9/11 und der NATO-Bündnisfall
9/11 und der NATO-Bündnisfall – rechtliche Nachfragen zum Beschluss des NATO- Rates vom 4.10.2001 und seinen Folgen
Prof. Dr. Martina Haedrich
Selbstverteidigung zwischen Legalität und Legitimität. Das Beispiel 9/11*
Das Thema erfordert, den Beschluss zum NATO-Bündnisfall gem. Art. 5 NATO-Vertrag am Maßstab des Völkerrechts zu prüfen, d.h. hier an Art. 51 UN-Charta und der Resolution 1368 des Sicherheitsrats vom 12. September 2001 sowie an allgemeinen Regeln des Völkerrechts.
Das gewohnheitsrechtlich anerkannte Gewaltverbot ist in Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta kodifiziert, das sich im Tätigwerden des Sicherheitsrates konkretisiert. Dieser ist nach der UN-Charta allein befugt, zu entscheiden, ob und in welchem Maße Maßnahmen zur Friedenssicherung nach Art. 39 ff. UN-Charta ergriffen werden sollen. Der Gedanke von Prävention und Abwehr verbotener Gewaltanwendungen liegt der Konzeption der UN-Charta zu Grunde, wonach dem Sicherheitsrat das Gewaltmonopol (Art. 24 UN-Charta) obliegt. Art. 51 UN-Charta sieht als Ausnahme vom Gewaltverbot die Möglichkeit vor, dass sich Staaten nach den Maßgaben des Völkerrechts gegen einen bewaffneten Angriff individuell oder kollektiv verteidigen. In diesen Fällen, und das ist ausdrücklich durch Art. 51 geregelt, ist dem Sicherheitsrat die Verpflichtung übertragen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Solange der Sicherheitsrat keine der für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen ergreift, ist unter der Voraussetzung, dass ein bewaffneter Angriff entweder stattfindet oder unmittelbar bevorsteht, das Recht auf Selbstverteidigung gegeben. Dies ist im Nicaragua-Urteil näher ausgeführt worden.
Danach müssen folgende Voraussetzungen für Maßnahmen der Selbstverteidigung gegeben sein: Es muss ein bewaffneter Angriff erfolgt sein. Dabei ist der Begriff weit zu fassen. Dies gilt hinsichtlich des Angreifers und der Bewaffnung. Grundsätzlich gelten als Waffen nach Humanitärem Völkerrecht alle Arten von Kampfmitteln und –methoden, wobei nicht gesagt ist, was darunter fällt. Auch nichtmilitärische Luftfahrzeuge, die wie Kampfmittel wirken, müssen bewehrt sein. Bewaffnete Gewalt im Sinne von Art. 51 UN-Charta und Art. 5 NATO-Vertrag sind nicht auf Angriffshandlungen mit regulären Waffen beschränkt, sondern erstrecken sich auf alle Mittel, die wie Waffen eingesetzt werden. Hinzu kommt, dass die Angriffe eine besondere Schwere haben müssen. Dies ist ebenfalls nicht näher bestimmt und vom Einzelfall abhängig. Der Einsatz von vollbesetzten Zivilflugzeugen auf Gebäude, in denen sich Personen befanden, wurde vom Sicherheitsrat und dem Nordatlantikrat übereinstimmend als schwerer Angriff qualifiziert. Sowohl die Resolution 1368 des Sicherheitsrats als auch die Erklärung des Nordatlantikrats zum Bündnisfall verzichten auf den Begriff bewaffnet und äußern sich auch nicht zum Schweregrad. Beide Gremien stimmen jedoch überein, dass die erfolgten Angriffe am 11.9. 2001 das Recht auf Selbstverteidigung zur Konsequenz haben. Zudem erfolgte keine ausdrückliche Qualifizierung der Angriffe als solche eines Staates. Auch wenn Art. 51 UN-Charta und Art. 5 NATO-Vertrag dies nicht expressis verbis fordern, ist die Zurechenbarkeit zu einem Staat grundsätzlich Voraussetzung für die Auslösung des Selbstverteidigungsrechts.. Der Sicherheitsratsrat und der Nordatlantikrat gingen davon aus, dass die Anschläge dem Staat Afghanistan zurechenbar waren. Die Taliban, zur Zeit der Anschläge Teil der afghanischen Staatlichkeit, und wegen ihres Einflusses auf die meisten Gebiete in Afghanistan auch De facto-Regime, haben es mindestens zugelassen, dass sich Al Qaida-Kämpfer auf dem Territorium von Afghanistan aufhielten und von dort aus operierten. Nach Art. 3 lit. g der Resolution zur Aggressionsdefinition aus dem Jahre 1974 fällt das Entsenden bewaffneter Banden, Gruppen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat darunter, wenn diese mit Waffengewalt Handlungen gegen einen anderen Staat von solcher Schwere ausführen, dass von einem Angriff gesprochen werden kann. Die Anwendung dieser Kriterien aus der Resolution zur Aggressionsdefinition setzt freilich den erbrachten Beweis voraus, dass Al Qaida von Afghanistan aus operierte und der Staat Afghanistan, hier in Gestalt der Taliban als De facto-Regime, diese Vereinigung entsendete, oder maßgebend in die Aktivitäten des Terrornetzwerks verwickelt war. Zur Frage, ob und inwieweit die Taliban Al Qaida unterstützten, gibt es zahlreiche Indizien, aber keine eindeutigen Beweise.
Nach der Friendly Relations Declaration (A/Res 2625 (XXV) vom 24. Oktober 1970) fällt schon das zur Verfügung stellen von Teilen des Staatsgebiets unter das Verbot der Gewaltandrohung und -anwendung, wenn es heißt, dass sich der Staat der Duldung organisierter Aktivitäten in Bezug auf Terrorakte zu enthalten hat. Von einer Duldung des Al Qaida Netzwerkes durch die Taliban kann jedenfalls ausgegangen werden. Die Taliban haben Al Qaida den Raum gegeben, von dem aus sie operieren konnten (save haven) und nach den Anschlägen auch eine Bekämpfung von Al Qaida auf afghanischem Territorium abgelehnt. Danach ist dem Staat Afghanistan der Angriff zuzurechnen.
Dass die Taliban als (wesentlicher) Teil der Staatlichkeit zu betrachten sind, ist im Übrigen vom Sicherheitsrat vor dem Hintergrund, dass die Taliban große Teile Afghanistans unter ihrer Kontrolle hatten und Führungszentren und Ausbildungslager für islamistische Extremisten zur Verfügung stellten, schon im Jahre 1996 festgestellt worden. Schon die Resolution 748 des Sicherheitsrats, die die Auslieferung zweier tatverdächtiger Mitglieder des libyschen Geheimdienstes durch Libyen forderte und die Unterdrückung von internationalen terroristischen Handlungen als grundlegend für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt (Präambel der Resolution), ist zu entnehmen, dass der Sicherheitsrat die Bekämpfung des internationalen Terrorismus als Aufgabe betrachtet, die unter seinen Kompetenzbereich fällt.
Die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs geht nicht so weit wie die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit Resolution zur Aggressionsdefinition und der Friendly Relations Declaration sowie die angeführten Resolutionen des Sicherheitsrats. Im Nicaragua-Urteil aus dem Jahr 1986 wird ein bewaffneter Angriff nur dann als ein solcher nach Völkerrecht angesehen, wenn er durch einen Staat erfolgt. D.h., danach hat nicht jeder Verstoß gegen das Gewaltverbot die Qualität eines bewaffneten Angriffs.Der IGH hat es im Nicaragua-Fall auch offen gelassen, ob ein Staat, der unterhalb der Schwelle eines direkten bewaffneten Angriffs, aber unter Verletzung des Gewaltverbots, von einem Staat militärisch attackiert wurde, seinerseits mit gewaltsamen Repressalien reagieren darf. Nach dieser Lesart des Nicaragua-Urteils greift das Selbstverteidigungsrecht nur, wenn bewaffnete Angriffe solche von Staaten sind. Fraglich ist allerdings, ob diese strikte Konditionierung den Realitäten gerecht wird. Hält sich ein Staat bei gegen ihn gerichteten Verletzungen des Gewaltverbots unterhalb der Schwelle eines direkten bewaffneten Angriffs eines Staates an die Maßgaben des Internationalen Gerichtshofs im Nicaragua-Fall und reagiert der Sicherheitsrat nicht oder nicht rechtzeitig, kann er dem Angreifer schutzlos ausgeliefert sein. Es ist fraglich, ob die eindeutigen Kriterien im Nicaragua-Urteil auf die Besonderheiten terroristischer Angriffe übertragen werden können .
Im sogenannten Mauer-Gutachten aus dem Jahre 2004 geht der Gerichtshof auf das Erfordernis der Zurechenbarkeit gegenüber einem Staat oder staatlichen Institutionen zur Begründung des Selbstverteidigungsrechts ein. Hier ging es konkret darum, ob palästinensische Angriffe als staatliche Angriffe zu qualifizieren sind. Dies wurde, allerdings ohne nähere Begründung, wegen fehlender palästinensischer Staatlichkeit verneint. Im Urteil zu den Armed Activities on the Territory of the Congo, Democratic Republic of Congo v. Uganda beschäftigt sich der Gerichtshof dann näher mit der Frage der Zurechenbarkeit. Dabei ging es um das Problem, ob Handlungen Privater, hier der sogenannten Anti-Uganda-Rebellengruppe als bewaffneter Angriff im Sinne von Art. 51 UN-Charta zu sehen ist. Die Antwort des Gerichtshofs ist nicht eindeutig. Auf der einen Seite wurde die mangelnde hinreichende Kontrolle der Rebellen und deren Angriffe in Uganda festgestellt, auf der anderen Seite jedoch nicht entschieden, „…whether and under what condition contemporary international law provides for a right of self-determination against large- scale attacks by irregular forces“. Damit wird die Antwort bewusst offen gehalten. Doch kann auch dieses Offenhalten als Wertung durch den Gerichtshof angesehen werden. Während der Gerichtshof bis dahin, sowohl im Nicaragua-Urteil als auch noch im Mauer-Gutachten, staatliches Handeln als Voraussetzung für das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs gefordert hatte, verzichtete er im Urteil zu den Armed Activities on the Territory of the Congo auf eine entsprechende Einlassung. Dies kann so ausgelegt werden, dass nunmehr auch Angriffe von Privaten als solche nach Art. 51 anzusehen sind. Damit stellt dieses Urteil in gewisser Weise eine Bestätigung der in der Praxis des Sicherheitsrates zu beobachtenden Tendenz einer Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts bei Angriffen Privater dar.
Im Fall der Anschläge am 11.9. 2001 trifft der Sicherheitsrat mit seiner Resolution 1368 genau in die rechtliche Lücke bei der Beurteilung, ob terroristische Vereinigungen bewaffnete Angriffe im Sinne von Art. 51 vornehmen können. Er anerkennt, ohne die Verantwortlichen zu benennen, das Recht der USA auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung (Präambel)und betont seine Rolle bei der Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit (Ziff. 5). Wiederholt wurde diese Konstruktion in der Resolution 1373. Schließlich sei noch auf die Stellungnahmen des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 8. Oktober 2001 zu den Erklärungen der USA und Großbritanniens verwiesen, die sie gemäß der Unterrichtungspflicht nach Art. 51 UN Charta abgaben. Der Präsident des Sicherheitsrats und mit ihm alle Mitglieder des Sicherheitsrats äußerten Verständnis für die Inanspruchnahme des Rechts auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung. Die am 12. September und am 4. Oktober 2001 durch den Nordatlantikrat bzw. den NATO-Generalsekretär abgegebenen Erklärungen zum Beschluss zum Bündnisfall (unveröffentlicht) gem. Art. 51 UN-Charta entspricht diesen Verlautbarungen vor dem Sicherheitsrat. In Übereinstimmung mit Inhalt und Duktus der Sicherheitsratsresolution 1368 zu den Anschlägen vom 11.9. 2001 und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Wortlaut von Art. 5 NATO-Vertrag, beschließen die NATO-Partner, dass Maßnahmen, einschließlich die Anwendung von Waffengewalt, zu ergreifen sind, die für erforderlich erachtet werden, um die Sicherheit des Nordatlantischen Bündnisses wiederherzustellen und zu erhalten“. Danach wurden die Voraussetzungen des Art. 5 als erfüllt betrachtet und die Erkenntnisse dazu, die dem Nordatlantikrat vorgelegt wurden, von den Verbündeten als stichhaltig erachtet. Die Aussage in der Sicherheitsratsresolution 1368, dass der Sicherheitsrat diese terroristischen Handlungen, wie alle internationalen terroristischen Handlungen als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit betrachtet, soll offensichtlich in dieser Verallgemeinerung eine generelle Rechtfertigung der Reaktionen auf die Anschläge darstellen. Dies zeigt, dass sich der Sicherheitsrat bewusst war, dass die eindeutigen Kriterien eines bewaffneten Angriffs als ein solcher des Staates, hier nicht anwendbar waren. Dasselbe gilt für die Erklärung des Nordatlantikrats zum Bündnisfall. Auch hier wird auf den Begriff „bewaffneter Angriff“, so wie ihn Art. 51 UN-Charta und Art. 5 NATO-Vertrag verwenden, verzichtet. Die Erklärung ersetzt den Begriff „bewaffneter Angriff“ durch den Begriff „Angriff von außen“.
Trotz des Mangels an eindeutigen Beweisen, dass Al Qaida von Afghanistan aus operierte und dass der Staat Afghanistan durch die Taliban als damalige de facto-Regierung in die Al Qaida-Aktivitäten verwickelt war, gab es einhellige Zustimmung im Sicherheitsrat und unter den Partnern des NATO-Vertrages, wie auch Konsens in der internationalen Gemeinschaft, dass die Anschläge am 11.9. 2001 ein Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung und Maßnahmen der kollektiven Sicherheit begründen. Diese Auffassung der Staaten hat sich seither verfestigt und in der internationalen Praxis bestätigt. Ein Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gegen terroristische Vereinigungen beginnt sich zu etablieren.
Welche Verpflichtungen zur Verteidigung die Bündnispartner zu übernehmen haben, wurde in der Erklärung des Nordatlantikrats nicht ausgeführt, sondern es wurden generell „erforderliche Maßnahmen“ genannt. Die Sicherheitsratsresolution 1368 spricht ähnlich, aber restriktiver, von „allen erforderlichen Schritten“. Nach Ausrufung des Bündnisfalls durch den Nordatlantikrat begann am 26. Oktober 2001 die einzige unter den Bündnisfall firmierende Mission OAE (Operation Active Endeavour). Deren Aufgabe ist es, den zivilen Seeverkehr, insbesondere die Handelsschiffe zu erfassen und zu dokumentieren. Die aufgenommenen Daten sollen präventiven Maßnahmen gegen terroristische Aktivitäten dienen. Eine primär kollektive Selbstverteidigungsmaßnahme lässt sich in der OAE wohl nicht erkennen.
Die USA begannen am 7. Oktober 2001 ihre Militäraktion OEF (Operation Enduring Freedom) in Afghanistan. Im Verlauf der Operation wirkten 70 Staaten mit. Eine Einordnung dieser Operation unter den Bündnisfall erfolgte zu keinem Zeitpunkt. Schließlich wurde die Internationale Sicherheitsunterstützungsgruppe ISAF (International Security Assistance Force) unter Beteiligung von 50 Staaten mit dem Ziel gebildet, der Tätigkeit der Afghanischen Interimsverwaltung und dem Personal der Vereinten Nationen ein sicheres Umfeld zu geben. Auch hier erfolgte keine Zuordnung zum Bündnisfall nach Art. 5 NATO-Vertrag. Wie schon die OEF stützt sich die ISAF auf die Resolution 1368 des Sicherheitsrats und nicht auf Art. 5 NATO-Vertrag. Die an der ISAF teilnehmenden Staaten haben die Ermächtigung, alle zur Erfüllung des Mandats des Sicherheitsrats erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Auch Kampfeinsätze sind danach von diesen Maßnahmen erfasst.
Weder in der Sicherheitsratsresolution 1368 noch in der Erklärung zum Bündnisfall ist ein Zeitrahmen für die Ausübung des Rechts auf Selbstverteidigung als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 genannt. So ist davon auszugehen, dass dann wenn die Voraussetzungen für ein Recht auf Selbstverteidigung wegfallen, d.h. wenn die Gefahr eines bewaffneten Angriffs nicht mehr unmittelbar und gegenwärtig besteht, der Bündnisfall gegenstandslos geworden ist. Dies kann wegen der Zerschlagung der Taliban im November 2001 schon für diesen Zeitpunkt gesagt werdenWenn Sicherheitsrat und Nordatlantikrat immer wieder erklären, dass die Angriffe auf die USA am 11.9. 2001 durch weitere Anschläge und Anschlagsversuche fortgesetzt werden, ist dies keine wiederholte Feststellung des Selbstverteidigungsfalls aus den Anschlägen am 11.9. 2001. Der Sicherheitsrat hat (u.a.) mit seiner Resolution 2069 von 2012 die fortwirkende Geltung mehrerer Resolutionen, so auch der Resolutionen 1368 und 1373 zur Unterstützung der Bemühungen zur Ausrottung des Terrorismus im Einklang mit der UN-Charta (Präambel) bekräftigt. Diese Bekräftigung ist nicht als Rechtfertigung zu weiteren Selbstverteidigungsmaßnahmen zu verstehen, denn der Sicherheitsrat hat längst die Aufgaben im Kampf gegen den internationalen Terrorismus übernommen.
Aber auch die OAE, die unter dem Bündnisfall existierende Operation der NATO, nimmt die Aufgabe der Selbstverteidigung mindestens nicht primär wahr. Anders kann die Begründung des Antrag der deutschen Bundesregierung auf „Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte bei der Unterstützung gemeinsamer Reaktionen auf terroristische Angriffe gegen die USA auf der Grundlage des Art. 51 UN-Charta und des Art. 5 NATO-Vertrag sowie der Sicherheitsratsresolutionen 1368 und 1373“ nicht verstanden werden, der unter Verweis auf die Anti-Terror-Strategie der Vereinten Nationen sagt, dass die internationale Gemeinschaft in ihren umfassenden Anstrengungen zur wirksamen Beseitigung der gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Umstände, die ein Entstehen von Terrorismus begünstigen, nicht nachlassen darf und dass die OAE dazu einen angemessenen Beitrag leistet. Derartige Anstrengungen haben nichts mehr mit Verteidigungshandlungen zu tun, sie sind vielmehr Ausdruck der Zusammenarbeit zur Aufrechterhaltung der internationalen Sicherheit, eine Aufgabenstellung, die sich sowohl den genannten Resolutionen des Sicherheitsrats entnehmen lässt und die sich auch mit der Kompetenzerweiterung der NATO durch das Neue Strategische Konzept, das auf der Washingtoner Ratstagung des Jahres 1999 verabschiedet wurde, entnehmen. Auch die Feststellung im Antrag zur Verlängerung der OAE-Mission, dass die „Umbrüche in der arabischen Welt zu einer erhöhten Volatilität insbesondere unseres südlichen Sicherheitsumfelds geführt“ hätten und die OAE einen Beitrag dazu leistet, „das Lagebild zu verdichten und dadurch eine abschreckende präventive Wirkung entfaltet“ wird, kann nicht ernsthaft als Selbstverteidigungsmaßnahme verstanden werden. Die Bundesregierung begründet denn auch die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der OAE mit einem allgemeinen Verweis darauf, dass ihr Schwerpunkt in der Präsenz und Überwachung liegt, der Operationsplan aber auch die Anwendung militärischer Gewalt zur Erfüllung des Auftrags vorsieht und dass zunehmend ein „netzwerkbasierter Ansatz“ zur Informationsgewinnung entwickelt wird. Dieser gründet sich nicht nur auf die Kooperation aller 28 NATO-Partner, sondern darüber hinaus auf 35 Nichtmitgliedstaaten des NATO-Vertrages. Sowohl die breite Aufgabenstellung, als auch der erweiterte Teilnehmerkreis sind Belege dafür, dass sich die OAE-Mission mehr vom Anliegen des Bündnisfalls entfernt hat. Die Feststellung der Fortsetzung terroristischer Gefahren bedeutet nicht die Fortsetzung des Ausnahmerechts der individuellen und kollektiven Selbstverteidigung. Dieses darf nicht zu einer Blankovollmacht zur Gewaltausübung verkommen. Terrorgefahren lassen sich mit Maßnahmen der kooperativen Sicherheit durch den Sicherheitsrat und begleitet durch die NATO bekämpfen. Längst überfällig ist es deshalb, die OAE nicht länger unter den Bündnisfall des Art. 5 NATO-Vertrag zu führen und schließlich, den Bündnisfall zu beenden. Deutschland hat im Nordatlantikrat eine Diskussion über die Frage initiiert hat, ob der Bündnisfall „über elf Jahre nach der Erklärung“ als Grundlage für den OAE-Einsatz „in seiner derzeitigen Ausrichtung noch notwendig ist“ und hält es für erforderlich, den Bündnisfall im Nordatlantikrat im Ganzen „auf den Prüfstand“ zu stellen.
Nachdem die Voraussetzungen zur Selbstverteidigung weggefallen sind, findet die Fortexistenz des Bündnisfalls findet keine Stütze mehr. Der Bündnisfall besteht rechtlich seit dem 4. Oktober 2001 bis heute weiter, faktisch wirkt er mit Wegfall einer unmittelbaren Bedrohungssituation, die zur Ausrufung des Bündnisfalls geführt hat, nicht mehr fort. Eine offizielle Beendigung des Bündnisfalls durch den Nordatlantikrat, für die es im Übrigen keine verfahrensrechtliche Vorschrift gibt, ist bisher nicht vorgenommen worden. Zwar hat ein solcher Beschluss zur Beendigung des Bündnisfalls nur noch deklaratorische Wirkung, doch ist es im Interesse der Rechtsklarheit erforderlich, einen förmlich erlassenen Beschluss auch förmlich zu beenden.
Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de