Lärm um die Zivilklausel
Gerhard Stuby
Lärm um die Zivilklausel
Man wird den Endruck nicht los, ein Gespenst wie einst der Kommunismus könne Europa bedrohen. Wer den Artikel von Hans-Deltlef Horn liest, Professor für öffentliches Recht an der Universität Marburg, sieht sich in die Turbulenzen der Siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts versetzt.. In „Forschung & Lehre“ der auflagenstärksten hochschul- und wissenschaftspolitischen Zeitschrift Deutschlands“, so die Selbstdarstellung, äußert er diese Befürchtungen. Folgt man ihm, so wäre, wie vormals in Bremen, die rote Kaderschmiede (un)seligen Andenkens, eine „Tendenzuniversität“ nicht weit. Schlimmer ein „antimilitaristischer Reflex gegen eine Wiederkunft von Kriegs- und Rüstungsforschung“ oder ein „Friedensextremismus nach Art eines imperialistischen Pazifismus“ könnte sich breit machen.
Schon richtig: an einigen Universitäten: seit 1986 in Bremen, später in Berlin (TU), Dortmund, Konstanz, Oldenburg und Tübingen haben diese Universitäten in ihren Satzungen festgelegt, daß ihre Mitglieder nur „friedliche Ziele“ verfolgen, also militärische Forschung ausschließen wollen. Einige Universitäten und Hochschulen beabsichtigen, diesem Beispiel zu folgen. 1993 hatte die damalige niedersächsische Landesregierung unter Ministerpräsident Gerhard Schröder eine Zivilklausel in das Landeshochschulgesetz aufgenommen. Sie wurde jedoch 2002 unter Ministerpräsident Sigmar Gabriel wieder gestrichen. Kann man bei etwa 415 Hochschulen, die in der Encyclopädie Wikipedia angegeben werden, von einem „imperialistischen Pazifismus“ sprechen, wenn ungefähr ein Dutzend Hochschulen in ihren Satzungen eine Friedensklausel stipulieren?
Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde?
Eine Verfassungsbeschwerde von Hochschullehrern, die sich in ihrem Individualrecht aus Art. 5 Abs. 3 GG verletzt fühlen und deshalb eine Zivilklausel fürchten, dürfte beim gegenwärtigen Lärm daher niemanden überraschen. Die Versuche nach 1945, die Universitäten zu reformieren, konnte in den meisten Fällen von Antireformern und Technokraten gestoppt werden. Denn die vom Rechtsstaat zur Verfügung gestellten Mittel, sich gegen staatliche Willkür zur Wehr zu setzen, wirken ambivalent. Sie können sich auch gegen gesellschaftlichen Fortschritt wenden. Auch dieses Mal stehen die Chancen, daß derartige Kräfte bis zum ersten, dem zuständigen Senat durchdrängen, nicht schlecht. 2004 jedenfalls hat das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde von Hochschullehrern wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung zugelassen. Ob sie allerdings dann weiterkämen, lässt sich nur schwer prognostizieren.
Zwar haben sich im ersten Senat die politischen Gewichte verschoben. Susanne Baer, die Zuständige für Hochschulangelegenheiten, und Gabriele Britz, mit 42 die jüngste Verfassungsrichterin überhaupt, wie auch bei anderen Mitgliedern ist mit einer gewissen Aufgeschlossenheit zu rechnen; wenn nicht gerade für die Zivilklausel als solche, so doch für die Hochschulautonomie. Sie würden, falls sie diese Tendenz verstärken, dem Trend der bisherigen Rechtsprechung folgen.
Das Bundesverfassungsgericht ist inzwischen nicht nur in Europa zum deutschen Exportschlager gediehen. Das GG hatte ihm ursprünglich eine über dem Gesetzgeber stehende Macht im Gewaltenteilungsgefüge nicht einräumen wollen, weder die des Ersatzgesetzgebers, auf keinen Fall die des Ersatzverfassungsgebers. Diese Tendenz hat sich erst später entwickelt. Bisweilen sollte man daran erinnern, dass Rechtsprechung in der parlamentarischen Demokratie in erster Linie eine korrigierende und nicht so sehr eine rechtsgestaltende Funktion hat. Es ist Aufgabe des Verfassungs- und Gesetzgebers, den Zuständigkeitsbereich eines Grundrechts, hier der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG, zu bestimmen und nicht die des Bundesverfassungsgerichts.
Wie beschrieben, die „Verfassungswirklichkeit“ sieht anders aus. Es ist das Bundesverfassungsgericht, das letztlich den Schutzbereich eines Grundrechts bestimmt. Ob ein Eingriff vorliegt und mögliche Rechtfertigungsgründe für solche und andere Beschränkungen gegeben sind, wird von ihm festgelegt. Daher tut man gut daran, auch für die in Art. 5 Abs. 3 GG festgelegte Wissenschaftsfreiheit zu überlegen – allein um diese rechtliche Fragestellung soll es im Folgenden gehen –, welche Chancen einer Verfassungsbeschwerde derjenigen einzuräumen ist, die sich in ihren Rechten verletzt sehen. Gerade zu diesem Themenkomplex hat sich zudem eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes entwickelt hat. Diese Judikatur beginnt mit dem Urteil zur „Gruppenuniversität“ anhand des Vorschaltgesetzes zum Niedersächsischen Gesamthochschulgesetz (1973). Man sollte nicht vergessen, dass sie diese zwar zuließ. Indem sie der Hochschullehrerbank den „ihrer besonderen Stellung maßgeblichen Einfluß“ einräumte, bewirkte sie scheinbar eine gewisse Rückkehr zur Ordinarienuniversität. Scheinbar deshalb, weil in Wirklichkeit diese Judikatur die Ordinarien letztlich dazu nutzte, ohne dass diese es vielfach bemerkten, die „Vermarktlichung und Vertriebswirtschaftlichung“ in Forschung und Lehre vorzubereiten, wie es Martin Kutscha zurecht bezeichnet. Ich sprach 1970 von „Planung im privaten Verwertungsinteresse“, meinte aber dasselbe. Es folgen die Beschlüsse über die Verfassungsbeschwerden gegen das Hessische Universitätsgesetz, gegen das nordrhein-westfälische Universitätsgesetz und gegen das brandenburgische Hochschulgesetz. Vor allem in dem zeitlich jüngsten Verfahren zum brandenburgischen Hochschulgesetz lässt das Gericht eine deutliche Öffnung in Richtung auf verstärkte Steuerungskompetenzen des Staates erkennen.
Von Humboldt I nach Humboldt II
Man sollte sich aber keinen Illusionen hingeben, auch wenn manche diesen Prozeß der unmittelbaren Öffnung für Interessen der Wirtschaft als unvermeidlichen Übergang von „Humboldt 1 zu Humboldt 2“ bezeichnet. Denn dass der Staat letztlich nicht nur die Interessen des Finanzkapitals durchzusetzen hat, wie wir es in der Finanzkrise erleben, sondern auch die der Rüstungsindustrie wie hier bei der Zivilklausel (mit Blick auf das Gesundheitswesen und für andere Bereiche wäre die Pharmaindustrie zu nennen), müsste jedem aufmerksamen Beobachter klar sein. Es ist nicht nur die Großforschung, auch das Alltagsgeschäft der Universitäten, wird über die Drittmittelforschung (25 HRG z.B.), weitgehend von Gesichtspunkten privater Interessenverwertung bestimmt.
Dennoch die Forderung, ein „hinreichendes Maß an organisatorischer Selbstbestimmung der Grundrechtsträger“ sicherzustellen, die das Bundesfassungsgericht aufstellt, sollte trotz der erwähnten Ambivalenz, die gerade gegen die Zivilklausel in Anschlag gebracht werden könnte, nicht unterschätzt werden. Denn das Individualgrundrecht des einzelnen Hochschullehrers auf seine Wissenschaftsfreiheit, um es zu wiederholen, kann für beide Seiten genutzt werden. Es kann den im Mainstream schwimmenden Wissenschaftler dienen, der sich gegen die Zivilklausel wehrt, weil er zufällig in eine der wenigen sich eine solche Klauseln leistenden Hochschulen verschlagen wurde. Umgekehrt nutzt sie aber auch den kollektiven „Abweichlern und Querköpfen“, denen es gelungen ist, eine Zivilklausel in ihrer Universitätssatzung oder gar im Hochschulgesetz ihres Landes zu verankern. Die Folgen sind allerdings für beide Gruppen höchst unterschiedlich. In einer Universität mit Militärforschung ist der „Abweichler und Querkopf“ zwar ebenfalls auf seine jeweilige nicht bezifferbare Grundausstattung verwiesen. Er kann auch keine Ansprüche auf von den Universitätsgremien, meist auf gesetzlicher Grundlage, verteilten Mittel erheben. Andererseits dürfte es für ihn nicht schwer sein, Drittmittelgeber in einem Forschungsfeld zu finden, das ansonsten vom Drittgrößten Waffenproduzenten weltweit geprägt ist. Erhard Denninger verweist auf die Gefahr, dass durch ein derartiges Drittmittelobjekt die Zivilklausel „unterwandert“ werden könnte. Ob die hier entstehende Kollision durch praktische Konkordanz – so sein Vorschlag – zu lösen ist, mag man bezweifeln. Alles wird vom Verfahren in den Universitäten abhängen, die die Forschungsvorhaben prüfen bzw. über deren Schicksal zu entscheiden haben. Hierauf komme ich nochmals zurück.
Friedensfinalität auf der einen, Verteidigung auf der anderen Seite.
Denninger räumt der „Friedensfinalität“ des GG, die er völkerrechtlich durch den erst 1990 abgeschlossenen 2+4 Vertrag abgesichert sieht, einen hohen Rang in der Abwägung zu anderen Verfassungsgütern ein. Dem ist zuzustimmen. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß der Verfassungsgeber in einer zweiten Schicht später die Landesverteidigung (Art.87a, 115a GG) eingefügt hat, nachdem er sich zuvor allein auf die kollektive Sicherheitssysteme in Europa und der Welt (Art. 24 Abs. 2 GG) verlassen hatte. Akzeptiert hatte er allerdings nur die Verteidigung (Art. 87 a GG). Ob die neue Strategie der NATO mit ihrer Terrorbekämpfung an jedem Ort der Welt damit gemeint war, darf, auch wenn das BVerfG bislang alle Auslandseineinsätze der Bundeswehr abgesegnet hat, muß bezweifelt werden. „Humanitäre Interventionen“ zur Verwirklichung der Menschenrechte ohne Mandat des Sicherheitsrates bleibt völkerrechtswidrig. Der Parlamentsvorbehalt ist bestenfalls ein verfassungsrechtliches Trostpflaster, völkerrechtlich ersetzt er weder Art. 51 UN-Charta noch einen Sicherheitsratsbeschluss gemäß Art. 39 ff. UN-Charta.
Angriffs- und Verteidigungswaffen ließen sich kaum unterscheiden, wird vielfach behauptet. Bei den ABC-Waffen, auf die die Bundesrepublik auf verschiedene Weise völkerrechtlich verpflichtet ist, zu verzichten, ist die Bestimmung ziemlich eindeutig. Aber nicht nur hier sondern auch in anderen Bereichen kann militärische Forschung von ziviler ohne größere Probleme getrennt werden. Schwieriger scheint die Unterscheidung bei sog. dual-use Produkten. Abgesehen, dass das Problem selbst nicht neu ist – besonders eindeutig ist es wie erwähnt bei der friedlichen Kernforschung. Einige Atomphysiker wie z. B. in Bremen während der Anfangsphase der Universität haben daher ganz auf Forschung in diesem Bereich verzichtet. Bekanntlich ist die Kontrolle möglicher Kapazitäten zum Bau einer Atombombe besonders prekär und bis heute nicht geklärt. Hinzukommt, dass insbesondere im Bereich der „Sicherheitspolitik“ absichtsvoll die Grenzen zwischen ziviler und militärischer Sicherheit verwischt werden. Bei einem Projekt der Sicherheitstechnik drängt sich also von vornherein der Verdacht auf, dass es einen relevanten Rüstungsbezug gibt, so dass ein derartiges Projekt mit einer Zivilklausel unvereinbar sein dürfte.
Man kann also durchaus zu der Folgerung gelangen, dass es heutzutage kaum mehr Bereiche gibt, die nicht zugleich zivile und militärische Bedeutung haben. Das gilt für die Medizin- und Pharmaforschung ebenso wie für die Nanotechnologie, Optik, Informations- und Nachrichtentechnik, wie für die Werkstoff-, Laser- und Satellitenforschung oder um ein letztes zu nennen die Robotersystementwicklung. Wenn dem so ist, also der gesamtgesellschaftliche Fortschritt von der Wissenschaft und Forschung abhängt, wie Detlef Horn zu Recht konstatiert, welche Folgerungen sollte man hieraus ziehen? All diese Überlegungen würden aus diesen Gründen übrigens nicht nur für die Rüstungsforschung, sondern zumindest ebenso für andere Bereiche der Forschung gelten. Die Entscheidung dem System „Wirtschaft“ überlassen, dass bewusst „privat“ also „marktwirtschaftlich“ eben „kapitalistisch“ organisiert ist? Oder sollte es nicht der Direktionsbefugnis des Kapitals nach Art. 14 Abs. 1 GG entzogen und in bestimmten Sektoren zumindest dem Art. 15 GG unterstellt also öffentlichrechtlich („in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt“) kontrolliert werden?
Pluralität nicht gefährdet
Bevor man ein derartiges Geschütz auffährt, sind noch andere Möglichkeiten denkbar, vorausgesetzt der politische Wille ist vorhanden. Sowohl ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs.3 GG als auch in Art. 14 Abs. 1 GG durch eine Zivilklausel ließe sich nämlich rechtfertigen. Soll nach Art. 14 Abs. 2 GG .der Gebrauch des Eigentums nicht „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“? Hier wäre eine Gelegenheit, die zur Banalität erstarrte Formel zu revitalisieren.
Wieso sollte also eine Universitätsatzung, die die Universitätsmitglieder auf „friedliche Zwecke“ festlegt, und damit militärische Forschung ausschließen will, sobald dies in einem festgelegten Verfahren evtl. sogar mit einem Schlichtungsmechanismus offenbar wird, nicht möglich sein? Solange an über 400 anderen Universitäten und Hochschulen weiter militärisch geforscht werden kann, ist auch die Pluralität nicht gefährdet. Sollte ein Landesgesetzgeber auf einen solchen Gedanken kommen, dürften dieselben Argumente gelten.
Kommen wir noch einmal zurück auf die Frage eines möglichen Konfliktes zwischen einem auf seinen individualrechtlichen Status pochenden Hochschullehrer und seiner Hochschulleitung. Wie will sich eine Hochschule mit Zivilklausel gegen ihn wehren, vor allem, wenn er Drittmittel der Rüstungsindustrie in Anspruch nimmt? Den umgekehrten Fall – Hochschule mit Militärforschung „wehrt“ sich – kann man weitgehend ausblenden, weil sich hier zumindest die Frage eines Drittmittelprojektes nicht stellt. Hier dürfte der betreffende Hochschullehrer auf seine Grundausstattung verwiesen sein, die er allerdings„mühelos“ mit Drittmitteln aufstocken könnte.
Ob die von Denninger eingeführte Unterscheidung in positive und negatorische Konflikte sehr viel weiterhilft, kann man bezweifeln. Denn in jedem Fall bleibt letztlich die Frage, ob unter Hinweis auf die Zivilklauseln einem Forscher ein Drittmittelprojekt mit militärischer Stoßrichtung versagt werden kann. Auch wenn ein Schlichtungsmechanismus vorgesehen ist, muß diese Frage am Schluß des Verfahrens mit Ja oder Nein beantwortet werden.
Denninger meint sie mit Nein beantworten zu können.
„Doch verlöre die kollektive Entscheidung gegen ‚Rüstungsforschung’ ihren Sinn und ihre Glaubwürdigkeit, wenn in der Körperschaft oder in dem Institut eine staatsfinanzierte militärisch relevante Forschung zwar nicht, eine solche aus Drittmitteln finanzierte, jedoch sehr wohl stattfinden könnte. Es verbietet sich daher, die Zivilklausel durch ein derartiges Drittmittelprojekt zu ‚unterwandern‚ wobei es auf die räumliche Position – innerhalb oder außerhalb der Hochschule – nicht ankommen kann, sofern die Forscher Hochschulmitglieder sind.“
Ob das Bundesverfassungsgericht jedoch bei der Überprüfung einer möglichen Verfassungsbeschwerde dieselbe Ansicht vertritt, ist fraglich. Denn Herzmann, immerhin Assistent von Gabriele Britz in Gießen, hält diese Praxis für unzulässig.
„Greifen Handlungen der Universität hingegen gezielt begrenzend in die individuelle Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ein, die sie doch gerade verteidigen und jedenfalls als grundrechtsverpflichtete staatliche Einrichtung wenigstens achten muss, kann sie sich nicht auf ihre Selbstverwaltungsautonomie berufen. Ein inhaltliches Weisungsrecht oder aber eine wissenschaftsbezogene Inhaltskontrolle ist in solchen Konstellationen grundsätzlich ausgeschlossen. Die Vorgabe einer Zivilklausel ist danach nicht mit universitären Selbstverwaltungsrechten zu rechtfertigen.
Diese Unsicherheit dürfte der Grund dafür sein, dass das Experiment einer Zivilklausel, das das Niedersächsischen Hochschulgesetzte mit Helga Schuchard als Wissenschaftsministerin und Gerhard Schröder als Ministerpräsident vorsah, 2001 von Sigmar Gabriel nicht wiederholt wurde. Die Zeiten haben sich geändert. Das zeigt auch die Bewegung für eine Zivilklausel an den Universitäten. Daß jüngst dieses Projekt in der Bremer Bürgerschaft diskutiert wurde, gibt Anlaß, die Hoffnung nicht ganz aufzugeben.
Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de