Zu „Quo vadis Nato?“ – von Dieter Deiseroth
Fragen und Antworten zum
Bremer Kongress „Quo vadis NATO? – Herausforderungen für Demokratie und Recht“
Die IALANA bereitet zusammen mit zahlreichen Mitveranstaltern einen großen Kongress in Bremen im Jahr 2013 vor. Warum steht dabei die NATO im Mittelpunkt?
Die NATO ist heute das stärkste Militärbündnis der Welt. Von den weltweiten jährlichen Rüstungsausgaben von ca. 1,73 Billionen US-Dollar entfallen ca. 74 % auf die Mitgliedsstaaten der NATO. Sie ist mit überlegenen militärischen Kräften global jederzeit interventionsbereit und einsatzfähig. Teil dieser riesigen weltweit agierenden Militärmaschinerie ist die Bundeswehr, die sich selbst als „Einsatzarmee“ bezeichnet. Politisch und militärisch dominiert wird dieses Militärbündnis von der einzigen verbliebenen imperialen Supermacht, den USA, deren Militärausgaben heute mit über 700 Milliarden US-Dollar weit über denen in der Hochphase des Kalten Krieges liegen. Die USA verfügen nach wie vor über ein weltweites Netz von mehr als 700 Militärstützpunkten in über 140 Staaten, in denen mehrere Hunderttausend Militärangehörige stationiert sind; zehntausende US-Soldaten sind zudem auf US-Kriegsschiffen mit modernsten Hochtechnologiewaffen auf und in allen Weltmeeren präsent. Diese Hegemonialmacht ist freilich nicht unangefochten; sie stößt an ihre Grenzen. Hier bieten sich Ansatzpunkte für Veränderungsprozesse. Zunehmende Proteste aus vielen Teilen der Welt belegen dies. Große Teile der Weltbevölkerung sind politisch erwacht. Sie kommunizieren über das Internet und die neuen Medien und reflektieren zunehmend die Zusammenhänge. Es gibt aber auch interessante neue Debatten innerhalb der außenpolitischen „Eliten“ in den USA.
Deuten sich hier mögliche Veränderungen der Hegemonialmachtstellung der USA an?
Ja, das kann man so sehen. Auf dem Bremer Kongress soll dies u.a. in einer Arbeitsgruppe am Beispiel von Zbigniew Brzezinski diskutiert werden. Er war an der Gestaltung des Kalten Krieges unter mehreren Präsidentschaften, u.a. als Sicherheitsberater von Präsident Carter, aber auch danach sehr einflussreich beteiligt. Jüngst hat er in seinem Buch „Second Chance“ sehr interessante neue Töne angeschlagen und die Strategie der „Neo-Conservatives“ („Neocons“), die in den außenpolitischen Debatten in den USA der letzten Jahrzehnte den Ton angaben, scharf kritisiert. In einem Interview hat er vor kurzem erklärt: „Wir müssen aus unserer Erfahrung lernen, dass der Gebrauch von militärischer Macht unabsehbare Konsequenzen in Gang setzt und zudem sehr, sehr teuer ist. … Wir können nicht länger der globale Polizist sein, denn es wird uns in den Bankrott treiben, innenpolitisch soziale Wut entfachen und international zum Verlust unserer Legitimität führen.“ Und in der Tat: Die westliche Hegemonialmacht zeigt seit Jahren unübersehbare Schwächen -vor allem in ihrer Ökonomie, in ihrer maroden, weil unterfinanzierten Infrastruktur und bei ihren Staatsfinanzen, die 2008 bei Amtsende des Präsidenten George W. Bush auf über 10 Billionen US-Dollar und damit auf ca. 70 % des Bruttoinlandsprodukts von ca. 14 Billionen US-Dollar angewachsen waren. In der bisherigen Amtszeit von Präsident Barack Obama sind sie weiter dramatisch gestiegen. Dies wird u.a. dazu führen, dass die Hegemonialmacht von ihren Bündnispartnern verstärkt eine größere Beteiligung an ihren finanziellen Lasten („burden sharing“) im Rüstungs-und Militärbereich, aber auch ein stärkeres Engagement bei der Wahrnehmung ihrer globalen Führungsrolle im „gemeinsamen Interesse aller“ einfordern wird („partnership in leadership“). Deshalb steht dies auch auf der aktuellen politischen Agenda der NATO. Viele in den politischen Eliten in Deutschland hören dies sehr gerne. Auf dem Bremer Kongress sollen diese Themen in einigen Arbeitsgruppen (u.a. „Neue geostrategische Konzepte“; „NATO als Global Player und das Völkerrecht“; „Der neue Anti-Raketen-Schirm der NATO in Europa“) diskutiert werden.
Was ist der aktuelle politische Hintergrund des zentralen Tagungsthemas „Quo vadis NATO – Herausforderungen für Demokratie und Recht“?
Als der „Kalte Krieg“ 1990 zu Ende war und sich der Warschauer Pakt mit seiner Hegemonialmacht Sowjetunion auflöste, folgte nicht die an sich logisch gebotene spiegelbildliche Konsequenz der Auflösung auch der NATO. Und dies, obwohl die jahrzehntelange Rechtfertigung des NATO-Bündnisses entfallen war, im Ost-West-Konflikt für Abschreckung vor einem kommunistischen Angriff durch ein „Gleichgewicht des Schreckens“ zu sorgen und damit einen konventionellen oder gar thermo-nuklearen Krieg zu verhindern. Der Gegner war abhanden gekommen. Stattdessen wurde das NATO-Bündnis bereits seit den frühen 1990er Jahren mit neuen Aufgaben versehen. Dies war ein längerer Prozess mit unterschiedlichen Phasen und unterschiedlichen Begründungsstrategien. Heute ist die NATO zu einem weltweit operationsfähigen Einsatz-und Interventionsbündnis umgebaut. Das gilt auch für die Bundeswehr, die in diesem Prozess aktiv involviert ist.
Wie kam das zustande?
Von großer Bedeutung war eine Veränderung der öffentlichen Debatten in den politischen und militärischen Führungszirkeln und Stäben, in der Friedensbewegung und in zahllosen intellektuellen Diskursen sowie damit korrespondierend auch in den Medien. Das Thema „Medien als Kriegspartei und das Recht“ steht deshalb auch auf der Agenda einer wichtigen Arbeitsgruppe des Bremer Kongresses. Diese Debatten innerhalb der NATO und auch bei uns in Deutschland waren von durchaus sehr unterschiedlichen Motiven und Interessenlagen bestimmt. Menschenrechte und ihr Schutz durch Militärinterventionen spielten dabei eine wichtige Rolle; dies soll deshalb auch im Mittelpunkt des ersten Abends der Bremer Tagung stehen, zu dem auch Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière eingeladen worden ist; außerdem wird sich Prof. Eugen Drewermann am letzten Kongresstag damit befassen („Ethik, Menschenrechte und militärische Gewalt“). Wegmarken in Deutschland waren zunächst u.a. die Forderung nach „humanitären Einsätzen“ etwa zum Brunnenbohren und zur Verbesserung der Versorgungslage in Somalia oder anderen Krisenbereichen, Einsätze zur Verhinderung Übergriffen auf die Zivilbevölkerung und von „Flüchtlingsströmen“, später Joschka Fischers „Nie wieder Ausschwitz“, Gerhard Schröders „bedingungslose Solidarität mit den USA“ nach 9/11 und dann Peter Strucks „Wir verteidigen unsere Sicherheit auch am Hindukusch“. Inzwischen heißt es seit dem Lissaboner Gipfeldokument der Staats-und Regierungschefs vom November 2010 ganz offiziell, „die Sicherheit“ der NATO-Staaten hänge in wachsendem Maße ab von „lebenswichtigen Kommunikations-, Transport-und Transitlinien, auf denen der internationale Handel, die Energiesicherheit und der Wohlstand beruhen“ (Ziff. 13). Das ist die kaum verklausulierte Absichtserklärung des nach eigener Einschätzung „stärksten Militärbündnisses der Welt“, auch die wirtschaftlichen Interessen seiner Mitgliedsstaaten wahrnehmen zu wollen, und sei es mit militärischen Mitteln. Der damalige Bundespräsident Horst Köhler sagte es in einem Interview mit dem Deutschland-Radio am 22. Mai 2010 noch unverblümter:
„Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Alles das soll diskutiert werden, und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg. … Aber es wird wieder Todesfälle geben, nicht nur bei Soldaten, möglicherweise auch durch Unfall mal bei zivilen Aufbauhelfern. Das ist die Realität unseres Lebens heute, wo wir einfach zur Kenntnis nehmen müssen: Es gibt Konflikte. Man muss auch um diesen Preis sozusagen seine am Ende Interessen wahren.“ (Quelle: http://www.dradio.de/aktuell/1191138/).
Welche konkreten Ansatzpunkte gibt es für Gegenstrategien, insbesondere für diejenigen, die auf die Maxime „Frieden durch Recht“ setzen? Was ist die „Philosophie“ des Bremer Kongresses?
Zentrales Ziel der Veranstalter ist es, die Militärpolitik und die reale Praxis des NATO-Militärbündnisses an Hand von aktuellen Brennpunkten auf den rechtlichen Prüfstand zu stellen und zu fragen: Ist das, was die NATO und ihre Mitgliedsstaaten planen, finanzieren und in ihrer Praxis im Bereich von „Krieg und Frieden“ tun, mit dem geltenden Recht, insbesondere mit dem Friedensgebot des Grundgesetzes und der UN-Charta vereinbar? Wenn nein, wie kann man sich dagegen wehren? Wie kann jedenfalls sichergestellt werden, dass deutsche Stellen nicht weiterhin an solchen Rechtsbrüchen mitwirken oder diese ermöglichen? Bedarf es dazu neuer rechtlicher Regelungen -mit welchem konkreten Inhalt? Welche kompetenten Beiträge können Juristinnen und Juristen mit ihrem berufsspezifischen „know how“ dabei leisten?
Worauf beziehen sich diese kritischen Fragen zur Beachtung des geltenden Völkerrechts konkret?
Die maßgeblichen Entscheidungsträger der USA, sie freilich keineswegs allein, begehen bei ihrem weltweiten imperialen Agieren vielerorts und augenscheinlich weithin sanktionslos schwere Völkerrechtsbrüche. Die anderen NATO-Staaten sitzen dabei in vielfachen Rollen mit im Boot. Da ist zuvörderst zu nennen: Die USA wie auch die anderen Nuklearmächte verweigern sich fortlaufend weiterhin, ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung aus Art. VI des Atomwaffensperrvertrages zur unverzüglichen Aufnahme von Verhandlungen in redlicher Absicht über eine nukleare „Nulllösung“ zum frühestmöglichen Zeitpunkt nachzukommen. Das betrifft auch Deutschland, das entgegen den Vorgaben in Art. II dieses völkerrechtlichen Vertrages „nukleare Teilhabe“ praktiziert, Atomwaffenträger besitzt, deren Einsatz bis heute trainiert und die sie in den nächsten Jahren sogar modernisieren will. Einige weitere Stichworte aus der jüngsten Vergangenheit: Der Aggressionskrieg gegen Irak im Jahre 2003, an dem sich neben der Hegemonialmacht USA auch andere NATO-Staaten unter Bruch u.a. des NATO-Vertrages beteiligt haben; er verstieß eklatant gegen die UN-Charta. Das US-Lager Guantanamo auf Kuba ist nach wie vor existent; Kuba wird die Rückgabe dieses ihm 1903 kolonial entzogenen Territoriums vorenthalten; dort kam es jedenfalls in der Ära Bush wiederholt zu Folterungen und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen; den dortigen Insassen werden rechtsstaatliche Gerichtsverfahren nach wie vor verweigert. CIA-Renditions-Aktionen im Rahmen des „Kriegs gegen den Terror“ führten auch in Deutschland und in anderen europäischen Staaten zu schweren Menschenrechtsverletzungen; Regierungen involvierter Staaten verweigern sich der Aufklärung dieser Vorfälle oder behindern diese bis heute. Im Irak und in Afghanistan wurden bei militärischen Einsätzen vielfach die Regeln des humanitären Völkerrechts insbesondere gegenüber der Zivilbevölkerung, aber auch gegenüber Gefangenen, missachtet. Weltweit verüben „special forces“ von NATO-Mitgliedsstaaten gezielte Tötungen auch von Nicht-Kombattanten, zunehmend mit Hilfe militärischer Drohnen und von Killerautomaten. Die in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend veränderte Haltung der USA zum geltenden Völkerrecht ist dabei irritierend. Denn es waren die USA mit ihrer langen demokratischen Tradition und ihren großen historischen Verdiensten u.a. bei der Zerschlagung des NS-Regimes und bei der Durchsetzung einer parlamentarischen Demokratie in Deutschland, die gerade etwa bei der Gründung des Völkerbundes (1919) und des (Ständigen) Internationalen Gerichtshofs, der Etablierung des Briand-Kellogg-Paktes (1928) und bei der Schaffung der UN und der UN-Charta von 1945, aber auch in vielen anderen Bereichen Großes für das Völkerrecht geleistet haben. Erfreulich ist, dass es freilich auch ein „anderes Amerika“ gibt, nicht nur in der dortigen Friedens-und Bürgerrechtsbewegung, sondern gerade auch unter vielen amerikanischen Juristinnen und Juristen. IALANA kooperiert dabei eng mit ihrer US-Partnerorganisation vom „Lawyers Committee on Nuclear Policy (LCNP)“ und profitiert von ihrem globalen Engagement.
Mit welchen Argumenten kann man dieser offenkundigen Krise des Völkerrechts entgegentreten? Was heißt dies konkret für Deutschland?
Zu dem auch in Deutschland nach wie vor geltenden Völkerrecht, an das nach Art. 20 Abs. 3 GG alle staatlichen Organe gebunden sind, gehört u.a. auch der „Vertrag über die Ächtung des Krieges“ (Briand-Kellogg-Pakt) vom 27.8.1928, dem Deutschland wirksam beigetreten ist. Zu seinen Vertragsparteien zählt Deutschland bis heute. Deshalb ist der Briand-Kellogg-Pakt auch zu Recht in der vom Bundesjustizministerium herausgegeben aktuellen Sammlung der für Deutschland geltenden völkerrechtlichen Verträge nach wie enthalten. Dieses Abkommen sieht völkerrechtlich bindend vor, dass die Vertragsparteien „den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen“ und auf ihn „als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten.“ Es kann und darf nicht länger hingenommen werden, dass ungeachtet dieses klaren Verbots des Krieges „als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle“ und „als Werkzeug nationaler Politik“ die Entwicklung – auch in Deutschland – in eine gegenteilige Richtung geht.
Deutschland hat sich zudem im 2+4-Vertrag im Zuge der Wiedervereinigung 1990 völkerrechtlich bindend verpflichtet, „dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird“ (Art. 2). Das war Geschäftsgrundlage für das Ende des Kalten Krieges und das Ende der Teilung Deutschlands. Außerdem hat Deutschland in diesem zentralen Vertrag die völkerrechtliche Selbstverpflichtung abgegeben, „dass das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.“ Vor diesem normativen Hintergrund werden auf dem Bremer Kongress zahlreiche besonders aktuelle Brennpunkte der NATO-Politik in mehreren Arbeitsgruppen und Foren diskutiert. Es geht darum, Gegenstrategien und möglichst konkrete Ansätze zu entwickeln, um dazu beizutragen, der „rule of law“ in den internationalen Beziehungen und bei der Lösung von Konflikten zum Durchbruch zu verhelfen oder, wie es manche (u.a. der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher) formuliert haben, von einer „Herrschaft des Stärkeren“ zu einer „Herrschaft des Rechts“ zu kommen. Wichtige Themenfelder der Tagung sind daher u.a. die Praktiken „gezielter Tötungen“ mit militärischen Drohnen und Killerautomaten; die rechtliche Aufarbeitung der von einem Bundeswehroffizier befohlenen Luftangriffe auf die Tanklastzüge bei Kundus; Strategien und Gegenstrategien des Cyberwar; Auswirkungen einer zunehmenden Privatisierung des Militärs in wichtigen NATO-Staaten; neue Anti-Raketensysteme und ihre destabilisierenden Folgen.
Das Kongressthema bezeichnet die Entwicklung der NATO auch als eine „Herausforderung für Demokratie“. Was ist damit gemeint?
Militärische Einsätze müssen nicht nur verfassungs-und völkerrechtskonform sein. Sie bedürfen auch hinreichender demokratischer Legitimation. In unseren von den grundlegenden Ideen und Forderungen der Aufklärung geprägten modernen westlichen Verfassungsstaaten – das gilt auch für die EU – muss alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen und vom demokratischen Souverän legitimiert sein. Das im Grundgesetz in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Demokratiegebot ist nach Art. 79 Abs. 3 GG selbst für den verfassungsändernden Gesetzgeber unantastbar. Es hat besondere Relevanz für das Verhältnis von Gesetzgeber und Exekutive in der Außen-und Sicherheitspolitik. Der große Aufklärer Immanuel Kant hatte in seiner 1795 erschienenen epochalen Schrift „Vom Ewigen Frieden“ formuliert:
Erst wenn „die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, ‚ob Krieg sein solle oder nicht’, so ist nichts natürlicher, als dass, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müssten (als da sind: selbst zu fechten; die Kosten des Krieges aus ihrer eigenen Habe herzugeben; die Verwüstung, die er hinter sich lässt, kümmerlich zu verbessern; zum Übermaße des Übels endlich noch eine, den Frieden selbst verbitternde, nie <wegen naher immer neuer Kriege> zu tilgende Schuldenlast selbst zu übernehmen), sie sich sehr bedenken werden, ein solch schlimmes Spiel anzufangen.“
Hinter Kants Anforderungen an die demokratische Legitimierung jedes kriegerischen Einsatzes bleibt unsere Staatspraxis weit zurück. Das deutsche Parlamentsbeteiligungsgesetz ist zwar ein wichtiger Fortschritt. Es hat jedoch Mängel, die eine hinreichende parlamentarische Kontrolle des Militärs nicht garantieren. Hinzukommt, dass der letzte NATO-Gipfel im Mai 2012 in Chicago übereingekommen ist, eine Diskussion über „nationale (parlamentarische) Einsatzvorbehalte“ zu beginnen, die es in Deutschland, aber auch bei mehreren anderen Verbündeten gebe.
Was ergibt sich daraus für Deutschland?
In Deutschland ist diese Forderung zwischenzeitlich aufgenommen worden, vor allem seitens der CDU/CSU. Vor allem zwei Argumente sind es, die für eine Änderung des deutschen Parlamentsbeteiligungsgesetzes gegenwärtig vorgebracht werden: Der „Parlamentsvorbehalt“ für prinzipiell jeden bewaffneten Einsatz deutscher Soldaten im Ausland mache Deutschland in wichtigen Bereichen innerhalb der NATO „bündnisunfähig“. Ferner stehe er dem Aufbau einer gemeinsamen EU-Sicherheitsarchitektur mit gemeinsamen EU-Streitkräften entgegen und sei deshalb „europafeindlich“. Beides könne sich Deutschland nicht leisten. Diese Fragen sollen auf dem Bremer Kongress am Samstagnachmittag Thema einer speziellen Arbeitsgruppe sein, zu der auch Parlamentarier aus unterschiedlichen Fraktionen eingeladen sind. Ein Parlamentsbeteiligungsgesetz reicht freilich nicht aus, um den Forderungen des großen Aufklärers Immanuel Kant gerecht zu werden, deren ideengeschichtliche Entwicklung und aktuelle Bedeutung für eine stärkere Demokratisierung der Außen-und Sicherheitspolitik deshalb auf dem Bremer Kongress Thema eines besonderen Vortrages (Prof. Lothar Brock) sein werden. Aber es geht vor allem auch um eine Stärkung der Einflussmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger. Denn die Transparenz und die demokratischen Partizipationsrechte sind insbesondere bei der Entscheidung über Militäreinsätze und mögliche Alternativen bis heute in unseren westlichen Verfassungsstaaten nach wie vor recht gering. Auch das Grundgesetz weist insoweit große Defizite auf. Hier besteht ein großer rechtspolitischer Reformbedarf. Können und sollen etwa die Auskunfts-und Akteneinsichtsrechte nach den Informationsfreiheitsgesetzen erweitert werden? Bedarf es neuer Strukturen der Entscheidungsvorbereitung sowie der politischen Willensbildung, um in Krisensituationen und Konfliktfällen über alternative Konzepte kompetent und sachkundig (mit-)entscheiden zu können? Können „plebiszitäre Elemente“ (Volksbefragung, Volksbegehren, Volksentscheide) oder andere Mitwirkungsformen (z.B. „Social Media“, „Liquid Democracy“) von Nutzen sein? Auch dies wird in einer speziellen Arbeitsgruppe mit sachkundigen Referenten diskutiert und evaluiert.
Warum sollte man/frau an dem Kongress teilnehmen? Welche Möglichkeiten bestehen, sich einzubringen und aktiv mitzuwirken?
Der Kongress zielt nach dem Konzept der Veranstalter primär auf uns als Anwältinnen und Anwälte, als Juristinnen und Juristen in Universitäten und Hochschulen, Parlamenten, Verwaltungen, Staatsanwaltschaften, Verbänden, Redaktionen sowie als Richterinnen und Richter an Gerichten. Die Tagung richtet sich aber auch an diejenigen, die sich noch in ihrer Ausbildung befinden. Sie soll mit ihren in einer pluralistischen Streitkultur er- und verarbeiteten Informationen und Argumentationshilfen von Nutzen sein bei unserer juristischen Tätigkeit und bei unserem politischen Engagement in Bürgerinitiativen, Parteien, Berufsvereinigungen sowie bei Kontakten mit der Politik und den Medien, aber auch in privaten und sozialen Zusammenhängen, die für die Meinungs-und Überzeugungsbildung („peer groups“) zu aktuellen Konflikten besonders wichtig sind. Und auch die interessierte Öffentlichkeit ist willkommen. Die zentrale Perspektive des Kongresses ist, die mannigfaltigen rechtlichen Bezüge insbesondere des Friedensgebots des Grundgesetzes und der UN-Charta in unserer beruflichen und in unserer politischen Arbeit zu erkennen und zu erarbeiten sowie mit einer praktischen und anwendungsbezogenen Perspektive vorhandene oder neu zu entwickelnde Instrumentarien operabel zu machen. Dazu bestehen auf dem Bremer Kongress nach dem Konzept der Veranstalter vielfache Gelegenheiten: in Plenarveranstaltungen, in Arbeitsgruppen, in Foren sowie im fruchtbaren informellen Meinungs- und Erfahrungsaustausch während und am Rande der Einzelveranstaltungen.
Was soll das Ergebnis des Kongresses sein und ist er „auf Nachwirkungen“ angelegt?
Ärztinnen und Ärzte sind gemäß dem von ihnen abgelegten „hippokratischen Eid“ der Erhaltung des Lebens verpflichtet -und gerade nicht der Krankheit und dem Tod. In durchaus vergleichbarer Weise sind nach meiner Überzeugung Juristinnen und Juristen als Rechtsanwender nach den Vorgaben der UN-Charta und des Grundgesetzes der Erhaltung und Sicherung des Friedens und damit der Lösung von Konflikten ohne militärische Gewaltanwendung verpflichtet -nach innen wie nach außen. Für Ärzte/innen wie für Juristen/innen kann und darf es dabei kein „Sowohl-als-auch“ geben. Man kann und darf jedenfalls im nuklearen Zeitalter nicht dem Frieden und zugleich dem Krieg und dessen Vorbereitung verpflichtet sein. „Friedensstaatlichkeit“ muss – ebenso wie „Rechtsstaatlichkeit“ und „Demokratie“ -erkämpft und immer wieder verteidigt werden. Dazu bedarf es des erforderlichen know hows, hinreichender Informationen und der persönlichen Bereitschaft zum Engagement. Das kostet Zeit, aber auch Geld. Deshalb leisten auch diejenigen, die wegen starker anderweitiger beruflicher, familiärer oder persönlicher Belastungen und Verpflichtungen sich darauf beschränken müssen, friedensrechtliche Aktivitäten „lediglich“ finanziell durch ihre Mitgliedsbeiträge und ihre Spenden zu unterstützen, dennoch einen unverzichtbar wichtigen Beitrag. Das sollte man nicht unterschätzen und kleinreden. Die Tagungsergebnisse sollen nach dem Konzept der Veranstalter auf der Grundlage von Berichten der „Rapporteure“ ausgewertet und zusammen mit den überarbeiteten Beiträgen der Referentinnen und Referenten in einem Tagungsband (oder mehreren) zusammengestellt und publiziert werden, der über den Buchhandel und die Bibliotheken, aber zum Teil auch über das Internet allgemein zugänglich sein wird. Die Veranstalter hoffen, dass dies – neben den auf dem Kongress erzielten persönlichen Erkenntnissen und gewonnenen Erfahrungen ¬eine nachhaltige Hilfe für alle diejenigen sein wird, die sich für Demokratie und Recht gerade auch im Bereich von „Krieg und Frieden“ engagieren und engagieren wollen.
Dieter Deiseroth
Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de