rss search

Anstöße zur Diskussion

line

arrow-back-1zurück

line

dieter-deiseroth

Foto: © 2013 by Schattenblick – www.schattenblick.de

9/11 und der NATO-Bündnisfall – Rechtliche Nachfragen
Plenum IV am Samstag, den 27.4.2013, 12.00 – 13.00 Uhr

Anstöße zur Diskussion
von Dr. Dieter Deiseroth

Konferenz „Quo vadis NATO? – Herausforderungen für Demokratie und Recht“

In Bremen vom 26. – 28.4.2013

 


Chronologie: NATO nach 9/11

11.9.2001: Entwurf eines Statement des NATO-Rates durch Mitglieder des Stabs: „If it is determined that this attack was directed from abroad against the US it shall be regarded as an action covered by Art. 5 of the Washington Treaty“ (= NATO-Vertrag).

13.9.2001: Zustimmung von US-Präsident George W. Bush und US-Außenminister Powell

13.9.2001: NATO-Rat stimmt dem Entwurf zu, sieht jedoch noch Klärungsbedarf (vor allem Belgien, Portugal und NL):

Beantwortung der „If clause“ („if … the attack was directed from abroad“) durch Tatsachennachweis?

Sind im Falle der Feststellung des Bündnisfalles: noch die  souveränen  Entscheidungsrechte der NATO-Mitgliedsstaaten gewahrt?

Ist gewährleistet, dass jeder NATO-Militär-Einsatz nach einem festgestellten Bündnisfall nicht ohne vorherige spezifische Konsultationen und nicht ohne explizite Beschlussfassung durch den NATO-Rat stattfindet?

2.10.2001: Briefing des NATO-Rates über die Hintergründe von 9/11 durch US-Ambassador Frank Taylor (Coordinator for Counter Terrorism im US-State Department), durch den stellv. US-Außenminister Richard Armitage und durch den stellv. US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz

Anschließend noch am 2.10.2001: Beschlussfassung des NATO-Rates über Bündnisfall; Text nicht publiziert; lediglich Bekanntgabe durch NATO-Generalsekretär Robertson: „On the basis of this briefing, it has now been determined that the attack against the US on 11 September was directed from abroad and shall therefore be regarded as an action covered by Art. 5 of the Washington Treaty“ Was konkret von den Mitgliedsstaaten gefordert wurde, wurde nicht festgelegt.

4.10.2001 (nach Einholung der Zustimmungen aller NATO-Mitgliedsstaaten): Bestätigung der Feststellung des NATO-Bündnisfalles(Art. 5 NATO-Vertrag)  durch NATO-Rat ohne Festlegung

1. der konkreten Konsequenzen für die NATO und ihre Mitgliedsstaaten

2. des Verhältnisses des NATO-Bündnisfalles zu unilateralen militärischen Aktionen der USA

3. der Dauer und der zeitlichen Begrenzung des beschlossenen Bündnisfalles

6.10.2001: Beginn der US-Militäroperationen in Zusammenarbeit mit der afghanischen Nordalliianz, jedoch ohne Abstimmung und ohne Beteiligung der NATO

16.10.2001:  Bekanntgabe der „Post-9/11-Doktrin“ der US-Regierung durch den stellv. US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz im NATO-Rat: „The mission determines the coalition“.

 


Zwölf rechtliche Nachfragen zum NATO-Bündnisfall

Art. 2 Nr. 3 UN-Charta („friedliche Streitbeilegung“)

Verstieß der US-Angriff auf Afghanistan im Okt. 2001  gegen Art. 2 Nr. 3 UN-Charta, der völkerrechtlich verbindlich vorgibt, dass alle Staaten ihre internationalen Streitigkeiten, also auch diejenigen über eine Auslieferung von Tatverdächtigen( z.B.von Osama Bin Ladn), ausschließlich durch friedliche Mittel beizulegen sind?

Wurden vor Beginn der militärischen Aktionen alle nicht-militärischen Handlungsoptionen (z.B. Auslieferungsersuchen des UN-Sicherheitsrates unter Androhung von nicht-militärischen Zwangsmitteln; Abklären des Angebotes des Taliban-Regimes, nach Vorlage von nachprüfbaren Beweismitteln über die Tatbeteiligung Osama bin Ladns diesen zur Strafverfolgung an einen Drittstaat auszuliefern; Einrichtung eines Internat. Gerichtshofes auf „neutralem Boden“ nach dem Vorbild des Lockerbie-Gerichtshofes) ausgeschöpft ?

Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat?

Lag der Ausnahmefall einer Ermächtigung der USA zu militärischen Maßnahmen gegen Afghanistan durch den UN-Sicherheitsrat gem. Art. 39 und 42 UN-Charta vor? Durfte darauf verzichtet werden?  Welche rechtliche Bedeutung hat das Fehlen eines solchen Beschlusses des UN-Sicherheitsrates nach Art. 42 UN-Charta?

Feststellung der Voraussetzungen von Art. 51 UN-Charta?

Hat der UN-Sicherheitsrat oder ein anderes dazu berufenes Organ der UN das Vorliegen der formellen und materiellen Voraussetzungen nach Art. 51 UN-Charta  für eine „individuelle oder kollektive Selbstverteidigung“ förmlich festgestellt?

Reichte allgemeiner Verweis auf Inhalt des Art. 51 UN-Charta aus?

Reichte stattdessen ein allgemeiner Hinweis des UN-Sicherheitsrates auf Art. 51 UN-Charta aus, ohne dass der UN-Sicherheitsrat oder der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag geprüft hätte, dass die Voraussetzungen nach Art. 51 UN-Charta formell und materiell erfüllt waren?

 


Noch: zwölf rechtliche Nachfragen

Reichte Berufen auf Art. 51 UN-Charta durch USA ais?

War es für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 51 UN-Charta hinreichend, dass sich die USA nach den verbrecherischen  9/11-Anschlägen von New York und Washington auf den Ausnahmefall einer individuellen Selbstverteidigung der USA nach Art. 51 UN-Charta zu Recht beriefen und deshalb militärische Gewalt gegen Afghanistan ab Anfang Oktober 2001 einsetzten?

Armed attack?

In seinen Memoiren „Against All Enemies“ (2004), hat Richard A. Clark, Chairman of the „Counter-terrorism Security Group at the White House“ in der Regierung von  President George W. Bush Jr., auf Seite 24 über die Beratungen des Präsidenten am 11. September 2001, folgendes berichtet und zitiert:

“When later in the discussion [on the evening of Sept. 11, with Bush and his crisis advisors], Secretary Rumsfeld noted that international law allowed the use of force only to prevent future attacks and not for retribution, Bush nearly bit his head off.  ‘No,’ the President yelled in the narrow conference room, ‘I don’t care what the international lawyers say, we are going to kick some ass.’”

Lag in der Sache ein Fall der „armed attack“ (Art. 5 NATO-Vertrag und Art. 51 UN-Charta) auf das NATO-Mitglied USA vor, obwohl bei 9/11 keine militärischen Waffen (eines Staates)  zum Einsatz kamen?

Was unterschied 9/11 von anderen großangelegten Terrorattacken mit einer Vielzahl von Opfern (z.B.IRA-Anschläge auf brit. Einrichtungen; gewaltsamer Sturz der Allende-Regierung mit Tausenden von Toten  in Chile seit dem 11.9.1973 mit maßgeblicher Unterstützung der Putschisten durch CIA und US-Regierung; Anschläge der RAF-Terroristen mit internationaler Unterstützung z.B. durch palästinensische Organisationen sowie möglicherweise durch den Jemen <Ausbildungscamps> und die DDR <Stasi, vgl. Forschungen von Regine Igel> )?

War Afghanistan verantwortlich für 9/11?

Falls bei 9/11 ein Fall der „armed attack“ i.S. von Art. 51 UN-Charta auf die USA vorlag: War dieser „militärische Angriff“ dem Staat Afghanistan zuzurechnen?

Problem: IGH-Rechtsprechung (Nicaragua-Case)

Problem: Gibt es eindeutige „gerichtsfeste“ Beweise für die Täterschaft Osama Bin Ladns und anderer Akteure vom „save haven“ Afghanistan aus (aber: kein Haftbefehl des FBI gegen Bin Ladin  wegen 9/11; Äußerungen hoher FBI-Beamter und von U.K.Premier Tony Blair: keine „gerichtfesten Beweise)

Wie hat die Bundesregierung vor der Zustimmung zum „Bündnisfall“ die Beweislage geprüft?

Problem: Bis heute, also mehr als 8 Jahre nach 9/11, hat keine unabhängige Stelle, kein unabhängiges Gericht, die zur Verfügung stehenden angeblichen oder tatsächlichen Beweise überprüft und nachprüfbar in einem rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Verfahren festgestellt, wer für die Anschläge von 9/11 verantwortlich war.

 


Noch: zwölf rechtliche Nachfragen

Waren Anfang Oktober 2001 die weiteren Voraussetzungen von Art. 51 UN-Charta erfüllt?

Lag nach Durchführung und Beendigung der Anschläge von 9/11 zum Zeitpunkt des Beginns der militärischen Aktionen der USA gegen Afghanistan noch ein „gegenwärtiger“ (fortdauernder) Angriff auf die USA vor, obwohl alle an den 9/11-Anschlägen beteiligten Luftpiraten nach Darstellung der US-Regierung bei den  9/11-Anschlägen ums Leben gekommen waren und von ihnen deshalb keine Gefahr für einen weiteren Angriff ausgehen konnte?

Vermochte eine Fortexistenz von terroristischen Ausbildungslagern in Afghanistan die Annahme eines nach 9/11 fortbestehenden „gegenwärtigen“ Angriffs zu rechtfertigen?

Stand der Rechtmäßigkeit der militärischen Aktionen der USA Anfang Oktober 2001 entgegen, dass eine individuelle (oer kollektive) Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta nur solange zulässig ist, „bis der UN- Sicherheitsrat die notwendigen Maßnahmen getroffen hat“?

Vorfeld-Aktivitäten

Was ist von Berichten zu halten, dass der US-Angriff auf das Taliban-Regime in Afghanistan im Okt. 2001  bereits vor 9/11, d.h. nach den Mitte Juli 2001 in Berlin gescheiterten Verhandlungen der US-Regierung mit dem Taliban-Regime über das Pipeline-Projekt der US-Ölgesellschaft UNOCAL beschlossene Sache war?

Gibt es valide Beweise für die Behauptungen von Michael Meacher, Minister im Kabinett von Tony Blair,

dass Tony Blair von dem „Commons Liaison Committee“ ausgeführt hätte: „Ehrlich gesagt hätte es ohne das Geschehen vom 11. September keine Möglichkeit gegeben, die öffentliche Zustimmung für einen plötzlichen Angriff auf Afghanistan zu erhalten.“

dass Mitte Juli 2001 ein hochrangiger US-Beamter dem früheren pakistanischen Außenminister Niaz Niak mitgeteilt habe, dass „ab Mitte Oktober militärische Maßnahmen gegen Afghanistan anlaufen“ würden.

 


Noch: zwölf rechtliche Nachfragen

Welche völker- und verfassungsrechtliche Bedeutung hat die Feststellung des NATO-Bündnisfalles durch den NATO-Rat für die Entsendung der Bundeswehr nach Afghanistan und andere Gebiete

im Rahmen von „Operation Enduring Freedom“

im Rahmen von(„International Security and Assistance Forces“ (ISAF)?

Wie lange dauerte der NATO-Bündnisfall an?

Besteht der NATO-Bündnisfall auch heute noch?

Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de