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Neue Partizipationschancen durch Social Media

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Quo vadis NATO ? Kongress der IALANA in Bremen vom 26. bis 28. 04. 2013

Erster Entwurf

Stand 03.05.2013

Bericht aus der Arbeitsgruppe II

Krieg und Frieden: Beteiligungs- und Entscheidungsrechte von BürgerInnen – informati­onelle und institutionelle Voraussetzungen

Konzeption und Moderation: Annegret Falter 

Mitwirkende: Jenny Becker, Hans Lietzmann, Wolfgang Neskovic, Thilo Weichert

I Fragen

[Von Annegret Falters Fragen habe ich nur diejenigen übernommen, die in der Diskussion tatsächlich eine Rolle gespielt haben.]

Woher können wir wissen, ob das, was die NATO und ihre Mitgliedsstaaten planen, fi­nanzieren und in ihrer Praxis im Bereich von Krieg und Frie­den tun, mit dem geltenden Recht, insbesondere mit dem Friedensgebot des Grundgeset­zes und der UN-Charta ver­einbar ist? Haben denn wir, haben unsere Abgeordneten Zugang zu den einschlägigen Doku­menten der Regierung, der öffentlichen Verwaltung, der Nachrichtendienste? Wie kön­nen wir uns Informationen verschaffen? Woher und wann wissen wir überhaupt, dass etwas „im Gange“ ist?

Wie ist es um die Informationspflichten der Regierung oder der Nachrichtendienste be­stellt? Sind wir nicht geradezu auf Insider angewiesen, die ihre Geheimhaltungspflicht bewusst und im öffentlichen Interesse missachten (Whistleblower)?

Selbst wenn alle informationellen Voraussetzungen gegeben wären – was wäre dann die Konsequenz? (Wie) könnten wir uns etwa gegen Völkerrechtsverletzungen der Nato weh­ren?

II Bestandsaufnahme

Die Frage nach Information und unmittelbarer Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger entspringt den Mängeln parlamentarischer Kontrolle und Entscheidungen.  In Nordrhein-Westfalen haben bei einer Untersuchung zwischen 60 % und 86 % der Landtagsabgeord­neten – je nach Sachgebiet – angegeben, dass sie nicht glauben, politischen Einfluss zu haben.

Wenn die Wahlbeteiligung zurückgeht und ganze Quartiere sich aus der Poli­tik verab­schieden, stellt sich die Frage nach direkter Demokratie als Alternative.

Einer der Gründe für die geringe Erfolgsquote bei Volksabstimmungen wird in der man­gelnden Fachkenntnis der Abstimmenden gesehen. Dieser Mangel beeinträchtigt auch parlamentarische Entscheidungen.

Aus alledem folgt für Hans Lietzmann die Frage nach Verbesserung und Ergänzungen der Verfahren zur Beschaffung von Informationen.

II.1 parlamentarische Kontrolle

Eine wesentliche Grundlage für Regierungsentscheidungen, bei denen es um Krieg und Frieden geht, sind die Berichte der Geheimdienste. Diese unterliegen gemäß Art. 45 d) GG  einer parlamentarischen Kontrolle durch ein vom Bundestag bestelltes Kontrollgre­mium, das aber zu einer effizienten Kontrolle nicht in der Lage ist.

Den 11.000 Mitarbeitern der Geheimdienste stehen 11 Mitglieder des Kontrollgremiums gegenüber, dessen Sitzungen nicht mehr als 3 Stunden pro Woche umfassen. Die allge­meinen Fragerechte der Abgeordneten sind insofern von vornherein ineffizient, als sie nicht das Recht auf Akteneinsicht umfassen. Das Gremium hat keinen Zugriff auf Infor­mationen ausländischer Geheimdienste, die von deutschen Geheimdiensten benutzt wer­den.

Im Ergebnis dürfen die Mitarbeiter des BND mehr wissen als die Abgeordneten. Für eine grundsätzliche verfassungsge­richtliche Überprüfung dieses demokra­tietheoretisch un­möglichen Zustands gibt es kein Klagerecht.

Wegen einzelner Streitfragen sind diverse Verfahren beim Bundesverfassungsgericht an­hängig. Auch deren Effizienz wird gering bleiben; denn selbst wenn eine Klage erfolg­reich sein sollte, wird bis zur Entscheidung meistens die Legislaturperiode bereits abge­laufen sein.

Neben diesen strukturellen Defiziten des Kontrollgremiums allgemein besteht ein weite­res Defizit darin, dass seine Beschlüsse jeweils eine Mehrheit erfordern. Die Regierung basiert auf einer parlamentarischen Mehrheit im Bundesgag, die sich auch im Kontroll­gremium wiederfindet und Beschlüsse zu Lasten der Regierung verhindern kann.

Nach Einschätzung von Wolfgang Neskovic hat es in Sachen Informationsfreiheit in den letzten 8 Jahren erhebliche Verbesserungen gegeben, aber es bleibt noch viel zu tun. Ins­besondere müssten Minderheitenrechte für die einzelnen Abgeordneten im Kontrollgre­mium eingeführt werden.

Neben den Rechten des Kontrollgremiums haben alle Abgeordneten die Möglichkeit, von den Behörden Auskünfte nach dem Informationsfreiheitsgesetz anzufordern. Es hat sich gezeigt, dass Anfragen von Abgeordneten gelegentlich erfolgreicher sind als Anfragen aus dem Volke.

II.2 Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz

Partizipation setzt Information voraus.

Seit dem Jahre 1996 gilt in der Bundesrepublik das Informationsfreiheitsgesetz, das einen grundsätzlichen Anspruch gegenüber den Behörden des Bundes auf Zugang zu amtlichen Infor­mationen eröffnet. Nicht die Bürgerinnen und Bürger müssen ihr Interesse an einer Informa­tion begründen, sondern die Behörde muss gegebe­nenfalls begründen, warum sie den Anfragenden eine erbetene Information vorenthalten darf.

Hierfür kommt vor allem § 3 des Gesetzes in Betracht, der Aus­nahmen zum „Schutz von besonderen öffentlichen Belangen“ vorsieht, „wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen haben kann auf a) internationale Beziehungen, b) militärische und sonstige sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr, c) Belange der inneren oder äußeren Sicherheit …“. So sind VS-Sachen generell von der Auskunftspflicht aus­geschlossen, desgleichen Fragen, bei denen es um internationale Belange geht.

Mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes konnten diverse Themen der Bundeswehr (z.B. Baumaßnahmen, Gesund­heit) öf­fentlich gemacht werden.

Auch die Europäische Union hat eine Regelung getroffen, die einen allgemeinen An­spruch von Bürgerinnen und Bürgern auf Einsicht in Dokumente der EU vorsieht.

Das Land Hamburg hat im Jahre 2012 als Folge von Bürgerinitiative anstelle seines frü­heren Informa­tionsfreiheitsgesetzes ein Transparenzgesetz beschlossen, nach welchen die Behörden nicht nur auf Anfrage, sondern von sich aus Informationen zu erteilen. Derar­tige Initiativen gibt es mittlerweile auch in anderen Bundesländern.

[Frage an Thilo Weichert: Um welche Informationen handelt es sich, wie werden sie veröffentlicht? In einer ungebremsten Informationsflut würden die Menschen ja wohl ersaufen. ]

Nach Einschätzung von Thilo Weichert sind in Deutschland noch immer Nachwirkungen des preußischen Amtgeheim­nisses zu beobachten.

II.3 Liquid Democracy

Breitere Öffentlichkeit und eine qualifiziertere politische Meinungsbildung verspricht sich die Piraten-Partei vom „Partizipativen Parlamentarismus“: Vorschläge für politische Entscheidungen werden im Internet diskutiert. Nach einiger Zeit wird im Internet darüber abgestimmt. Wenn sich ein Vorschlag auf diese Weise durchgesetzt hat, sind die Land­tagsabgeordneten der Partei aufgrund einer Selbstverpflichtung daran gebunden. Es wird angenommen, dass sinnlose Vorschläge sich in der „Schwarmin­telligenz“ nicht durchset­zen.

Das Internet kann die bestehenden ungleichen Chancen infolge ungleicher Bildung nicht aufheben. Sie wirken sich aber nach der „online-affinen“ Sichtweise bei der Informati­onsgewinnung über das Internet weniger stark aus als dort, wo Zeit und Kosten für die Anschaffung von Büchern oder Fahrten zu Bibliotheken aufgewandt werden müssen. 

Dem Internet wird zugetraut, bestehende Chancenungleichheiten reduzieren zu können, die sich daraus ergeben, dass die Teilnahme an Versammlungen und Veranstaltungen mit einem Aufwand an Zeit und Kosten verbunden ist, den sich nicht alle in gleicher Weise leisten können. 

Beispiele für Online-Kampagnen zur Mobilisierung von Massen gibt es bereits, genannt werden Avaaz und Campact.

Ein grundlegender Vorteil der Liquid Democracy wird darin gesehen, dass es möglich ist, Stimmen zu delegieren, sodass sie sich dort ansam­meln, wo Expertise vorhanden ist. Die Delegation kann im Internet verfolgt und bei Misstrauen widerrufen werden, anders als die bei Wahlen für 4 Jahre abgege­bene Stimme. 

Durch Datenschutz und Anonymisierung ist das System betrugsanfällig. Zwischen Transparenz und Information einer­seits und Da­tenschutz andererseits besteht ein Span­nungsverhältnis. 

Derzeit findet in Ostfriesland ein Projekt der Liquid Democracy statt, das wissenschaft­lich begleitet wird: 

LiquidFriesland ist eine Online-Plattform des Landkreises Friesland, durch die eine neue Form der Bürgerbeteiligung verwirklicht werden soll. Neu an LiquidFriesland ist insbesondere die Verknüpfung von Formen der Online-Demokratie mit der durch Landesrecht vorgegebenen Kommunalverfassung.

Mit Hilfe des Programms LiquidFeedback soll der Prozess der demokratischen Willensbildung und Entscheidungsfindung unterstützt werden. Bürger des Landkreises Friesland können ab der Vollendung des 16. Lebensjahres einen persönlichen Zugang zu dem Programm erhalten und sich an Diskursen über Vorhaben, für die der Landkreis als Gebietskörperschaft zuständig ist, sowie an Abstimmungen über diese Vorhaben beteiligen. LiquidFriesland wurde vom Kreistag des Landkreises auf Initiative des Landrats Sven Ambrosy (SPD) einstimmig beschlossen. Der Kreistag griff dabei auf ein aus den USA stammendes Demokratiemodell zurück, das in Deutschland zuerst von Teilen der Piratenpartei Deutschland diskutiert wurde. Diese Diskussion war 2009 Anlass für die parteiunabhängige Entwicklung der Software LiquidFeedback durch den Public Software Group e. V. Weitere Kommunen erwägen, das Modell LiquidFriesland für ihren Bereich zu übernehmen.

Nach Überzeugung von Jenny Becker bewegen wir uns dahin, dass wir alle „oline-affin“ sein werden. 

III. Whistleblowing

Wenn die formelle Wege der Kontrolle sich als ineffektiv erweisen, dann kann oft nur die Entscheidung von Geheimnisträgern helfen, ihre Loyalität gegenüber der Menschheit über die Loyalität gegenüber den Vorgesetzten zu stellen und geheime Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen. Ein eindrucksvolles  Beispiel hat in jüngster Vergangenheit der US-amerikanische Soldat Bradley Manning gegeben. 

Hierfür hat sich der Begriff „Whistleblowing“ eingebürgert. Als Metapher würde ihm näherungsweise das deutsche „Ausposaunen“ entsprechen. Für ihn hat sich keine  deut­sche Übersetzung durchgesetzt. So gehört „Whistleblowing“ mittlerweile zum deutschen Wortschatz.  

Whistleblower sind häufig die einzigen Personen, die vertrauliche oder geheime Sach­verhalte wenigstens soweit enthüllen können, dass ein Informationsinteresse bei Journa­listen oder sonstigen zivilgesellschaftlichen Akteuren erst geweckt wird. Oft sind auch nur sie aufgrund ihres Insiderwissens im Stande, Risiken, Rechtsbrüche und politische Folgen rechtzeitig zu erkennen. 

Sie riskieren – wie gerade das Beispiel Manning zeigt – erhebliche Sanktionen, obwohl Enthüllungen im öffentli­chen Interesse sind. 

In den USA werden Sachverhalte zunehmend durch „Klassifizierung“ als geheim dekla­riert, wodurch sich das Risiko ihrer Veröffentlichung erhöht und die Informati­onen zu­rückgehen. 

Viele dieser Fälle – einschließlich der damit verbundenen Risiken – spielen sich im Be­reich des Arbeitsrechts ab. Der arbeitsrechtliche Schutz für Whistleblower ist in Deutschland schlechter als in anderen Ländern.  

Anlässlich der Verleihung des Whistleblowerpreises 2011 an Bradley Manning hat die Jury, der Annegret Falter angehörte, eine Ausweitung des Schutzes gefordert:

„Die Offenbarung von Vorgängen, die gegen die Verfassung, ins­besondere die Grund­rechte, und gegen das Völkerrecht verstoßen, müssen durch den Gesetzge­ber oder zu­mindest die auslegende Rechtsprechung von strafrechtlicher Verfol­gung freigestellt wer­den.“

Christoph Strecker

Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de