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Von heimlichen und unheimlichen Kooperationen

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Bremen 27.4.2013

Von heimlichen und unheimlichen Kooperationen. Über die Wurzeln des deutschen und italienischen Terrorismus im Kalten Krieg

Von Regine Igel

Ich bin in meiner Recherchearbeit geprägt von den zwei  Aufklärungsrichtungen in Italien, die  in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, der Justiz und der Zeitgeschichtsschreibung zur Aufklärung des Terrorismus Bedeutendes erarbeitet haben. Die erste deckte schon vor 1989, aber dann gründlicher ab Beginn der 90er Jahre zur geheimen CIA- bzw. NATO- Nachkriegspolitik in Italien auf, sehr oft auf freigegebenen westlichen Geheimdienstakten basierend. In den  2000er Jahren dann, befasste sich ein anderer Untersuchungsausschuss mit den Akten östlicher Geheimdienste. Zutage trat ein bis dato unbekanntes Ausmaß der Rolle des Ostblocks im Terrorismus zur Zeit des Kalten Krieges. Es gibt viel zu lernen aus diesen inzwischen historisch gewordenen Terrorismuszeiten.

Wir werden uns hier alle einig sein, dass der im Kalten Krieg  geführte Kampf  deshalb als „kalt“ bezeichnet wurde, weil er zwar militärisch geführt wurde, aber nicht mit dem offenen Heer.  Aktiv waren also die Geheimdienste, und zwar mit ihren verdeckt tätigen paramilitärischen Milizen, die in vielen Ländern aktiv waren und viele Namen hatten. Sie alle sind zu dem Bereich Stay Behind oder Gladio zu zählen. Und da der Kalte Krieg zwei bestens ausgerüstete Seiten hatte, operierten derartige paramilitärische Einheiten sowohl im Osten wie im Westen. Sie waren geheim und sollen dies bis heute weitestmöglich bleiben. Im anglo-amerikanischen Raum spricht  man  hier  von „deep-politics“. Ich benutze in meinen Veröffentlichungen den klaren Begriff der Geheimpolitik. In Deutschland mangelt es an einem Politikverständnis, das offene und verdeckte Politik voneinander unterscheidet.

In keinem anderen Land ist zur Geheimpolitik im Kalten Krieg so viel wie in Italien aufgedeckt worden. Der Grund dafür: Die italienische Verfassung billigt ihren Staatsanwälten  mehr Freiheiten als bei uns zu. Ich habe in den letzten 20 Jahren versucht, die Logik dieser Aufdeckungen zu begreifen  und sie über meine Publikationen nach Deutschland zu bringen. Nicht jeden erfreut dies. Ein Redakteur einer großen deutschen Zeitung raunte mir einmal zu, doch endlich damit aufzuhören, die italienischen Dinge nach Deutschland zu tragen…

Was konnte nun über den praktischen Einsatz der paramilitärischen Gladio-Truppen im italienischen Terrorismus bekannt werden?

Ehemalige Gladio-Mitglieder und hohe Geheimdienst-Generäle, darunter auch einige für Gladio verantwortliche, packten vor den parlamentarischen Kommissionen Einiges aus und die Ermittler stießen in manch einem Terroranschlag auf in Sardinien ausgebildete Gladio-Kämpfer. Im Anschlag der Roten Brigaden auf Aldo Moro 1978 in Rom wurde ein Gladio-Mann entdeckt, der im Moment des Überfalls den Verkehr koordinierte. Doch in der Durchführung dieses Anschlags waren auch KGB-Agenten und unter der Ägide von Stasi und KGB ausgebildete RAF-Terroristen aktiv. Die italienische Justiz stieß ab den 80er Jahren  auf westliche wie östliche Agenten unter den Roten Brigaden.

Der langjährige Leiter des sehr ergiebig arbeitenden Parlamentsausschusses zur Aufklärung der Terroranschläge in Italien, Giovanni Pellegrino, kam zu dem Schluss, dass gerade im Fall Aldo Moro östliche und westliche Geheimdienste sogar zusammenarbeiteten. Doch nicht etwa zur Aufklärung des Falles. Nein. Beide Seiten lehnten die beabsichtigte Linie des Christdemokraten  Moro, die starken Kommunisten  mit in die Regierung zu nehmen, entschieden ab. Einen eigenständigen Dritten Weg zwischen den beiden Machtblöcken wollten beide Seiten nicht dulden.

Dass der Osten dem Westen in Sachen Infiltrierung und Steuerung des Terrorismus in nichts nachstand, zeigte dann die Sichtung der Akten  östlicher Geheimdienste. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die terroristischen Rotbrigadisten bereits  in den 60er Jahren paramilitärisch in der CSSR ausgebildet wurden. Was übrigens dem italienischen Geheimdienst  und damit NATO-Kreisen der verdeckten und offenen Politik spätestens seit Anfang der 70er Jahre nachweislich bekannt war. Akten des italienischen militärischen Geheimdienstes offenbaren deutlich, dass neben ihm selbst auch der französische und der deutsche Geheimdienst über den bevorstehenden Anschlag auf Aldo Moro schon vorab informiert waren.

Ausbildung von italienischen Terroristen in der CSSR   – das korrespondiert mit punktuellen Aufdeckungen in Stasi-Akten gleich nach 1989: für  westdeutsche Terroristen wurde die DDR – neben den Palästinenserlagern – zum Land der paramilitärischen Ausbildung und vielfältiger Hilfestellungen. Die Ermittler gegen Carlos in Paris studierten Akten aus vielen Ostarchiven  und es wurde klar: sogar  Carlos, der bekannteste Terrorist im Kalten Krieg, wurde massiv vom Osten gestützt. Schon 1969/70 hielt er sich öfter in der DDR auf.

Stasi-Akten, die ich in den letzten Jahren gesichtet habe, – und deren Ergebnisse ausführlich belegt in meinem letzten Buch publiziert wurden – weisen eindeutig darauf hin, dass hoch spezialisierte und verdeckt tätige  Kampfeinheiten auch im Osten aufgebaut und im Terrorismus eingesetzt wurden. Es gab also auch eine Gladio Ost, die in Italien Gladio rossa genannt wird, – inzwischen übrigens selbst von führenden ehemaligen KPI-Mitgliedern. Das Ministerium für Staatssicherheit nannte sie weniger schillernd und konspirativ getarnt AGM/S, was schlicht heißt: Arbeitsgemeinschaft des Ministers/Sonderaufgaben. Zwischen 1963 und 1989 wurden von den AGM/S 2916 Personen aus mindestens 15 Staaten trainiert. Öster­reich tarnte seine vom englischen MI6 und der CIA aufgebauten Gladio-Truppen übrigens weitaus phantasievoller Österreichischer Wan­der-, Sport- und Geselligkeitsverein (ÖWSGV).

In den Akten finden sich auch viele Beweise dafür, dass die Stasi nicht nur westdeutsche  und internationale Linksterroristen paramilitärisch ausbildete und Anschläge durch sie durchführen ließ, sondern auch  mit Rechtsterroristen auf das Engste kooperierte. Ob links, ob rechts, was in der Geheimpolitik zählte, waren nicht die politischen Auffassungen oder Pläne, sondern die instrumen­telle Nutzung gegen den gemeinsamen Feind, die Erweiterung der Kampfesfront  im Hier und Jetzt. Dazu gibt es eindeutige strategische Dokumente, die ich in den „Terrorismus-Lügen“ benenne.

Natürlich lehnte man in der offenen Politik und auf der internationalen Bühne der Diplomatie – wie im Westen – den Terrorismus auf das Schärfste ab. Doch dahinter spielte sich hochkonspirative Realpolitik jenseits aller ideologischen Verbrämung ab. Hauptsache, gewalttätige Anschläge brachten Angst und Unruhe, schwächten den Gegner, fügten ihm Schaden zu und dien­ten der Destabilisierung.

Ich konnte in den Akten auch feststellen, dass der Ostblock – und hier insbesondere die Stasi – ein viel dichteres internationales Terrorismus-Netzwerk unterstützte, als es  bisher bekannt war. Knotenpunkte waren Mailand, Paris, Zürich, der Südjemen, die CSSR  und  Ostberlin. Dass man eng mit den palästinensischen Terrorismusführern wie z.B. Abu Nidal und Abu  Daud zusammenarbeitete, zeigen eindeutige Belege. Sie waren Agenten der Stasi und dies nachweislich – und spätestens – ab Anfang der 80er Jahre. Der ausgestiegene Terrorist Hans-Joachim Klein enthüllte 1978 im  Spiegel, dass für die deutschen Linksterroristen „nichts ohne Palästinenser-Führer Wadi Haddad ging“. Heute weiß man, dass Haddad seit 1970 KGB-Agent war.

Agenten wurden auch die Führer der Japanischen Roten Armee, die in  Nordkorea und im Nahen Osten, aber auch in Briesen südöstlich von Berlin von AGM/S-Offizieren ausgebildet wurden und überall in der Welt Anschläge verübten, auch zusammen mit deutschen Terroristen.

Erstaunlich, wie gerade in den drei postfaschistischen Ländern – Japan, Deutschland und Italien – der große Bogen von der Studentenbewegung hin zu maoistischen und terroristischen Gruppen sehr ähnlich verlief. Die Akten offenbaren –  was übrigens Markus Wolf in der englischen Ausgabe seiner Biographie selbst einräumte – wie eng die Zusammenarbeit mit den  internationalen Terroristen und der Stasi war. Schlagend ist der Beweis dafür, dass diese internationalen Terroristen laut von mir eingesehenen operativen Finanzakten von ihr bezahlt wurden. Sie konnten sich immer wieder für längere Zeit in der DDR aufhalten und sich damit der Strafverfolgung in den Ländern ihrer Bombenanschläge entziehen. Auch mit der ETA und der IRA arbeitete man zusammen, was bisher unbekannt bleiben konnte. Mitglieder der türkischen rechtsextremen Grauen Wölfe hielten sich in der DDR auf. In Südtirol zündelte man über Rechtsterroristen, die Stasi-Agenten geworden waren. Nicht anders der Westen übrigens. Unter deutschen Rechtsterroristen – so zeigen es Stasi-Akten trotz aller Schwärzungen und bis heute nicht herausgegebener Akten – wimmelte es von Doppelagenten. In Italien wurde aufgedeckt, dass Gladio-Kämpfer auch in Südtirol tätig waren.

 

Starke Indizien weisen darauf, dass die so genannten terrorismusmüden zehn RAF-Aussteiger während ihrer DDR-Zeit für die Abteilung XXII des MfS, der so genannten Terror-Abwehr, als deren Agenten geführt und tätig waren. Laut operativer Finanzbücher wurden auch diese Zehn von der Stasi finanziert. Durch Dokumente der Funkabteilung belegt, reisten sie sogar häufig zwischen der DDR und der BRD hin und her. Für Inge Viett ist das 150 Mal dokumentiert.

Da Helmut Schmidt einmal offenbarte, dass „linksterroristische Gruppen von Verfassungsschutz und BND unterwandert“ waren, ist davon auszugehen, dass dies alles bei den Diensten der BRD auch bekannt war. Im Innenministerium, dem BKA und der Bundesanwaltschaft verweigert man zu diesen Dokumenten heute freilich eine Stellungnahme und neue Ermittlungen werden dazu offensichtlich nicht aufgenommen. Aufklärung scheint nicht erwünscht zu sein.

Mein Studium von 60.000 Blättern  Stasi-Akten – fast alle mit Lücken und Schwärzungen durch die Stasi-Unterlagen-Behörde reduziert – führt zu der Annahme, dass hinter den vielen unaufgeklärten terroristischen Anschlägen der 70er und 80er Jahre, nicht nur in Italien, sondern  auch bei uns Geheimdienste und insbesondere die Stasi standen. Selbst ein RAF-Bekennerschreiben kann reine Makulatur, eine Tarnung sein, wie es in den Strategieplänen der geheimen paramilitäri­schen Organisation AGM/S ganz deutlich benannt wird. Der westdeutsche RAF-Sonderermittler Alfred Klaus bekannte zudem, dass Bekenner­schreiben auch vom BKA gefälscht wurden. Das CIA-Büro in Rom brachte unter dem Etikett maoistischer Gruppen Flugblätter unter die Leute. Alles Dinge, die mehr oder weniger zufällig bekannt wurden. Wir  müssen unsr gewahr sein, dass das, was aus  geheimer Politik bekannt wird, immer nur ein verschwindender Bruchteil dessen ist, was tatsächlich stattgefunden hat.

 

Vor einigen Jahren habe ich eine Reihe von Gesprächen mit Staatsanwalt Felice Casson geführt. Er war es, der 1990 in Venedig – damals noch  Untersuchungsrichter -, Gladio aufgedeckt hatte. Auf meine Frage nach heute möglichen weiterhin existierenden Gladio-Organisationen  führte er aus:

 

„Solche Organisationen gab es immer, sie gibt es und sie wird es immer geben.  Derartige Geheimorganisationen sind Teil der staatlichen Strukturen, in jeder Situation und überall in der Welt. Das ist ein Problem der Politik. Doch wenn es Gesetze gibt, müssen diese respektiert werden.  Die italienische Verfassung erklärt eine Organisation wie Gladio ganz eindeutig für verfassungsfeindlich. Von ihr wusste das Parlament nichts und also auch nichts das italienische Volk. Wenn man der Politik ein Doppelspiel einräumt, dann muss man auch den Mut haben dies einzugestehen, was in unserem Fall“ (er bezieht sich hier auf einen Terroranschlag mit Gladio-Beteiligung – R.I.) „nicht geschehen ist. Nicht nur dem italienischen Volk ist nichts gesagt worden, auch einige Ministerpräsidenten sind nie über die Organisation Gladio informiert worden. Eine über allem stehende Instanz entschied, welcher italienische Politiker es verdiente informiert zu werden und wer nicht. Die Kontinuität bewahrte hier der Geheimdienst, was für eine Demokratie äußerst gefährlich ist, denn sie bedarf der Transparenz.“

Es gibt noch viel aufzuklären. Zu hinterfragen ist, warum bis heute zum Terrorismus im Kalten Krieg nicht reiner Tisch gemacht wird, nicht einmal zum Terrorismus des Ostens. Ich hoffe, dass sich in Zukunft mehr Zeithistoriker, auch unter der einstigen zu Ost-Berlin und Moskau stehenden Linken, finden, die genauer noch in diese Zeit schauen – und zwar auf beiden Seiten der Kampffront.


1 S. hierzu: R. Igel  Kein Maulkorb für den Staatsanwalt. Vom Nutzen italienischer Verhältnisse in der Justiz in: Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2003
2 S. ausführlicher in: R.Igel, Andreotti. Politik zwischen Geheimdienst und Mafia, München 1997 und dies., Terrorjahre. Die dunkle Seite der CIA in Italien, München 2006
3 S. R.Igel, Linksterrorismus fremdgesteuert? Kooperation von RAF, Roten Brigaden, CIA und KGB in: Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2007
4 R.Igel, Terrorismus-Lügen. Wie die Stasi im Untergrund agierte. München 2012

Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de