuchte die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights First die inflationäre Zunahme von Folterszenen, die in den USA zur besten Sendezeit in TV-Serien und Kinofilmen gezeigt werden. Demzufolge wurden im Jahr 2000 42 Szenen gezeigt, in denen das Quälen von Menschen zwecks Aussageerpressung im Mittelpunkt stand, während es im Jahr 2003 bereits 228 Szenen waren. Vor allem jedoch hatte sich die Bewertung der Folter grundlegend verändert – waren es früher zumeist die Bösewichte, die sich mit grausamen Methoden an Gefangenen vergingen, so waren es später vor allem die Sympathieträger und Helden. Wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen hatte die TV-Serie „24“, bediente sie sich doch extensiv des von Folterbefürwortern gerne herangezogenen Szenarios der tickenden Bombe, um den Handlungsverlauf als Rennen gegen die Uhr dramaturgisch aufzuladen. Die sich daraus ergebenden Zwangslagen führten regelmäßig zur Folterung von Verdächtigen, deren Aussagen sich als desto wertvoller erwiesen, je weniger Rücksicht der Staatsschutzagent Jack Bauer walten ließ. Auch wenn das Quälen mitunter den Falschen traf, so wurde diese Verhörmethode in der TV-Serie als rundheraus effizient und unverzichtbar propagiert.

Da der Zuschauer im Unterschied zu den in „24“ agierenden Antiterroragenten häufig bereits wußte, daß ein Verdächtiger ihnen ermittlungsrelevante Informationen vorenthält, und der Druck der rasanten Entwicklung nach schnellen Ergebnissen verlangte, fieberte er gewissermaßen mit den Folterschergen dem erlösenden Ergebnis einer sachdienlichen Aussage entgegen. Mit 67 Folterszenen, in denen eine Vielzahl verschiedener Foltermethoden angewendet wurden, während der ersten fünf von insgesamt acht Staffeln ließen die Macher der Serie keine Gelegenheit aus, die Unerläßlichkeit des Quälens sogenannter Terrorverdächtiger und damit die Aufhebung des absoluten Folterverbots zu propagieren.

Laut einem Bericht des US-Magazins The New Yorker von 2007 war die Wirkung dieser Folterszenen auf das Publikum so eindrücklich, daß der Direktor der US-Militärakademie West Point, Brigadegeneral Patrick Finnegan, zusammen mit drei Verhörexperten der US-Streitkräfte und des FBI nach Kalifornien reiste, um die Produzenten der TV-Serie darum zu bitten, die einhellige Propagierung der Folter aufzugeben. Die auch bei den US-Truppen sehr beliebte ultrapatriotische Serie wirke sich negativ auf die jungen Soldaten aus, da sie nicht mehr verstehen könnten, was falsch am Einsatz von Foltermethoden bei Verhören sein solle. Finnegan soll sich Sorgen um das durch Folterlager wie Guantanamo, Abu Ghraib und Bagram bereits stark beschädigte Ansehen der US-Streitkräfte gemacht und zudem befürchtet haben, daß an US-Soldaten nach einer Gefangennahme auf entsprechende Weise Rache genommen werde. Der für die Ausbildung des Offiziernachwuchses der US-Streitkräfte zuständige Offizier konnte die Phalanx der Folterbefürworter in der Filmindustrie wie der US-Regierung, die es für eine patriotische Pflicht halten, zum Schutze der nationalen Sicherheit alle nur erdenklichen Gewaltmittel einzusetzen, jedoch nicht beeindrucken.

Zu den ausgesprochenen Fans der Serie zählte auch ein Richter des Supreme Court in Washington, dem obersten Gericht der USA. Antonin Scalia fühlte sich 2007 auf einer internationalen Juristentagung im kanadischen Ottawa bei einer Debatte um Antiterrorgesetze von einem kanadischen Richter, der mit einem Stoßseufzer der Erleichterung von sich gab, daß „die Sicherheitsbehörden all unserer Länder nicht das Mantra unterschreiben ‚Was würde Jack Bauer tun?“, in seinem Nationalstolz verletzt. Er verwahrte sich gegen seine Vereinnahmung in den vermeintlichen Konsens der Rechtsstaatlichkeit und begründete seine Forderung, Bundesagenten in Krisenzeiten erhebliche Handlungsvollmachten eben auch zum Foltern von Terrorverdächtigen zuzugestehen, mit dem Argument, daß Jack Bauer Los Angeles und damit Hunderttausende von Menschenleben gerettet hätte. Scalia bezog sich auf den Plot der zweiten Staffel der TV-Serie, in der Bauer mit diesem Mittel einen nuklearen Anschlag auf die Westküstenmetropole verhinderte. Wer von den anwesenden Richtern wolle Bauer wohl dafür verurteilen, das Richtige getan zu haben, fragte Scalia provokant in die Runde und hielt dem Publikum jene tickende Bombe vor Augen, mit der Folterbefürworter stets bei der Hand sind, wenn es um die Legitimierung grausamer Verhörmethoden geht. Damit hatte der Verfassungsrichter selbst den Vollzug exekutiver Gewalt in ihrer aggressivsten Form gutgeheißen, um diejenigen, die im Kampf gegen Terroristen den Rechtsstaat heranzitieren, ihrerseits zu verdächtigen, eine Gefahr für die nationale Sicherheit zu sein. Folgerichtig hieß Scalia den Anspruch des US-Präsidenten George W. Bush, sich unter Berufung auf den übergesetzlichen Notstand über die Grundrechte der Bürger hinwegzusetzen, auch in der Richterrobe vorbehaltlos gut.

Rechtsfragen sind auch und gerade im Krieg Machtfragen

Um die Auswirkungen des Krieges auf das Recht geht es auch Peter Bürger, als er in seinem Vortrag an den Film „Rules of Engagement“ des Jahres 2000 erinnert. In dieser Hollywood-Pentagon-Produktion, deren Titel dem Begriff des US-Militärs für die Regeln im Kampfeinsatz entspricht, ging es um die Evakuation einer US-Botschaft im Jemen, die von protestierenden Arabern umringt ist. Wie der Referent anhand der Vorführung einer Filmszene demonstriert, blieben nach dem Schußwaffeneinsatz der die Botschaft bewachenden Soldaten 86 Tote und 100 Schwerstverwundete auf dem Vorplatz zurück. Bürger zufolge diente der Film dazu, ein neues Normbewußtsein zu schaffen, indem die Legitimation des Schießbefehls, der trotz vieler Frauen und Kinder in der Menschenmenge erteilt wurde, in dem anschließenden Militärgerichtsverfahren rückwirkend produziert wurde. Erst in der Rückschau kann der Zuschauer sehen, daß auch die Demonstranten lebensgefährliche Waffen gegen die US-Soldaten einsetzen. Selbst ein kleines Kind hält eine Pistole in der Hand, ist also ein legitimes Ziel. Mit solchen massenkulturellen Mitteln würden Kollateralschäden und Kriegsverbrechen vorbereitet, meint Bürger und erinnert noch einmal daran, daß der Film vor dem 11. September 2001 gedreht wurde.

Zur Frage, was aus friedensbewegter Sicht gegen die Militarisierung der Kultur unternommen werden kann, schlägt Bürger vor, friedenspolitische und friedenspädagogische Alternativen wie etwa eine Webseite, die aufklärerische Filme zugänglich macht, anzubieten. Auch solle die Kooperation von Rüstungsindustrie und Militär bei Unterhaltungsprodukten nach Art des Verbraucherschutzes auf eine Weise kenntlich gemacht werden, die unübersehbar ist. Das Programm kantianischer friedenspolitischer Ideen, über das er durchaus verfüge, könne in Anbetracht der realen Machtverhältnisse auch im Bereich der Massenkultur jedoch nicht die eigentliche Gegenstrategie sein. Bürger illustriert die Vergeblichkeit der Forderung, etwa die demokratische Kontrolle der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr zu stärken, am Beispiel vergeblicher Proteste gegen Panzer-Exporte in Spannungsgebiete.

Daher sei auch die Zensur kriegsverherrlichender Filme und Computerspiele keine aussichtsreiche Möglichkeit, das schrecke die junge Generation der Mediennutzer nur ab. Viel wichtiger sei das politische Drehbuch hinter den kriegsaffinen Medienprodukten, führe doch die Militarisierung in eine autoritäre, unfreie Gesellschaft. Wer sich gegen Medienzensur stelle, der müsse auch die militarisierte Kultur verhindern, was dem demokratischen Selbstverständnis des aufgeklärten Bürgers allemal entsprechen müßte. Zudem bedürfe es einer breiten kulturellen Alternative, die eine Liebe zum Leben vermittele, die sich gesellschaftlich im Dialog von Menschen, in der Verwirklichung der Völkergemeinschaft und einer globalen Kultur, die Lust auf das Neue mache, manifestiere.

Ohnehin produziert das Konkurrenz zwischen Menschen wie Staaten entfachende kapitalistische Weltsystem einen erheblichen Bedarf an Widerspruchsregulation. Da die innere Grenze der Kapitalverwertung, mit immer weniger mehrwertproduzierender Arbeit noch Anlagemöglichkeiten für die rasant anwachsenden Mengen fiktiven Kapitals zu schaffen, soziale Konflikte aller Art erzeugt, steht das Mittel kriegerischer Reorganisation nicht mehr werthaltiger Produktionsfelder stets zur Disposition. Was sich in gesellschaftlichen Verteilungskämpfen zum potentiellen Bürgerkrieg zuspitzt, findet auf globaler Ebene in der gewaltsamen Neuordnung ganzer Regionen der wirtschaftlich prekären Peripherie zwecks Marktöffnung, Investitionsschutz und Ressourcensicherung statt. Davon auszugehen, daß die Abwesenheit kriegerischer Gewaltanwendung in den westlichen Metropolengesellschaften gleichbedeutend mit sozialem Frieden sei, bedarf daher der kritischen Überprüfung. Die cineastische Glorifizierung des Krieges jedenfalls teilt den Menschen etwas anderes mit.

 

Fußnoten:

zur TV-Serie „24“ ausführlich:
KULTUR/0844: „24“ … Jack Bauer geht, der Ausnahmezustand bleibt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele0844.html

zur Kooperation von Pentagon und Hollywood siehe auch „Empire“ auf Al Jazeera:
Hollywood and the war machine
http://www.aljazeera.com/programmes/empire/2010/12/2010121681345363793.html

 

 

Peter Bürger. Kurt Gritsch, Peter Vonnahme, Marcus Klöckner, Martina Haedrich, Sabine Kebir (v.l.n.r.)
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Vortrag mit großer Emphase dem Thema gemäß
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Gespannte Aufmerksamkeit für kulturkritische Intervention
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Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de