Militärforschung an Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen und das Recht
Tagungsbericht Forum III, Sonntag 28. April 2013
Militärforschung an Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen und das Recht
Das Forum begann vor 29 Teilnehmerinnen und Teilnehmern mit den angekündigten Kurzvorträgen von Dr. Sabine Jaberg, Sören Böhrnsen, Professoren Ulrich Bartosch, Gerhard Stuby sowie Jürgen Lüthje und Eric Toepfer.
Erwartungsgemäß bildete die Frage der Abgrenzung zwischen ziviler und militärischer Forschung einen Schwerpunkt. Frau Dr. Jaberg nannte den Inhalt der Forschung oder die beteiligten Personen (Auftraggeber, Finanziers) als mögliche Abgrenzungskriterien und betonte, dass sie in den Technik- und Naturwissenschaften klarer fassbar seien, z.B. wenn über Panzer oder Drohnen geforscht werde. In der Grundlagenforschung und in den Geistes- und Sozialwissenschaften sei die Abgrenzung schwieriger. Festhalten könne man, dass konkrete Projekte betrachtet werden müssten und dass sie gegenüber militärischer Nutzung jedenfalls nicht unkritisch, legitimierend oder gar verherrlichend sein dürften.
Problematisch sei der generelle Ausschluss, die Exklusion von Personen/Institutionen, sie könnten auch „gute“, zivil nützliche Themen sponsern, z.B. Hörschäden nach Detonationen.
Es sei von der Verwobenheit von ziviler und militärischer Forschung auszugehen (dual use), wobei die Forschungsträger auch beide Bereiche bedienen könnten. Die Zivilklausel dürfe nicht zu einem „Terror der Tugend“ führen, der Weg liege nicht im Ausschluss. Der Schlüssel sei die Veröffentlichung der Forschungen und ihrer Ergebnisse. Eine Forschung, die das Licht scheue, werde sich zurückziehen.
Eric Toepfer widmete sich der Sicherheitsforschung und stellte zwei Forschungsprogramme vor, das der Europäischen Union umfasse 1,4 Milliarden €, das des Bundesministeriums für Bildung und Forschung knapp 400 Millionen €. Im Programm Horizon 2020 habe sich die Europäische Union zwei Milliarden Euro für „zivil-militärische“ Forschung vorgenommen. Der militärisch-industrielle Komplex, die Europäische Union und das Verteidigungsministerium diskutierten das unter dem Stichwort Heimatschutz, wobei die Programme für Polizei und Katastrophenschutz noch nicht berücksichtigt seien.
Programme des Bundesministeriums für Bildung und Forschung existierten an 60 Universitäten und Fachhochschulen, es werde ein Bundesamt für Bevölkerungsschutz unterhalten.
Engagiert seien große Technikkonzerne wie EADS, Thales, Siemens usw. Auch um Prof. Klaus Thoma, Freiburg, vom Fraunhofer-Verbund Verteidigungs- und Sicherheitsforschung gruppierten sich viele Vorhaben.
Zu fordern sei, dass Militärforschung konzernunabhängig sein müsse.
In einer Tabelle präsentierte er die zehn Top-Projekte, die von Technologie- und Rüstungskonzernen sowie den Fraunhofer Instituten dominiert werden.
Insgesamt herrsche die Technikforschung vor, die sozialwissenschaftliche Forschung sei wenig vertreten. Es werde z.B. an Drohnenschwärmen geforscht, die Wolken untersuchen könnten (Gas, Sand, Vulkanasche) oder der Schutz von Gebäuden und Tunneln mit sensiblen Netzen.
Toepfer zeigte uns weiter eine Tabelle der zehn Top-Instituten die joint research auf zivilem und militärischem Gebiet machten. Es handele sich um Forschungs-Cluster. Wichtig sei die Transparenz „wer macht was und wie wird es finanziert ?“. Dabei müsse man ohne Vorverurteilungen herangehen und die konkreten Projekte untersuchen.
Sören Böhrnsen berichtete über die Zivilklausel, die 1986 in der Satzung der Universität Bremen mit der Einführung des neuen Fachbereichs Raumfahrttechnik/Weltraumtechnik installiert worden ist. Der Beschluss des akademischen Senats forderte damals die ForscherInnen auf, militärische Forschung abzulehnen, aber inzwischen werde selbst die Abschaffung der Zivilklausel diskutiert.
Der Bremer Raumfahrtkonzern OHB (z.B. Satellitenprojekte und Luftfahrtindustrie) habe eine Stiftungsprofessur für zehn Jahre eingerichtet und einen Preis von der Universität erhalten, der Studentenproteste ausgelöst habe. Nach Umfragen seien 70-80 % der Studierenden für eine Zivilklausel. Für die Satzungen der Universitäten Frankfurt, Darmstadt und Köln seien sie in der Diskussion, in Kraft seien sie bisher an wenigen Universitäten. Eine Schwarz-weiß-Betrachtung sei nicht sinnvoll, wichtig sei das Bekanntmachen dieser Selbstbindung, das Erwecken eines Problembewusstseins, die Transparenz und Öffentlichkeit der Forschungsergebnisse, die Verhinderung von Geheimforschung, die Einrichtung z.B. von Ethikkommissionen. Zentral sei, das Thema Militärforschung zu diskutieren, auch anhand der Aufnahme von Zivilklauseln in die Hochschulgesetze selbst (über die Universitätssatzungen hinaus).
Gerhard Stuby berichtete, dass die Zivilklausel in den 1980er Jahren geradezu als Gespenst betrachtet wurde, das an den Universitäten umgehe und die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG bedrohe („Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung“). Professor Horn habe sie als „Friedensextremismus“ und „Tendenzuniversität“ bezeichnet. Das Bundesverfassungsgericht habe 2004 eine Beschwerde dagegen abgewiesen (Brandenburgisches Hochschulgesetz, Beschluss v. 26.10.2004. 1 BvR 911/00, 1 BvR 927/00, 1 BvR 928/00). Inzwischen sei Frau Professor Baer beim BVerfG für Hochschulautonomie zuständig, das lasse hoffen.
Das Grundgesetz sehe die Bundeswehr vor, aber als Verteidigungsarmee, nicht im Sinne der neuen NATO-Strategie. Es sei dennoch schwierig, Angriffs- und Verteidigungsmittel bzw. zivile und militärische Nutzung zu unterscheiden Wichtig sei die parlamentarische Kontrolle, das BVerfG habe den Parlamentsvorbehalt immer betont. Die Verfügung über die entsprechenden Produktionsmittel sollte nicht unter Art. 14 Abs. 1GG gefasst werden, sondern unter Art. 14 Abs. 2 bzw. Art. 15 GG – wäre denn der politische Wille vorhanden.
Professor Lüthje verwies darauf, dass sich Diskussionen über die Reichweite der Wissenschaftsfreiheit bereits zu Zeiten der Weimar Reichsverfassung als kultur- und sozialstaatliche Klauseln finden ließen. Die Garantien der Wissenschaftsfreiheit seien bereits 1848 diskutiert worden, die Vorarbeiten zur bremischen Landesverfassung nach 1945 hätten einen Gesetzesvorbehalt und eine Anwendungskontrolle der Wissenschaftsfreiheit erwogen.
Es gebe eine Verantwortung der Wissenschaft für ihre Themen und Folgen, nicht nur im Bereich der Militär – und Kriegsforschung, ebenso im Bereich der Biologie, Ökologie und des Sozialsystems. Auch Militärforschung könne völlig legitim auf Verteidigung zielen. Man könne sich z.B. fragen, wie man PCs im cyberwar schützen könne. Die WissenschaftlerInnen müssten sich z.B. angesichts der Kernspaltung und ihres Zerstörungspotenzials fragen, ob solche Erkenntnisse nicht geheim gehalten werden müssten (Los Alamos gegen Hitler).
Es seien moralische, ethische und rechtliche Dilemmata zu bedenken. Art. 5 Abs. 3 GG sei ein Individualrecht, ein Freiheitsrecht der WissenschaftlerInnen, das bis zur Anwendungsmöglichkeit reiche. Es umfasse das Recht zur Publikation und zur Nichtpublikation, zur Kooperation und zur Kommunikation der WissenschaftlerInnen untereinander. Art. 5 Abs. 3 GG enthalte auch eine Institutsgarantie für die Körperschaft, die Selbstverwaltung, die Mitbestimmung und die Satzungshoheit. Eingriffe in diese verlangten eine gesetzliche Grundlage.
Aus diesem verfassungsrechtlichen Rahmen könnten sich Folgen ergeben, auch eine Friedensverpflichtung – solle sie repressiv wirken und militärischer Forschung ausschließen? Das halte er für erfolglos und es wirke sich auch auf andere Forschungsbereiche aus. Solle sie ein positives Friedensziel setzen? Das halte er für besser. Die dual-use-Problematik widerspiegele die Untrennbarkeit von ziviler und militärischer Forschung. Es müsse in der Verantwortung der WissenschaftlerInnen selbst liegen, dem wissenschaftlichen Diskurs jedoch auch abverlangt werden. Es müssten positive Aufträge gegeben werden. Er wies auf § 6 Abs. 2 des hessischen Hochschulgesetzes hin
(„(2) Alle an Forschung und Lehre beteiligten Mitglieder und Angehörigen der Hochschulen haben die gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnis mitzubedenken. Werden ihnen Ergebnisse der Forschung, vor allem in ihrem Fachgebiet, bekannt, die bei verantwortungsloser Verwendung erhebliche Gefahr für die Gesundheit, das Leben oder das friedliche Zusammenleben der Menschen herbeiführen können, sollen sie den zuständigen Fachbereichsrat oder ein zentrales Organ der Hochschule davon unterrichten).
Seiner Ansicht nach seien Uni-Leitbilder nützlich, die Definition gemeinsamer Ziele und der Friedensfinalität der Wissenschaft.
Dr. Jaberg wies darauf hin, dass das Problem der Exklusion auch durch positive Zieldefinitionen nicht umgangen werden könne, es stelle sich im Ergebnis immer wieder.
Unter den Teilnehmern waren auch Bundeswehrangehörige z.B. Herr Roland Oestler, Oberstleutnant der Reserve, er wies darauf hin, dass öffentlich gemachte Forschung auch in der Militärforschung verfolgt und genutzt werden könne. Ein Mitarbeiter der Online-Tageszeitung Schattenblick betonte, die Problematik des dual use verschleiere, dass die Finanzierung von Rüstungsforschung die eigentliche materielle Weichenstellung sei. So werde es einen Bavaria Campus bei EADS in München geben, man müsse sich um die Allokation großer Forschungsprojekte und Finanzierungen kümmern. Man müsse mit der Macht des Faktischen rechnen, mit der Drittmittelabhängigkeit, die die Forschungsfreiheit beschränke. Auch die Europäische Union ziele auf industrielle Partner.
Diskutiert wurde weiter ein Anwendungsverbot bzw. eine Lizenzvergabe für Produkte problematischen Nutzens. Es sollten auch Forschungsstellen gegründet werden, die Projekte beobachten und bewerten, sie sollten im Hochschulgesetz verankert werden. Diese Forschungsstelle Zivilklausel (Ethikkommittee) könnte Risiken und Umgang mit wissenschaftlichen Ergebnissen – und zwar nicht beschränkt auf militärische Forschung – untersuchen, die Verwendung der Ressourcen nicht für Kämpfe untereinander, sondern für die Entwicklung der Länder. Dazu müsse ein gestuftes Prüfungsverfahren diskutiert werden.
Ein weiterer Teilnehmer, auch er stellte sich als Bundeswehroffizier, derzeit an der Universität Hamburg, vor, warf ein, dass man Friedens- und militärische sowie Rüstungsforschung nicht gegeneinander stellen solle. Art. 87a GG sehe vor, dass der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufrecht erhalte, dabei dürfe es sich nicht um eine rückständige Armee handeln. Soldaten seien Staatsbürger in Uniform. Er fragte provokativ, ob Professor Stuby auf dem Boden des Grundgesetzes stehe, weil er Art. 87 a GG nicht hinreichend berücksichtige. Die Diskussion führte weiter zu dem Statement, „wenn schon Rüstungsforschung, dann an den Universitäten“.
Konfliktforscher wiesen darauf hin, dass der Gegensatz zivile gegen Militärforschung andere Probleme übergehe, z.B. gentechnisch veränderte Pflanzen, Gentechnik an den Universitäten, Entwicklung von Biowaffen, das seien u.U. gefährliche Forschungsergebnisse, die nicht durch Armeen angewendet würden. Professor Lüthje wies erneut darauf hin, dass die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG bis zur Anwendungsmöglichkeit reiche, die Anwendung selbst unterliege dem Parlament und den Gesetzen, dort könnten Export- oder Herstellungsverbote beschlossen werden.
Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de