Neue Entwicklungen der NATO- Strategie
„Neue Entwicklungen der NATO- Strategie“ Die NATO und die Atomwaffen
Dr. med. Lars Pohlmeier
International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW)
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
Unser Platz als Ärzte in sicherheitspolitischen Debatten ist immer da, wo das scheinbar abstrakte Thema ein das Gesicht von Menschen erhält. Neben den wichtigen juristischen Fragen rund um das nukleare Verteidigungsbündnis NATO geht es am Ende um ein zutiefst humanitäres Anliegen. Klarer formuliert: Es geht ums Überleben.
Wo stehen wir?
In Europa besitzen Frankreich und Großbritannien Atomwaffen. Die USA haben in Europa bis zu 480 taktische Atomwaffen. Die genaue Zahl ist geheim. Atomwaffen sind in Belgien, Deutschland, den Niederlanden, der Türkei und derzeit noch Italien stationiert – also in Ländern, die offiziell als Nicht-Atomwaffenstaaten gelten und dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten sind.
Diese Atomwaffen gehören unter US-Kommando, können aber im Ernstfall von europäischen Piloten und Flugzeugen eingesetzt werden. Dies geschähe im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“, über die alle NATO-Mitglieder in die Planung eines Atomkriegs eingebunden sind.
Drei Jahre nach dem ermutigenden überparteilichen Bundestagsbeschluß vom März 2010 ist spätestens seit dem NATO-Gipfel in Chicago 2012 klar, in welche Richtung die Verteidigungsstrategie gehen soll. Die USA haben die Absicht, ihre B61-Bomber zu modernisieren, damit diese bis in die 2. Hälfte des 21. Jahrhunderts hinein einsatzbereit sind. Was öffentlich euphemistisch als „Life-Extension-Program“ verkauft wird, ist technisch die Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten von Atomwaffen. Aber das ist nur die Spitze des Eisberges, denn das gesamte US-Atomarsenal soll modernisiert werden. Dieses Zugeständnis hat US-Präsident Obama den Republikanern im Zuge der START-Verhandlungen gemacht.
Über die Jahre hat sich sowohl die Zahl der Lagerorte für Nuklearwaffen in Europa als auch die Zahl der Staaten, die aktiv mit Flugzeugen bei der nuklearen Teilhabe mitmachen, immer weiter verringert. Geschlossen wurden in den letzten zehn Jahren Tomwaffenlager mehreren europäischen Ländern.
Aber das kann vor dem Hintergrund der jüngsten Beschlüsse nicht täuschen. Tatsächlich geht es ungebremst um Fragen atomarer Hochrüstung.
Diese fatalen Entscheidungen sind in ihren Auswirkungen nicht abstrakt. Für uns IPPNW-Ärzte bedeuten sie einen Notfall.
Was heisst das? Worüber reden wir?
Wir gehen zurück in die Geschichte an einen Ort, den ich vor wenigen Monaten zum ersten Mal selbst besucht habe: Hiroshima. Im August 1945 lebten ca. 350.000 Menschen in der Stadt. Die Atombombe explodierte in 580 Metern Höhe Die Explosionskraft der Atombombe entsprach 13 Kilotonnen TNT.
In einem Umkreis von 0,5 Kilometer um den ‚Ground Zeroʼ waren 90 Prozent der Menschen sofort tot. Die Temperatur am Hypozentrum betrug für etwa eine Sekunde ca. 3.000-4.000 Grad Celsius. Zum Vergleich: Der Siedepunkt von Eisen beträgt 3.070°C. An dieser Stelle verdampfte alles. Menschen, die sich im Explosionszentrum aufhielten, verbrannten vollständig und hinterließen in einigen Fällen ihre Schatten an stehen gebliebenen Hauswänden, die sie für einen Moment von der Hitzestrahlung abgeschirmt hatten.
Eine ungeheure Druckwelle, die auch im Umkreis von 40 Kilometern wahrgenommen wurde, zerstörte die Stadt. Es folgten Feuerstürme mit Windgeschwindigkeiten von über 250 km/h und Bodentemperaturen von über 1.000 Grad Celsius. Glas und Eisen schmolzen, der Asphalt brannte. Bis zum Ende des ersten Tages starben nach konservativen Schätzungen mindestens 45.000 Menschen. In den nächsten Monaten stieg die Zahl der Todesopfer auf 136.000, und bis heute erkranken und sterben Menschen an Krebs infolge der Verstrahlung.
Aber die Geschichte war am mit dem 6. August 1945 nicht zu Ende. Mich hat am meisten die Geschichte eines Vaters bewegt, der am 6. August 1945 vergebens auf sein Töchterchen wartete. Tag für Tag ging er immer wieder zu dem Bushaltestelle -in der Hoffnung, seine Mädchen würden doch noch heimkommen. Bis heute lebt das Trauma fort.
Die IPPNW hat jüngst Untersuchungen veröffentlicht, die die globalen Klimafolgen zeigen im Fall eines z.B. „regional begrenzten“ Atomkrieges, z.B. zwischen Indien und Pakistan. Hunderte Millionen von Menschen wären weltweit durch Klimaveränderungen vom Hungertod bedroht. Selbst ein „begrenzter Atomkrieg“ beträfe die Ärmsten der Armen, viele davon in Regionen weit weg vom eigentlichen Schlachtfeld.
Und vergessen wir nicht: Die Hiroshima-Bombe hat nichts, aber auch gar nichts gemein mit dem unvergleichlich viel stärkerem Zerstörungspotential heutiger -ich sage bewußt nicht „moderner“) Atomwaffen.
Medizinische Hilfe, das sage ich Ihnen als Arzt, ist undenkbar im Einsatzfall.
Und die NATO ?
„NATO is committed to the goal of creating the conditions for a world without nuclear weapons – but reconfirms that, as long as there are nuclear weapons in the world, NATO will remain a nuclear Alliance.“
Diese Formulierung in der der NATO-Atomwaffenstrategie ist irreführend. Mit der -ohne Not -Festlegung auf den Erhalt der atomaren Verteidigung auf Dauer wird die NATO selbst zum wesentlichen Hindernis für erfolgreiche Abrüstung weltweit.
Wir selbst allerdings müssen uns ankreiden lassen, daß wir es in der öffentlichen Wahrnehmung bislang nicht geschafft haben, deutlich zu machen, daß es eine Verpflichtung Atomwaffenstaaten nicht zur Reduzierung sondern zur Abschaffung der Atomwaffen gibt.
Einige der Fragen die uns auf NATO-Ebene in der nächsten Zeit bewegen werden.
Wie weiter mir Trident in Großbritannien:
Die britische Regierung will Atomwaffen für mindestens die nächsten 50 Jahren beibehalten. Dennoch wird das Trident-II-System, das 1994 in Betrieb genommen wurde, ca. 2025 aus dem Betrieb genommen werden müssen.
Die Entscheidung über einen Ersatz musste daher bis zum Jahr 2010 fallen, da es sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, ein neues System aufzustellen. Die Kosten der britischen beschlossenen Modernisierung beläuft sich laut Greenpeace auf etwa zu 100 Milliarden Euro. Neben der Kostendebatte vor dem Hintergrund der Wirtschaftsprobleme wird auch die Frage der möglichen Unabhängigkeit Schotlands interessant. Wenn Schottland durch das anstehende Referendum unabhängig wird, hat das natürlich auch Konsequenzen für die britische Atomwaffen-Basis in Faslane/Schottland.
Die Finanzierungsprobleme der NATO:
Die ebenfalls in Finanznöten steckenden USA haben die defacto den Anteil an der Finanzierung der NATO von 63 Prozent 2001 auf etwa 75 % erhöht, schreibt die NYT. Nur die USA, GB und Griechenland zahlen die geforderten 2 Prozent Anteil am Brutto-Sozialprodukt in die Kasse. Frankreich hat angekündigt, seinen Anteil ab 2014 auf 1,3 Prozent zu reduzieren. Die USA geben 4.8 Prozent ihres BSP für das Militär aus.
Ein Wahnsinn, wenn man bedenkt, wie die NATO enorme Ressourcen verschlingt, die nicht in andere kooperative Sicherheitssysteme investiert werden können.
Für uns in Deutschland wichtig und aktuell:
In Deutschland sind weiterhin 20 Atomwaffen in Büchel stationiert. Der Abzug der Atomwaffen muß erreicht werden als sichereitspolitisches Signal.
Von einem ihrer angeblich wichtigsten außenpolitischen Ziele hat sich die aktuelle Bundesregierung verabschiedet: dem Abzug der US- Atombomben aus Deutschland. Die US-amerikanischen Waffen werden im Land belassen. 250 Millionen Euro sollen ausgegeben werden, um Tornado-Kampfflugzeuge, von denen die US-Atombomben im Kriegsfall abgeworfen werden sollen, noch bis zum Jahr 2024 einsatzfähig zu halten.
Aber diese Entscheidung muß geändert werden. Wenn die NATO ein Zusammenschluß souveränder Einzelstaaten ist, dann müssen wir in Deutschland erzwingen, daß mit dem Abzug aller amerikanischer Atomwaffen aus Deutschland ein sicherheitspolitisches Signal gesetzt wird.
Wenn die NATO ein Bündnis souveräner Einzelstaaten ist, dann muß dieser Abzug durch eine souveräne Bundesrepublik durchgesetzt werden.
Ausblick:
UK-Premier David Cameron wird dieser Tage von der BBC so zitiert wird:
„My judgement is that it would be foolish to leave Britain defenceless against a continuing, and growing, nuclear threat.“ Ist das nicht erschütternd?
Der Glaube an die Sinnhaftigkeit einer atomaren Verteidigung ist mehr als eine Pseudo-Religion. Es besteht fast eine Art krankhafte Abhängigkeit innerhalb der NATO, wie leider auch bei den anderen Atomaffenstaaten.
Die NATO ist wie ein schwer alkoholkranker Patient, der im Vollrausch anderen das Trinken verbieten will. Das kann nicht funktionieren.
Die NATO mag historisch mit zu einer transatlantischen Einheit geführt haben, die innerhalb dieser Gemeinschaft friedensstiftend gewesen sein mag. Das aber zu sagenhaft hohen Kosten.
Die NATO muß sich fragen lassen, ob sie nicht nach außen mit ihrer zutiefst unmoralischen und inakzeptablen atomaren Militär-Doktrin genau die demokratische Freiheitswerte beleidigt, die sie zu schützen vorgibt und defacto einer weiteren Nuklearisierung der Welt Vorschub leistet.
Natürlich müssen unsere eigenen NATO-Atomwaffen in wie auch immer zu gestaltenden Gesprächen über atomare Abrüstung in die Verhandlungsmasse eingehen -und zwar frühzeitig. Sich aber immer wieder festzulegen, noch als letzte Atomwaffen besitzen zu wollen, hintertreibt ernsthafte atomare Abrüstungsbemühungen.
Die Atomwaffen-Staaten der NATO haben im vergangenen Dezember ihre Teilnahme an der UN- Konferenz zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten abgesagt. Die Konferenz ist daraufhin abgesagt worden. Auch die Teilnahme bei einer internationalen Konferenz auf Einladung der norwegischen Regierung in Oslo im März 2013 zu Fragen der humanitären Folgen von Atomwaffeneinätzen wurde verweigert. Mehr als 130 Regierungen waren in Oslo vertreten und haben einen Gesprächsprozeß verabredet, der in Mexiko noch in diesem Jahr fortgeführt werden soll. Die Atomwaffen-Staaten waren nicht dabei. Die NATO-Länder Großbritannien, Frankreich und USA waren nicht dabei. Dennoch war für mich in Oslo ermutigend die Teilnahme von mehr als 500 überwiegend junge Menschen auf dem Osloer Civil Society Congress im Vorfeld der Regierungstagung.
Weitgehende, ja wohl grundsätzliche Veränderungen müssen auf NATO-Ebene erreicht werden, um einen substantiellen Friedensbeitrag zu leisten. Nach mehr als 20 Jahren politischer Arbeit in der IPPNW bin ich nicht so vermessen zu glauben, daß das leicht sein wird. Aber dass auch unter den bestehenden politischen Ramenbedingungen die Abschaffung der Atomwaffen innerhalb der NATO-Stasten als zentraler Beitrag globaler Abrüstung und Abschaffung der Atomwaffen weltweit möglich ist, und zwar in einem überschaubaren engen Zeitrahmen, davon bin ich überzeugt.
Es ist unbedingt notwendig.
Vielen Dank.
Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de