Das Auge der Wahrheit
BERICHT/154: Quo vadis NATO? – (SB)
Kollaboration zwischen Medien und NATO am Beispiel Jugoslawien anläßlich des Vortrags von Dr. Kurt Gritsch am 27. April 2013 in Bremen
Gegen Geschichtsblindheit scheint kein Kraut gewachsen zu sein, wird doch immer wieder die Ansicht vertreten, die Europäische Union sei in allererster Linie ein Friedensprojekt. Dies trifft schon deshalb nicht zu, weil der offen artikulierte Vorsatz, in der Summe ihrer Mitgliedstaaten zu einem global konkurrenzfähigen Akteur zu werden, von der erklärten Absicht, diesen ambitionierten Anspruch auch durch eine entsprechende militärische Schlagkraft zu decken, nicht zu trennen ist. Ob diese durch die Mitgliedschaft der meisten EU-Staaten in der NATO oder den Aufbau supranationaler militärischer Strukturen in der EU wirksam wird, ob militärische Interventionen von einer Koalition aus Einzelstaaten oder im größeren Verbund durchgeführt werden, ändert am bellizistischen Charakter der Europäischen Union nichts.
Zudem bricht der Anspruch des Friedensprojekts EU an dem maßgeblichen Interesse, mit dem die Regierungen ihrer führenden Staaten die Zerstörung Jugoslawiens vorangetrieben haben. So waren die Verhandlungen vor dem Abschluß des Vertrags von Maastricht davon geprägt, daß Deutschland die Zustimmung Frankreichs und Britanniens zur Anerkennung der Eigenstaatlichkeit der jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien durch Zugeständnisse hinsichtlich der Tiefe der europäischen Integration wie der Einfügung einer Opt-out-Klausel bei der geplanten Währungsunion erkaufte. Einer der wichtigsten vertraglichen Schritte zur europäischen Einigung beschleunigte den Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, nachdem deren soziale und ökonomische Integrität bereits durch die Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungs-Fonds (IWF) stark beschädigt worden war. Der IWF hatte dem bei ihm verschuldeten Land Strukturanpassungsprogramme und Radikalreformen auferlegt, mit denen den verbliebenen Resten staatssozialistischer Umverteilungsstrukturen der Garaus gemacht und das Land für ausländische Kapitalinvestitionen geöffnet werden sollte.
Dieser auf die Reduzierung staatlich kontrollierter Wirtschaftsstrukturen und der vorhandenen Geldmenge gerichteten Austeritätspolitik handelte die Regierung der Teilrepublik Serbien durch das Anwerfen der Notenpresse zuwider, was ihren Präsidenten Slobodan Milosevic schon 1991 als Feind westeuropäischer Kapitalinteressen brandmarkte. Die Auflösung des multiethnischen Staates Jugoslawien längs ethnisch-religiöser Bruchlinien war das Ergebnis einer Verschärfung der sozialen Situation, die durchaus daran erinnert, was heute in der EU zwischen südlicher und östlicher Peripherie wie westlichem Zentrum stattfindet. Jugoslawien war, bei allen Problemen und Mängeln seines gesellschaftlichen Modells, als solches durchaus ein potentieller Alternativentwurf zur neoliberal verfaßten EU und stand deren Integration daher im Wege. Erschwerend hinzu kam die führende Rolle Jugoslawiens in einer Blockfreienbewegung, die der Globalisierung des neoliberalen Kapitalismus zumindest kritisch gegenüberstand. So wurde die von NATO und EU in den jugoslawischen Sezessionskriegen favorisierte Strategie, ethnisch-religiöse Bruchlinien zu aktivieren und als nationale Subjekte erst in Folge äußerer Intervention hervorgetretene Konfliktparteien gegeneinander auszuspielen, in den Kriegen in Afghanistan, im Irak, in Libyen und Syrien mit entsprechend katastrophalen Folgen reproduziert.
Für die durch den Anschluß der DDR an die BRD bereits stark geschwächte Linke in der Bundesrepublik waren die Jugoslawienkriege von paradigmatischer Bedeutung. Sie boten denjenigen, die noch keinen Anschluß an die arrivierte bürgerliche Gesellschaft gefunden hatten, eine hervorragende Möglichkeit, sich weiterhin links und antifaschistisch zu gebärden, dabei jedoch das Geschäft des deutschen Imperialismus zu verrichten. Das bereits vom Kaiserreich und NS-Regime geschundene Jugoslawien wurde 1999 zum dritten Mal im 20. Jahrhundert Opfer deutscher Aggression durch eine ideologische Rochade, die Opfer in Täter umdeklarierte, um die Verbrechen des NS-Staates an ihnen sühnen zu können. Der militaristische Furor, mit dem Linke aller Couleur schon im Bosnienkrieg die Bombardierung serbischer Stellungen bei Sarajewo verlangten, noch bevor eine rot-grüne Bundesregierung die Beteiligung der Bundeswehr am völkerrechtswidrigen Überfall der NATO auf die Bundesrepublik Jugoslawien guthieß, war der Entsorgung des Antifaschismus von allen antikapitalistischen Elementen geschuldet. Als ideologischer Katalysator postmoderner Feindbildproduktion ebnete die kriegstaugliche Adaption des Widerstands gegen Hitler, gegen den zu kämpfen nun auch den Nachgeborenen möglich wurde, indem sie seine genozidale Vernichtungs- und Lebensraumpolitik auf serbische Politiker und Generäle übertrugen, den Weg in eine kriegerische Restaurationspolitik, in der die Abrechnung mit der kommunistischen und antiimperialistischen Linken ebenso aufging wie die Ankunft in einer Berliner Republik, die sich anschickte, die deutsche Hegemonie über Europa endlich wahr werden zu lassen.
Was als postnationale und postmoderne Wertegemeinschaft der EU antrat, um die postsozialistischen Verteidiger Jugoslawiens großserbischer Aggression zu bezichtigen, war von offensichtlich tiefsitzenden serbophoben und antislawischen Ressentiments getragen. Die Inanspruchnahme des Erbes der europäischen Aufklärung wurde denjenigen Jugoslawen, die nicht darum baten, endlich zu Europa gehören zu dürfen, als Erblast authochthoner Rückständigkeit in Rechnung gestellt, was unter anderem in die Forderung nach einer Umerziehung der Serben mündete. Deren kriegerische Unterwerfung aus ganz anderen Gründen wie etwa der Eindämmung des russischen Einflusses auf den westlichen Balkan, der Legitimation des Fortbestandes der NATO nach dem Ende der Blockkonfrontation und der Erschließung der jugoslawischen Republiken für die Kapitalinteressen westeuropäischer Akteure konnte so den Eindruck erwecken, hier schicke sich eine Menschenrechten und Demokratie verpflichtete Wertegemeinschaft an, von finsteren Demagogen und hartnäckig an ihrer Macht festhaltenden Apparatschiks versklavte Bevölkerungen für die Segnungen der Marktwirtschaft und europäischen Einigung zu befreien.
Heute, da die zwischenimperialistischen Konflikte zwischen den führenden Staaten der EU und NATO mit krisenbedingter Vehemenz an die tagespolitische Oberfläche drängen, geht das Interesse daran, das Leben der in den exjugoslawischen Staaten lebenden Bevölkerung zu verbessern, gegen Null. Umgeben von ebenfalls massiv verarmten EU-Staaten wie Griechenland, Bulgarien und Rumänien, auf deren Spuren auch das von der Finanzkrise erfaßte ehemalige Erfolgsmodell Slowenien als bislang einziges exjugoslawisches EU-Mitglied wandelt, legen Bosnien, Serbien, Mazedonien, der Kosovo und auch der EU-Beitrittskandidat Kroatien beredtes Zeugnis vom irreführenden Charakter der angeblich menschenfreundlichen Absichten ab, an denen Jugoslawien im Sinne von NATO und EU genesen sollte.
Feindbilder mit „gut“ und „böse“ auf den einfachsten Nenner gebracht
Die Rolle der angeblich vierten Gewalt in den jugoslawischen Sezessionskriegen zu untersuchen ist keineswegs von nur zeitgeschichtlichem oder medientheoretischem Interesse. Die massenmediale Indoktrination, die in diesen Kriegen die faule Blüte einer rassistischen Dämonisierung der von der NATO zum „Feind“ auserkorenen Serben trieb, kann durchaus als Vorschein auf künftige Formen kriegstauglicher Feindbildproduktion genutzt werden. Die dabei angewendeten Mittel und Methoden sind um so relevanter für die heutige Medienrealität, als eine Aufarbeitung der einhelligen Bereitschaft großer Zeitungen und Sender, die ideologische Dichotomie der Jugoslawienkriege zu kolportieren, nur im eng begrenzten Rahmen kritischer Publizistik und Medienwissenschaft stattgefunden hat.
In seinem Beitrag zur Arbeitsgruppe „Medien als Kriegspartei und das Recht“ auf dem Kongreß „Quo vadis NATO? – Herausforderungen für Demokratie und Recht“ stellte der Zeithistoriker und Konfliktforscher Dr. Kurt Gritsch verschiedene Formen des journalistischen Umgangs mit dem Thema Krieg vor. Dabei stellte er das Konzept des Friedensjournalismus nach Johan Galtung dem Journalism of Attachment – zu deutsch: Gemeinmachender Journalismus – gegenüber. Während sich ersterer vor allem auf Opfer fokussieren und Gründe für die Entstehung von Konflikten darlegen sollte, um friedliche Lösungen aufzuzeigen, mache sich letzterer wider die Friedenspflicht der Medien die Interessen kriegführender Parteien zu eigen. Dabei zur Anwendung gelangende Mittel wie die Einbettung von Journalisten bei militärischen Einheiten, die bloße Inszenierung von Nachrichten mit Hilfe einer überbordenden Bilderflut und dem rasenden Tempo der Live-Reportage gehen zu Lasten einer analytischen Herangehensweise, die angebliche Kriegsgründe kritisch reflektiert und überprüft.
Mehr der schnellen Konsumierbarkeit aufregender Inhalte als der kontroversen Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Wirklichkeit gewidmete Formate wie Emotainment, Infotainment und Politainment repräsentieren einen an der Oberfläche vordergründiger Absichten verbleibenden Journalismus, der höchst fragwürdige Inszenierungen wie die Aufnahme aus dem Weißen Haus, die US-Präsident Obama und Teile seines Kabinetts und Stabs während der Erschießung Osama bin Ladens im fernen Afghanistan zeigt, vorbehaltlos im Kontext der ihr zugewiesenen Bedeutung verortet. Ob auf dem Fernsehschirm, auf den die Anwesenden gebannt schauen, tatsächlich die Direktübertragung der Operation im pakistanischen Abbottabad gezeigt wird, auf welche Weise der Al Qaida-Chef umgebracht wurde und ob dies überhaupt erfolgt ist, sind Fragen, die sich in Anbetracht widerlegter Behauptungen kriegführender Regierungen durchaus stellen. Die simple Suggestion, daß das Fernsehen angeblich die Realität abbildet, kann im Zeitalter lebensecht wirkender CGI und anderer hochentwickelter Möglichkeiten der Bildbearbeitung weniger denn je verfangen.
Laut Gritsch wurde Saddam Hussein allein im Vorfeld des Golfkrieges 1991 in den Printmedien 1170mal mit Hitler verglichen. Die öffentliche Zurschaustellung seiner medizinischen Untersuchung nach seiner Ergreifung im Dezember 2003 ist ein exemplarisches Beispiel für den entwürdigenden Charakter der Inszenierung eines Menschen als Ausgeburt des Bösen. Die Haare Saddam Husseins wurden durch einen kahlgeschorenen US-Militärarzt auf Läuse untersucht, wobei dieser durch Latexhandschuhe demonstrierte, daß sein Gegenüber Quelle womöglich ansteckender Krankheiten sein könnte. Die klinische Sterilität des Vorgangs entmenschlichte den besiegten Staatschef vielleicht wirksamer, als es die vielen Berichte über seine zweifellos grausamen Menschenschindereien getan haben.
Der Zweckentfremdung der Geschichte der NS-Diktatur können sich nicht einmal mittelbar vom Holocaust Betroffene enthalten, wie in Israel in der Konfrontation mit arabischen Nachbarstaaten herangezogene NS-Vergleiche oder die Rolle großer jüdischer Organisationen in den USA bei der Gleichsetzung von Serben und Nazis belegen. So brüstete sich James Harff, damals Chef der PR-Agentur Ruder Finn Global Public Affairs, die den Auftrag hatte, dieses spezifische Feindbild unter anderem anhand der Gleichsetzung serbischer Gefangenenlager und KZs der Nazis glaubhaft zu machen, damit, einer ihrer größten Leistungen habe darin bestanden, drei große jüdische Organisationen – B’nai B’rith Anti-Defamation League, das American Jewish Committee und den American Jewish Congress – im Rahmen dieser Kampagne dazu gebracht zu haben, eine Anzeige in der New York Times zu schalten und Demonstrationen vor dem Gebäude der Vereinten Nationen zu organisieren. Dies erhöhte die Glaubwürdigkeit des gegen die serbische Seite gerichteten Vorwurfs, in den Fußstapfen der Nazis zu wandern, erheblich, wie Harff in einem Interview hervorstrich. [1]
Indem er diese Organisationen für die Interessen des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman und des bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic einspannte, wurde auch der gut begründete Vorwurf einer antisemitischen Gesinnung, dem diese beiden an der Zerstörung Jugoslawiens maßgeblich beteiligten Politiker ausgesetzt waren, gegenstandslos gemacht. Während Izetbegovic erklärtermaßen einen islamischen Gottesstaat auf bosnischem Boden errichten wollte, war auch Tudjmans Wertschätzung der faschistischen, mit den NS-Besatzern Jugoslawiens verbündeten Ustascha, die Hunderttausende jüdischer und serbischer Bürger des Landes ermordeten, kein Geheimnis. Dennoch unterstützte die deutsche Bundesregierung Kroatien mit Waffenlieferungen, wie auch die Parteinahme für die Kosovo-Albaner in der unheiligen Tradition des erfolgreichen Versuchs stand, Verbündete für Wehrmacht und SS gegen die jugoslawischen Partisanen zu gewinnen. Die Vertreibung zehntausender Roma aus dem Kosovo unter den Augen deutscher KFOR-Soldaten, darunter von der antiziganistischen Vernichtungspolitik des NS-Staates betroffene Familien, war ein bezeichnendes Ergebnis der Forderung Fischers und Schröders, deutsche Soldaten gerade dorthin zu schicken, wo Wehrmacht und SS aufs schlimmste gewütet haben. Auf die dabei angeblich erfolgte Wiedergutmachung deutscher Schuld wird bis heute gewartet.
Es kann daher auch nicht erstaunen, daß die Initiative zweier beherzter Friedensforscher zur Aufarbeitung der deutschen Beteiligung am Überfall der NATO auf Jugoslawien ins Leere stieß. In einem offenen Brief vom März 2001 schlugen Dieter S. Lutz und Reinhard Mutz die Einrichtung einer Kommission des Bundestags zur Behandlung der Frage „Wieviel Unrecht verträgt ein Rechtsstaat?“ vor und forderten eine öffentliche Anhörung, um dem Problem eines möglichen „Demokratiedefizits und Demokratieversagens“ nachzugehen sowie Vorwürfe einer Manipulation des Parlaments zu widerlegen. Als ob sie in ein Wespennest gestochen hätten, empörte sich der damalige SPD-Fraktionschef Peter Struck über „schwerste Anschuldigungen“ gegen Regierung und Parlament, die „bis hin zu kaum erträglichen Verleumdungen“ reichten. Der SPD-Außen- und Sicherheitsexperte Gernot Erler behauptete, die „massiven Vorwürfe“ beruhten in mehreren Fällen auf „einseitiger und tendenziöser Fakteninterpretation“, ohne die Parteinahme der Bundesregierung gegen den Reststaat Jugoslawien dementsprechend in Rechnung zu stellen.
„Gemeinmachender Journalismus“ für Auflagenzahlen und Werbekunden
Um dem Wirklichkeitsprimat medialer Inszenierungen nicht zu erliegen, schlägt Moderator Marcus Klöckner ein Analyseverfahren in den Sozialwissenschaften vor, das von der Frage ausgeht, wie man ein Bild wahrnehmen würde, wenn man den Kontext, in dem es präsentiert wird, ausklammerte. Zweifellos hilft eine derartige Reduktion weiter, wird der Blick doch auf Details gerichtet, die ansonsten im vorgegebenen Interpretationsrahmen untergehen. Auch eine quasi detektivische Bildanalyse bleibt allerdings einer kognitiven Informationsaufnahme verhaftet, die ohne die virulenten Verdachtsmomente des kritischen Betrachters kaum weiteren Aufschluß verschaffte. Ohne eine herrschaftskritische Argumentation läuft die vierte Gewalt Gefahr, im Wellenschlag bloßer Meinungen und Relativierungen jeden Biß zu verlieren, der menschenverachtende Verhältnisse wirksam in Frage stellte. Die Verfolgung Edward Snowdens und Julien Assanges durch die US-Justiz wie die Androhung lebenslanger Haft für Bradley Manning sind auch als abschreckende Beispiele für alle Menschen gedacht, die sich aus idealistischen Gründen gegen die Selbstherrlichkeit mächtiger Interessen stellen.
Wollen Journalisten einem nicht nur massenmedial erzeugten, sondern auch von einem möglicherweise breiten gesellschaftlichen Konsens getragenen Wirklichkeitsprimat entschieden entgegentreten, bedarf es der profunden Positionierung im Feld widerstreitender Meinungen, semantischer Begriffsverschiebungen und materieller Interessen. So erinnert Gritsch daran, daß es für Journalisten zum Teil viel lukrativer sei, für die „richtige“ Seite zu schreiben, als der verlangten Zementierung spezifischer Feindbilder zu widerstehen. Die mit der neoliberalen Hegemonie seit Anfang der 1980er Jahre angestoßene Privatisierung der Massenmedien hat mit der Kommodifizierung des öffentlichen Guts Information zur Ware die ökonomische Abhängigkeit von Medienarbeitern verschärft. Journalisten unterliegen der gesellschaftlichen Rationalisierung der Arbeit nicht minder als andere Berufszweige, so daß es keiner besonderen Aufforderung bedarf, sie auf die politische Linie ihres Arbeitgebers einschwenken zu lassen.
Es müssen nicht gleich Karrieren wie die des ehemaligen BBC-Kriegskorrespondenten Mark Laity sein, der sich in den Pressekonferenzen des ehemaligen NATO-Sprechers James Shea während des Jugoslawienkriegs als Stichwortgeber so bewährte, daß er vom britischen Staatssender zur Militärallianz wechselte, um in ihrem europäischen Hauptquartier (SHAPE) die Abteilung für strategische Kommunikation zu leiten. In Anbetracht einer Reservearmee von rund 20.000 arbeitslosen Journalisten in der Bundesrepublik und dementsprechend geringer Zeilenhonorare für freie Autoren auf der einen Seite und der zusehends betriebswirtschaftlichen Ausrichtung des Mediengeschäfts auf der anderen Seite kann das simple Überleben im Beruf Anlaß genug sein, auch ehemaligen Linken letzte Ansprüche an eine herrschafts- und kapitalismuskritische Berichterstattung auszutreiben. So war die von taz bis FAZ propagierte Beteiligung der Bundeswehr am Jugoslawienkrieg nicht nur dem ideologischen Abhalftern opportunistischer Alt-68er geschuldet, sondern auch dem schlichten Professionalismus eines Gewerbes, das die Presse dem Journalisten Karl Marx aus gutem Grund nicht sein sollte.
Von daher stellt der von Gritsch kritisierte Journalism of Attachment eher die Regel als die Ausnahme dar, betrachtet man nur die langjährige Favorisierung neoliberaler Leitsätze durch Konzernmedien, denen das Interesse an der Fortschreibung hoher Renditen so selbstverständlich ist wie die Zurichtung ihrer Produkte auf ein dazu förderliches gesellschaftliches Meinungsklima. Ob allerdings der äquivalenten Befürwortung aus geostrategischem Interesse an Ressourcensicherung, Marktöffnung, Investitionsschutz und der Ausschaltung mißliebiger Konkurrenten geführter Kriege mit der Verpflichtung zu einem Frieden entgegengetreten werden kann, den zu schützen und zu sichern auch Bundeswehr und NATO behaupten, ist eine Frage, über die weiter zu debattieren ist.
Folgenschwerer Rechtsstreit um ein Kriegsfoto
Gritsch ging auch auf die Debatte um sogenannte serbische Todeslager ein. Die Unterstellung, im Falle der serbischen Kriegspartei in Bosnien dienten die von allen Seiten unterhaltenen Gefangenenlager der systematischen Vernichtung bosnischer Muslime, gehörte zu den Kernstücken kriegsbegünstigender Propaganda in den NATO-Staaten. Als ruchbar wurde, daß vielpublizierte Bilder angeblicher Opfer serbischer Gewalt in die Irre führten, weil sie etwa an anderem Ort aufgenommen worden waren oder serbische Opfer als Muslime ausgewiesen wurden, rechtfertigte sich James Harff mit der Richtigstellung, niemals behauptet zu haben, daß es in Bosnien Todeslager gebe, sondern lediglich bekannt gemacht zu haben, daß die US-Tageszeitung Newsday dies verbreitet habe.
Das wohl berühmteste Foto aus dem Bosnienkrieg ist auch für Gritsch ein höchst fragwürdiges Stück Medienarbeit. Es zeigt den ausgemergelten Muslim Fikret Alic und andere Lagerinsasssen hinter dem Stacheldraht des angeblichen serbischen KZs Trnopolje. Da der Referent aus zeitlichen Gründen nur kurz auf den irreführenden Charakter dieses emblematischen Bilddokuments eingehen konnte, soll dies an dieser Stelle in Hinsicht auf den insbesondere für kleine unabhängige Publikationen bedeutsamen Rechtsstreit, der sich an seiner Interpretation entzündete, nachgeholt werden.
Zuletzt hat dieses Bild im März 2000 Schlagzeilen gemacht, als der britische Nachrichtensender und Content Provider ITN, in dessen Auftrag die Szene 1992 gefilmt worden war, vor dem Londoner High Court einen juristischen Sieg über das LM-Magazin davontrug. Die kleine Zeitung hatte sich mit einer Kritik der Darstellung des Lagers als KZ eine Blöße gegeben, in die die Anwälte des Fernsehsenders dank eines überaus konzernfreundlichen britischen Verleumdungsgesetzes hineinstoßen konnten. Dabei hatten die Geschworenen am Londoner Gericht nach der Sichtung des Filmmaterials festgestellt, daß es sich bei dem Stacheldraht vor den bosnischen Muslimen um keinen Gefängniszaun handelte. Dem Urteil gegen das LM-Magazin lag lediglich die Behauptung der drei Kläger ITN, der ITV-Reporterin Penny Marshall und Ian Williams von Channel 4 zugrunde, in bester Absicht gehandelt zu haben, was die angeklagte Zeitung durch Abdruck eines von dem Frankfurter Journalisten Thomas Deichmann verfaßten Artikels in Frage gestellt hatte.
Der beim LM-Magazin in Britannien im Februar 1997 unter dem Titel „The picture that fooled the world“ veröffentlichte Beitrag war unter dem Titel „Es war dieses Bild, das die Welt in Alarmbereitschaft versetzte“ erstmals im Januar 1997 im deutschen Zweimonatsmagazins Novo erschienen. Des weiteren druckten ihn die Monatszeitung konkret, der österreichische Standard sowie die Schweizer Weltwoche ab, ohne daß eine dieser Publikationen verklagt worden wäre. Dem britischen Verleumdungsrecht zufolge mußte das LM-Magazin den Beweis führen, daß Marshall und ihr Team in böswilliger Absicht gehandelt hätten. Das konnte der Zeitung schon deshalb nicht gelingen, da sie nicht über die Geldmittel der Sender verfügte, die den Prozeß anstrengten.
Letztlich obsiegten die Kläger, indem sie glaubhaft machten, es sei ihnen um die generelle Unterstützung von bosnischen Serben inhaftierter, gequälter, vergewaltigter und ermordeter Muslime gegangen. Dieser durch die geschlossene Front westlicher Kriegspropaganda gestützten Absicht gegenüber erschien die fragwürdige Herangehensweise der drei britischen Journalisten als insgesamt akzeptable Hilfestellung in einem Kreuzzug für Menschenrechte. Es handelte sich praktisch um ein politisches Werturteil, gegen das auch die Tatsache, daß das Gericht Deichmanns Recherche nicht weiter beanstandete, nichts ausrichten konnte.
Daß es in Gefangenenlagern unter Aufsicht bosnischer Serben zu Übergriffen gekommen ist, kann nicht bezweifelt werden, daß die Auschwitz-Parallele in Bürgerkriegen generell und in Trnopolje insbesondere nicht nur unzutreffend ist, sondern Haß und Gewalt schürt, jedoch ebensowenig. Thomas Deichmann hat in seinem Artikel durch Zeugenaussagen untermauert, daß Trnopolje ein Sammellager für Flüchtlinge war, die sich aus Angst vor serbischen Milizen dorthinbegeben hatten. Er wies nach, daß die britischen Journalisten das Gelände und die bosnischen Muslime von einem umzäunten Grundstück aus gefilmt und diese Bilder in den unzutreffenden Kontext eines KZ-Szenarios gestellt hatten.
Der ausgemergelte Zustand der Flüchtlinge sei auf Versorgungsschwierigkeiten zurückzuführen gewesen, und bei Fikret Alic habe es sich zudem um den abgemagertesten Menschen gehandelt, den das britische Kamerateam vor die Linse lotsen konnte. Deichmann hatte Trnopolje 1996 besucht, also vier Jahre nach Entstehen der Aufnahmen, und mehrere Zeugenaussagen eingeholt, die bestätigten, daß das Lager niemals komplett eingezäunt war und die vorhandenen Zäune bereits vor der Einrichtung der Sammelstelle für Flüchtlinge errichtet worden waren.
In Deichmanns Geschichte erfährt man, daß das ITN-Team seine Reise in die Lager auf Einladung des bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic gemacht hatte. Ihm sei es darum gegangen, den Vorwurf der bosnischen Muslime über die in serbischen Lagern herrschende Brutalität zu entkräften. Nachdem das Team bereits zwei von der bosnischen Regierung als Konzentrationslager deklarierte Orte besucht und dort normale Flüchtlingslager vorgefunden hatte, reiste es in das Lager Omarska, das zu dieser Zeit bereits in der Zeitschrift Newsday als „Todeslager“ benannt worden war. Auch dort konnten die britischen Journalisten keine ihre hochgesteckten Erwartungen befriedigenden Aufnahmen machen, wurden allerdings auch nicht in alle Teile des Lagers gelassen und fühlten sich daher getäuscht. In Trnopolje, dem letzten Ort ihrer Reise und daher der letzten Gelegenheit, die Erwartungen ihrer Auftraggeber und ihres Publikums zu erfüllen, konnten sich die Journalisten frei bewegen.
Deichmann machte sich in seinem Artikel durchaus als Kritiker serbischer Grausamkeiten kenntlich, indem er zum Beispiel davon berichtete, wie eine besonders berüchtigte Bande serbischer Marodeure ins Lager einfiel und Frauen vergewaltigte. Er beschreibt jedoch auch, daß das Lager vielen bosnischen Muslimen Schutz auch vor eigenen Leuten, die die jungen Männer für den Krieg ausheben wollten, wie vor serbischen Kämpfern bot. So sei es im Lager zur Gewaltanwendung des Wachpersonals an Flüchtlingen gekommen, die in ihrer für Bürgerkriege eher durchschnittlichen Art allerdings nicht sensationell genug gewesen wäre. Von einigen Flüchtlingen, die das Lager wieder verlassen hatten, was jederzeit möglich war, wußte man, daß sie beim Besuch ihrer Häuser von serbischen Milizen umgebracht worden waren.
Der an der ITN-Reportage im Lager Trnopolje beteiligte Journalist Ed Vulliamy von der Tageszeitung The Guardian wertete den juristischen Sieg über das LM-Magazin als Beweis dafür, daß Deichmann serbophilem Geschichtsrevisionismus erlegen wäre. Der deutsche Journalist, der, wie er selbst berichtete, das Bild stets für einen authentischen Beleg massiver serbischer Gewaltanwendung an bosnisch-muslimischen Flüchtlingen verstanden hatte, war jedoch auf eher zufällige Weise dazu gekommen, der Geschichte seiner Entstehung nachzugehen. Deichmann hatte von der niederländischen Anwaltskanzlei Wladimiroff & Spong den Auftrag erhalten, Recherchen zur Verteidigung des vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag angeklagten Serben Dusko Tadic anzustellen. In deren Rahmen stieß er auf Widersprüche in den Berichten von Penny Marshall, Ian Williams und Ed Vulliamy über Trnopolje.
Im Prozeß konnte sich Penny Marshall nicht daran erinnern, ob sie auf einem mit Stacheldraht umzäunten Grundstück stand, zudem soll ihr eigenes unbearbeitetes Filmmaterial, auf dem ihr Team auf diesem Grundstück zu sehen ist, im ITN-Archiv verlorengegangen sein, konnte also nicht vom LM-Magazin als Beweismittel vorgeführt werden. Laut Gritsch hat Penny Marshall damals ausgesagt, nie behauptet zu haben, daß Trnopolje ein KZ sei. Tatsächlich hat sie nur das Bild geliefert, doch andere haben es in diesem Sinne interpretiert.
Thomas Deichmann wurde am 16. März 2000 von der Tageszeitung „junge Welt“ um eine Stellungnahme zu dem Prozeß gebeten:
„Während des Prozesses wurde eigentlich das genaue Gegenteil bestätigt: Mein Artikel ist korrekt. Es wurde während der Beweisführung in dem Verfahren eindeutig festgestellt und auch von Richter Morland im Summary bestätigt, daß es – wie in meinem Artikel beschrieben – einen Stacheldraht nur um das kleine Gelände gab, das vorher ein Bauhof war, daß die Journalisten auf diesem kleinen Gelände standen und herausgefilmt haben. Das wurde einwandfrei festgestellt.
Interessant beim Urteil ist auch, daß die Klage wegen ‚böswilliger Verleumdung‘ fallengelassen wurde. Aufgrund dieser Klage wurden LM und ich in den letzten Jahre immer wieder denunziert, wir wären proserbisch. Noch vor drei Wochen hat mich ein Guardian-Reporter angerufen und mich gefragt, ob es wahr wäre, daß ich mit einer Serbin verheiratet bin. Diese Klage wurde fallengelassen, weil es dafür überhaupt keine Anhaltspunkte gab.
Das Problem mit dem libel-law, dem Verleumdungsgesetz in England, ist, daß LM hätte beweisen müssen, daß die Reporter das damals absichtlich gemacht haben. Nur dann hätten sie den Prozeß gewonnen. Das heißt, sie sollten etwas beweisen, was nicht beweisbar ist. Daher ging es bei diesem Prozeß um eine einzige Frage: Kann LM während des Prozesses beweisen, daß die Reporter damals dieses ‚fehlleitende‘ Bild absichtlich in Umlauf gebracht haben. Doch wie soll man diese ‚Absichtlichkeit‘ beweisen?“
Viele Nachrichtenagenturen und Zeitungen, die über den Prozeß berichteten, unterschlugen die richterliche Bestätigung der Korrektheit der Darstellung in dem Artikel Deichmanns, so daß der Eindruck blieb, bei dem Strafurteil in Höhe von 375.000 Pfund, das LM finanziell ruinierte und zur Aufgabe zwang, handelte es sich um einen Beweis für die Unrichtigkeit seiner Recherchen. Nicht nur der Guardian hat das Urteil als nachträgliche Verifikation seiner Berichterstattung über den Bosnien-Krieg genutzt, auch Die Welt schlug in diese Kerbe, wie der Kommentar vom 16. März 2000 zeigt:
„Die Journalisten gingen vor Gericht und haben nun einen Sieg errungen: gegen Ewiggestrige, die in proserbischer Verblendung den Tatsachen nicht ins Gesicht sehen wollen, aber auch für die Freiheit der Presse in Zeiten des Krieges.“
Trotz des Engagements von 150 britischen Journalisten, Autoren und Anwälten, die ITN öffentlich aufgefordert hatten, keine Verleumdungsklage zu erheben, sondern eine öffentliche Debatte um eben diese Pressefreiheit zu führen, verkehrte sich die juristische Abrechnung mit dem aus der Zeitschrift Living Marxism hervorgegangenen LM-Magazin in eine Attacke auf Kritiker der westlichen Jugoslawienpolitik. In seinem Guardian-Leitartikel vom 15. März 2000 stellte Vulliamy die aufklärerische Berichterstattung des LM-Magazins in eine Reihe mit der Auschwitz-Lüge:
„Man könnte mit postmodernem Überdruß und dem Mangel von Werten in einer von Oberflächlichkeit besessenen Gesellschaft argumentieren. Man könnte überzeugend die vollständige Unfähigkeit beim Verständnis des Faschismus, den ‚Opferhaß‘ und die starke historische Neigung der Briten anführen, gegenüber den europäischen Tyrannen von Franco und Hitler bis Milosevic Appeasement zu üben. Häufig war auch ein mutierter Zug von Antisemitismus anzutreffen, da die Muslime auf ihre Weise die Juden Bosniens waren. Aber die greifbarste Antwort liegt meiner Ansicht nach in der Art und Weise, wie Revisionismus in einer gelangweilten Gesellschaft funktioniert, ob er nun von David Irving oder Living Marxism ausgeht. Denn so, wie die Serben die Westentaschen-Nazis des Balkan sind, so sind Living Marxism Holocaust-Leugner von Westentaschenformat, da sie sich der gleichen billigen Slogans bedienen.“
Das Ende einer kleinen Zeitung, die gegen den Strom mächtiger Medienkonzerne schwamm, vermittelt einen plastischen Eindruck von den Machtverhältnissen in der Welt der politischen Publizistik. Der Forderung, objektiv und wahrheitsgemäß zu berichten, sind Grenzen nicht nur des materiellen Überlebens gezogen, sondern auch gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse, die die Existenz unabhängiger Presseorgane bedrohen, sofern sie den publizistischen Imperativ gesellschaftsverträglicher Konsensproduktion nicht als ihre Aufgabe akzeptieren wollen.
Fußnote:
[1] http://www.sourcewatch.org/index.php/James_Harff
Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de