Abgründe der Kriegsrechtfertigung
BERICHT/153: Quo vadis NATO? – Abgründe der Kriegsrechtfertigung (SB)
„Der Umgang der Massenmedien mit dem Krieg – strukturelle Produktionsbedingungen“
Vortrag von Prof. Dr. Jörg Becker am 27. April 2013 in Bremen
Die in den jüngsten Kriegen der NATO oder einzelner Mitgliedstaaten erfolgte Vermittlung ihrer Anlässe, ihres Verlaufs und ihrer Konsequenzen durch die traditionellen Massenmedien wurde zumindest von einzelnen Medienwissenschaftlern und politischen Initiativen ausführlich und dezidiert kritisiert. Dennoch hat dies keine grundsätzlich andere Wahrnehmung unter den Adressaten erzeugt als diejenige, die seitens der das mehrheitliche Bild prägenden Verlagskonzerne und PR-Agenturen beabsichtigt war. Längst widerlegte Behauptungen etwa über die Unabdinglichkeit, im Kosovo eine ethnische Säuberung zu verhindern oder in Afghanistan die terroristische Bedrohung des eigenen Landes zu bekämpfen, halten sich hartnäckig und werden von den politischen und medialen Sachwaltern der Aggressoren reproduziert, ohne daß auf dieser Ebene wirksamer Widerspruch erfolgte.
Läßt es sich nicht vermeiden, die Widerlegung eines Kriegsvorwandes einzugestehen, dann schlägt die Stunde eines Akzeptanzmanagements, das auch schlimmste Verbrechen in Wohltaten an der Menschheit umwidmen kann. So wurde der Irakkrieg 2003 mit der Behauptung geführt, daß von der Regierung des angegriffenen Landes eine gefährliche Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen ausgehe. Nachdem dieser bereits im Vorfeld als bloßer Vorwand durchschaubare und durch das Übergehen des UN-Sicherheitsrates bestätigte Kriegsgrund in seiner Gültigkeit widerlegt worden war, wurde der Erfolg eines Regimewechsels gefeiert, bei dem ein unberechenbarer, mit Hitler gleichgesetzter Diktator gestürzt wurde.
So durchsichtig und berechenbar das bei derartigen argumentativen Winkelzügen zur Anwendung gelangende Strickmuster auch immer sein mag, so verfängt die platte Verkürzung komplexer politischer, geostrategischer und ökonomischer Vorgänge auf wertaffine Topoi und empathiegestützte Narrative doch immer wieder.
Ganz offensichtlich hat man es hier mit Machtfragen zu tun, was auch die rechtliche Handhabe auf dem Feld des Informationskrieges betrifft. So mußte schon manche kleine Zeitung, die sich mit mächtigen Akteuren aus Staat und Gesellschaft angelegt hat, die Segel streichen, weil ihre finanziellen Möglichkeiten nicht annähernd so groß waren wie die der Rechtsabteilungen des Kontrahenten. Dementsprechend näherten sich die Referentinnen und Referenten der Arbeitsgruppe „Medien als Kriegspartei und das Recht“ auf dem Kongreß „Quo vadis NATO? – Herausforderungen für Demokratie und Recht“ der Frage, wieso Medien nicht nur im Kriegsfall ihrem Auftrag zuwiderhandeln, korrekt und wahrheitsgemäß zu berichten, auf durchaus unterschiedliche Weise.
So lenkte der Politikwissenschaftler und Germanist Prof. Dr. Jörg Becker den Blick auf die strukturellen Produktionsbedingungen, die die massenmediale Berichterstattung im Krieg bedingen. Becker hat schon 1976 an der Universität Marburg zum Thema Massenmedien und Krieg promoviert und ist seitdem auf kritische Weise mit internationaler Medienpolitik befaßt. In Bremen schilderte er die Bedeutung der strukturellen Voraussetzungen inhaltlicher Vermittlung am Beispiel des unter Kriegsgegnern berüchtigten ehemaligen NATO-Sprechers Jamie Shea. Dieser heute als Deputy Assistant Secretary General for Emerging Security Challenges in gehobener Position tätige NATO-Funktionär hatte in einem Interview erklärt, daß die nach seinem Amtsantritt im Jugoslawienkrieg getroffene Maßnahme, jeden Tag zwei Pressekonferenzen für die internationale Presse abzuhalten, von zentraler Bedeutung für eine den Interessen der NATO konforme Vermittlung des Kriegsgeschehens gewesen wäre. Durch die schiere Masse der Informationen hätten die Journalisten keine Zeit mehr gehabt, hinter diese Angaben zu schauen und sie zu überprüfen. So hatte ein randläufiges technisches Detail vielleicht mehr Auswirkungen auf die Propagandaarbeit der NATO als die vieldiskutierten militärischen Ereignisse im Verlauf des Krieges.
An dieses Beispiel knüpfte Becker seine grundlegende Kritik an einem „Contentismus“, der die spektakulären manifesten Ereignisse des Krieges in den Mittelpunkt medialer Aufmerksamkeit stellt, während vermeintlich weniger bedeutsame, als unpolitisch geltende Inhalte aus dem Blick geraten. Es sei jedoch auch in der empirischen Sozialforschung keineswegs geklärt, daß die den Massenmedien zugesprochene Wirkung vom sogenannten Content, also dem Inhalt ihrer Berichterstattung und Kommentierung, ausgehe. So könne etwa die Häufigkeit und Regelmäßigkeit der Nutzung bestimmter Medien die spezifische Realitätsauffassung eines Lesers oder Zuschauers stark prägen.
Becker erläuterte seine These anhand eines Exkurses in die Entwicklung der Sozialwissenschaften. Diese hätten während der letzten 40 Jahre die materialistische politökonomische Analyse zugunsten von Ideologiekritik und Diskursanalyse auf eine Weise verdrängt, bei der „genuin politikwissenschaftliche Kategorien wie Macht, Herrschaft, System und Struktur auf der Strecke bleiben“ [1]. Am Beispiel der Germanistik erläuterte Becker die Folgen des Übergangs der hegemonialen Methodik sozialwissenschaftlicher Erkenntnis von der Kritischen Theorie zur Postmoderne. So sei die aus ersterem erwachsene Kritikfähigkeit durch die Rückkehr zu einer werkimmanenten Literaturinterpretation, die im politischen Aufbruch der sechziger Jahre erfolgreich zugunsten einer die sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen der Textproduktion einbeziehenden Analyse und Kritik überwunden wurde, mit dem Ergebnis eines „subjektiv assoziativen Glasperlenspiel mit Texten: nett, aber völlig beliebig und unpolitisch“ [1] eingeebnet worden.
Auch aufgrund der dadurch bedingten Einschränkung politischer Kritikfähigkeit sei es, wolle man dem Verhältnis von Massenmedien und Krieg auf den Grund gehen, geboten, sich den gesellschaftlichen Bedingungen zuzuwenden, die dieses Verhältnis bestimmen. Diese Forderung läßt sich zweifellos auch für die Inanspruchnahme des Rechts in diesem Belang wie anderen Fragen von Krieg und Frieden erheben. Demgemäß kritisch kommentierte Becker den zur heutigen Germanistik äquivalenten Umgang mit Textquellen in den Rechtswissenschaften, der auf dem Kongreß in der Aussage von Juristen hervorgetreten sei, die einzige Grundlage ihrer Wissenschaft bestehe in der Interpretation von Textquellen.
Im zweiten Teil seines Vortrags nahm Jörg Becker das Plenum auf eine kurze Tour d’horizon durch die Geschichte des Verhältnisses von Massenmedien und Krieg mit. Weil heute immer weniger selbstverständlich, betonte er, wie unerläßlich eine historische Herangehensweise für das Verständnis dieses Bedingungszusammenhangs sei. Eine Fotografie des Jahres 1914 sei eben nicht das gleiche wie ein digitales Foto des Jahres 2010, was aufgrund der seitdem hinsichtlich ihrer Aktualität und Quantität erweiterten Verfügbarkeit fotografischer Dokumente des Krieges, ihrer Produktion im Rahmen militärischer und politischer Strukturen, neuer Möglichkeiten der elektronischen Bildbearbeitung, ihrer crossmedialen Reproduktion und kontextuellen Einbindung sofort einleuchtet. Becker attestiert dem normalen historischen Evolutionismus, nach dem alles komplizierter, arbeitsteiliger und technisch aufwendiger werde, zwar eine gewisse Gültigkeit, hält die Schlußfolgerung, daß der apparative Aufwand auch eine Überlegenheit im sogenannten Informationskrieg mit sich bringt, jedoch für überzogen. So verweist er auf die Verwendung altarabischer Poesie Osama bin Ladens als Mittel der Kriegspropaganda und erinnert an archaische Methoden der Informationsübermittlung, die durch elektronische Mittel der Feindaufklärung nicht zu erfassen sind.
Die ebenfalls mit der Vielfalt der Kanäle und Techniken elektronischer Kommunikation einhergehende Auffassung, der dadurch möglich werdende Fortschritt der freien, selbstbestimmten und aufklärerischen Information führe quasi von selbst zu mehr Demokratie und Transparenz, kann aus heutiger Sicht getrost als eine Hoffnung aus den Frühzeiten des Internets verworfen werden. Wo Becker das Zusammenspiel von Krieg und Medien über die Epochen als stets von den Antipoden „Geheimhaltung versus Transparenz, staatliche Propaganda versus realistische Kriegsdarstellung, Feindbildproduktion versus differenzierte Wahrnehmung usw.“ [1] darstellt, da wirkt die Repräsentanz kriegerischer Ereignisse zumindest aus der Sicht westlicher Metropolengesellschaften, die von militärischen Konfrontationen im eigenen Territorium meist verschont bleiben, zusehends virtuell und unwirklich. Der auf eine Flut künstlicher Bilderwelten konditionierte Konsument muß sich schon einige Mühe geben, eine auf die Militarisierung des Unterhaltungskonsums geeichte und in die Strukturen des humanitären Interventionismus eingebettete Kriegsberichterstattung bei der Verknüpfung etwa des Abschusses seegestützter Fernlenkwaffen auf Landziele mit der Behauptung, dies diene der Beseitigung eines grausamen Diktators, so zu dechiffrieren, daß er der Propaganda vom gerechten Krieg nicht auf den Leim geht.
Eine individuelle Rezeption, die sich im Jugoslawienkrieg und in den Irakkriegen auf professionell produzierte Bildmedien verließ, verfiel der Ratio von der Notwendigkeit der jeweiligen Aggression schon deshalb leicht, weil alternative Sichtweisen über die politischen und geostrategischen Umstände, unter denen diese Kriege geführt wurden, im Bereich auch der gedruckten Massenmedien in den NATO-Staaten Mangelware waren. Dazu trug unter anderem die Beauftragung im Verkauf politischer Dispositionen erfahrener PR-Agenturen durch staatliche Akteure bei, wie Becker anhand eigener Studien über die Propagandaarbeit in den jugoslawischen Sezessionskriegen erläuterte. Bei der Arbeit zu dem zusammen mit Mira Beham verfaßten Buch „Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod“ hat das Autorenduo „insgesamt 157 Halbjahresverträge zwischen ex-jugoslawischen Kunden und 31 verschiedenen PR-Agenturen sowie neun Einzelpersonen aus dem für den Zeitraum der Kriege in Ex-Jugoslawien von 1991 bis 2002 erfasst“ [2].
In der anschließenden Diskussion illustrierte der Referent die Wirkmächtigkeit der Einschaltung kommerzieller PR-Profis zum Erreichen von Staatszielen auch im Kriegsfall mit einem Beispiel aus der Praxis des PR-Managers Moritz Hunzinger. Dieser hatte sich bereitgefunden, den Zufallsfund des Autorenduos durch eigene Informationen zu den Aktivitäten seiner Agentur in Jugoslawien zu komplettieren. So konnten Beham und Becker detailliert nachzeichnen, für welche Partner Hunzinger welche Aufträge erledigte. Daß dazu auch die Gefälligkeit gehörte, einem sich um seine jugoslawischen Niederlassungen sorgenden deutschen Industriellen dazu zu verhelfen, daß seine Fabriken nicht bombardiert wurden, komplettiert das Bild eines Marktgeschehens, das das Wirken vermeintlich numinoser Kapitalkräfte auf ganz gegenständliche Weise vor Augen führt. Die Einstellung Moritz Hunzigers, auch eine kritische und entlarvende Darstellung seiner Geschäftspraktiken sei eine insgesamt förderliche Werbung, hat zur Folge, daß die ihn betreffenden Passagen des Buches von Becker und Beham nach wie vor auf seiner Webseite [3] verfügbar sind.
So haben die Aufträge kriegführender Akteure an PR-Agenturen zur Folge, daß mit gezielter Feindbildproduktion Stimmung erzeugt und Legitimation erwirtschaftet wird für Ziele, die sich ohne diese öffentlichkeitswirksamen Praktiken zumindest nicht so leicht erreichen ließen. Demgegenüber ist kaum zu behaupten, daß es unter den Bedingungen eines marktwirtschaftlich organisierten Medienbetriebs und einer kulturindustriell entwickelten Werbewirtschaft weniger leicht fiele als unter dem zentralistischen Diktat autoritär regierter Staaten, im Gros der Bevölkerung ganz spezifische Einstellungen und Vorbehalte zu verankern. Ganz im Gegenteil bietet die offene Repression klassischer Diktaturen so viel Anlaß zum Widerstand, daß die Wirkung ihrer Propaganda auf zwar nicht öffentlich artikulierten, aber weit verbreiteten Widerspruch stößt. Die repressive Toleranz neoliberaler Marktdemokratien hingegen arbeitet erfolgreich mit Individuationsstrategien, die die gesellschaftliche Bedingtheit des einzelnen in den moralischen Primat der Eigenverantwortung verkehrt und somit von der notgedrungenen Suche nach Schuldigen für die eigene Misere ausnimmt, sie suggeriert Handlungsspielräume, die in der Virtualität informationeller Tauschwerte den Wellenschlag bloßer Meinungen wirkungslos verebben lassen.
So ist es nur konsequent, wenn Becker vertritt, daß Journalismus als öffentliche Sphäre ein Modell von gestern sei, heute gehe es vielmehr um verkaufbar produzierte Inhalte. In den USA wie der Bundesrepublik sei die Zahl der hauptamtlich beschäftigten PR-Berater längst größer als die der Journalisten, was nicht nur den sehr guten Verdienstmöglichkeiten in der PR-Branche geschuldet sein dürfte, sondern auch der allgemeinen Akzeptanz des Warencharakters jener Inhalte, deren Verwertung Becker mit dem Begriff des „Contentismus“ auf die marktideologische Spitze nimmt.
Der als Moderator fungierende Autor und Medienwissenschaftler Marcus Klöckner eröffnete die Debatte mit einem Zitat des Soziologen Pierre Bourdieu. Dieser machte in seinem Buch über das Fernsehen „einen Einwand gegen die bloß ökonomische Erklärung der Entwicklung im Journalismus“ geltend, der das Privateigentum an Verlagen, Sendern und Zeitungen als unzureichende Erklärung für dort festzustellende Einschränkungen der freien journalistischen Berichterstattung kritisiert. Zwar wäre auch „eine Erklärung unzureichend, die das nicht berücksichtigt, aber eine Erklärung, die nur das berücksichtigt, wäre nicht weniger unzureichend. Und sie wäre vielleicht noch unzureichender, weil sie den Eindruck erwecken würde, zureichend zu sein. Es gibt einen mit der marxistischen Tradition verbundenen Materialismus, der zu kurz greift und der nichts erklärt, der anprangert, ohne das Geringste aufzuklären.“ [4]
Davon ausgehend argumentierte Klöckner, man müsse, um das Phänomen einer impliziten Zensur im Journalismus zu verstehen, in Rechnung stellen, „dass Journalisten im Laufe ihrer Ausbildung eine berufsinterne Sozialisation erfahren, bei der Wahrnehmungs-, Denk-, und Handlungsschemata ausgeformt werden. Im Zuge der Internalisierung dieser Wahrnehmungs-, Denk-, und Handlungsschemata wird Journalisten über teilweise auch sehr subtile Wege vermittelt, was eine ‚legitime‘ Meinung, was ein ‚legitimes‘ Thema innerhalb ihres Mediums oder weitergefasst: innerhalb des mainstreammedialen journalistischen Feldes ist, und was nicht. Die implizite Zensur greift tief in das Denken der Journalisten ein, beeinflusst ihre journalistische Produkte mit. Mit dem Verständnis darüber, dass zur Analyse des Mediensystems nicht nur die ökonomischen Aspekte eines Mediums und die Stellung dieses Mediums innerhalb des großen Medienfeldes eine Rolle spielen, sind die Medien und ihr Handeln auflösungsstärker zu analysieren.“ [3]
Bei der an den Referenten gerichteten Frage Klöckners, wie er sich den kollektive Ausfall eines gesamten Mediensystems bei der Berichterstattung und Aufarbeitung kriegerischer Ereignisse erkläre, distanzierte sich Becker zwar von einer nur ökonomistischen Deutung, machte aber durchaus geltend, daß Pluralität als Ressource im zunehmenden politökonomischen Konzentrationsprozeß abhanden komme. So verwies er auf die Deutungsmacht der nurmehr vier oder fünf weltweit operierenden Nachrichtenagenturen wie auf die marktbeherrschende Stellung von bisweilen nur einer Zeitung in einer Stadt oder Region. Auf Arbeitsmärkten, wo jeder Journalist in der Gefahr steht, durch einen Experten aus der Anzeigenakquisition ersetzt zu werden, sei es nicht erstaunlich, wenn es zu vorweggenommenem Gehorsam und innerer Zensur käme. Zudem sei der Markt auf Homogenisierung von Texten abgerichtet, sprich die Präsenz kritischer Stellungnahmen, ungewöhnlicher stilistischer Formen und ausgefallener publizistischer Herangehensweisen wird mit dem Argument einer Irritation der Zielgruppe oder Überforderung des Lesers eher abgewiesen. Ihm gehe es nicht um einen verkommenen ökonomistischen Ansatz, in dem die Eigentümerstruktur deterministisch bestimmt, was am Ende herauskommt, konzedierte Becker. Die Analyse müsse komplexer sein, er wolle die politökonomische Ebene aber auch nicht außen vor lassen.
Klöckners Befund einer inneren Sozialisation, die die implizite Zensur in den Köpfen der Journalisten wirkmächtiger mache als jede äußere Zensur, wie auch seine Forderung, man müsse bei der Analyse des Mediensystems auch den Blick auf Journalisten als konkrete Akteure richten, nehmen der materialistischen Kritik politökonomischer Zusammenhänge im Bereich der Meinungsbildung und ideologischen Indoktrination nichts von ihrer Gültigkeit. So bedarf es keiner Trennung zwischen psychologischen und gesellschaftlichen Faktoren, wenn die Internalisierung gesellschaftlicher Normen und Werte durch die frühkindliche und familiäre Sozialisation natürlich auch den materialistischen Primat in den Kategorien seiner psychoanalytischen Übersetzung zur Geltung kommen läßt. Was Klöckner als „Legitimität“ journalistischen Handelns in den Stand eines selbstevidenten Imperativs erhebt, läßt sich ohne weiteres auf die existentiellen Erfordernisse berufständischen Interesses und dazu im Widerspruch stehender Positionierungen zurückführen. Dementsprechend werden die Breite möglicher Erkenntnis einschränkende „Wahrnehmungs-, Denk -, und Handlungsschemata“ Journalisten nicht aufoktroyiert, als handle es sich bei diesen um passive Rezipienten an anderer Stelle gefertigter kognitiver Module. Was immer die schreibende und sprechende Zunft produziert, basiert auf dem Einverständnis in Teilhaberschaftsansprüche, denen zu entsagen, und Unterwerfungsforderungen, denen zu widerstehen, die Betroffenen schlicht zu teuer käme. Ob die Reichweite journalistischer Kritikfähigkeit explizit etwa durch die Unternehmensgrundsätze des Springer Verlags oder implizit durch die Erwartung des Werbekunden, seine Anzeige in einem produktfreundlichen und imageförderlichen Umfeld zu schalten, begrenzt ist, macht im Ergebnis wenig Unterschied, um nur zwei Beispiele für die inhaltliche Konditionierung professioneller Medienarbeiter zu nennen.
Bourdieus Kritik an vulgärmaterialistischen Deutungen dürfte vor allem den Auseinandersetzungen der französischen Linken nach dem Ende der Blockkonfrontation um die Dominanz der orthodoxen parteikommunistischen Doktrin geschuldet sein. Ansonsten ist in den Diskursen der Medien- und Sozialwissenschaften eher ein wachsender Mangel an politisch-ökonomischer Kritikfähigkeit festzustellen. Gesellschaftstheoretische Entwürfe von betont antikapitalistischer Art werden aller offenen Widerlegung des Anspruches des hegemonialen Gesellschaftsmodells, zum Besten aller Menschen zu sein, zuwider mit einem antikommunistischen Furor bekämpft, daß die Bescheidenheit hinsichtlich der Möglichkeit, noch über den Tellerrand sachzwangverfallener – und damit im Grundsatz ökonomistischer – Schicksalsergebenheit hinauszublicken, kaum größer sein könnte. So ist leicht zu verstehen, warum der Medienkonsument auf den Content starrt wie das Kaninchen auf die Schlange – hinter der beruhigenden und gefälligen Fassade wohlfeiler Ordnungskonzepte, in die sich einzufinden auch noch durch Anerkennung und Honorar belohnt wird, lauert die Ohnmacht der vertriebenen und beraubten, der geschändeten und ermordeten Menschen. Sich mit den Auswirkungen einer Gewalt, die das Scheitern der davon Betroffenen nicht unwiderruflicher machen könnte, zu konfrontieren erfordert mehr als die Analyse kognitiver Prozesse und psychologischer Dispositionen.
Fußnoten:
[1] http://www.ialana.de/files/pdf/nato-kongress-doku/thesenpapier_becker-AG7.pdf
[2] http://www.hintergrund.de/2007080573/hintergrund/medien/operation-balkan-werbung-fuer-krieg-und-tod.html
[3] http://www.hunzinger.de/home2/highlights/Nomos-Operation%20Balkan-Werbung%20fuer%20Krieg%20u%5B1%5D.Tod.Becker,Beham,MH.pdf
[4] http://www.ialana.de/files/pdf/nato-kongress-doku/AG7%20Bemerkung%20Klöckner.pdf
20. Juni 2013
Jörg Becker
Foto: © 2013 by Schattenblick
Moderator Marcus Klöckner (links), Rapporteur Peter Vonnahme (rechts)
Foto: © 2013 by Schattenblick
Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de