9/11, die NATO und der Krieg
9/11, die NATO und der Krieg
Paul Schreyer 07.07.2013
Eine hochrangig besetzte Konferenz in Bremen war ein neuer Versuch, über 9/11 auf akademischer Ebene zu diskutieren
Eine kritische Diskussion zu den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem kurz danach erklärten NATO-Bündnisfall steht weiterhin aus. Nun hat erstmals eine hochrangig besetzte Juristen-Konferenz das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Auch im Lichte der NSA-Lauschangriffe, die offiziellen Angaben zufolge der Terrorabwehr dienen, gewinnt die Debatte an Brisanz.
Während sich die Kommentatoren noch uneinig sind, ob Whistleblower Edward Snowden nun als Verräter der USA oder doch als Held westlicher Bürgerrechte einzuordnen ist, scheint es zugleich einen breiten Konsens darüber zu geben, dass die geheimdienstliche Rundum-Überwachung zumindest vor drohenden Terroranschlägen schützt. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang die sogenannte „Sauerland-Zelle“ erwähnt, deren Treiben 2007 erst durch den US-Geheimdienst aufgedeckt worden war – gerade noch rechtzeitig vor einem möglichen Anschlag.
Unerwähnt bleibt dabei freilich, dass der Lieferant jener Bombenzünder damals ein Geheimdienstspitzel mit CIA-Kontakten war, und dass der Vordenker der Zelle von deutschen Diensten zuvor als V-Mann geführt wurde (Ferngelenkte Terroristen?). Eine Konstellation, die der amerikanische Journalist Trevor Aaronson in seinem aktuellen Buch „The Terror Factory“ nun als Muster entlarvt hat. Er fand heraus, dass fast die Hälfte aller Terror-Ermittlungsverfahren des FBI seit 9/11 auf der Vorarbeit von Spitzeln beruhten, von denen viele erst mit großen Geldbeträgen vom FBI zur Terrorplanung bewegt wurden.
Im Ergebnis dient jeder (verhinderte) Terroranschlag zugleich als Rechtfertigung für stetig wachsende Behördenapparate, für Überwachung, Kontrolle und nicht zuletzt militärische Interventionen im Ausland. Der Ruf nach Aufklärung ist in diesem Zusammenhang von deutscher Regierungsseite selten zu vernehmen. Einzig Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger lässt Sorge um das Wuchern und die Ambivalenz der vermeintlich schützenden Geheimdienste erkennen – und fordert die Einhaltung klarer rechtlicher Grenzen.
„Quo vadis NATO? – Herausforderungen für Demokratie und Recht“ lautete in diesem Sinne auch der Titel einer Tagung, die in diesem Frühjahr an der Universität Bremen stattfand. Ausdrücklich hatten die Veranstalter der „International Association of Lawyers against Nuclear Arms“ (IALANA) auch Fragen zu 9/11 mit ins Programm genommen hatte. Es ging unter anderem um die bislang fehlende öffentliche Aufarbeitung der juristischen Kontroversen rund um 9/11 und den NATO-Bündnisfall, also um die Kriegserklärung der NATO auf Basis eines ungeklärten Terroranschlags.
Das Spektrum der Vortragenden war breit und hochrangig. Zu den mehr als 50 Referenten gehörten unter anderem Dr. Hans-Christof Graf von Sponeck, ehemaliger Beigeordneter des UN-Generalsekretärs, Prof. Dr. Christopher Weeramantry, ehemaliger Vizepräsident des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, Dr. Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, Wolfgang Nescovic, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, sowie Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg.
Fragen zum Bündnisfall
Kaum weniger spannend war die Liste der Referenten, die eine Teilnahme abgesagt hatten. Zur Podiumsdiskussion „Der NATO-Bündnisfall – Rechtliche Nachfragen“, die einen Schwerpunkt der Konferenz bildete, erschienen nach Angaben der Veranstalter nicht:
Frank-Walter Steinmeier, 1999-2005 Chef des Bundeskanzleramtes (Terminschwierigkeiten)
Ludger Volmer, 1998-2002 Staatsminister im Auswärtigen Amt (nach eigener Auskunft fehlende Bereitschaft, sich für die Entscheidung der damaligen Bundesregierung Kritik anzuhören)
Kerstin Müller, 2002-2005 Staatsministerin im Auswärtigen Amt (Terminschwierigkeiten)
Rudolf Scharping, 1998-2002 Bundesverteidigungsminister (Nichtbeantwortung der Einladung)
Eine Debatte der Legitimität des NATO-Bündnisfalls ist den damals direkt Verantwortlichen erkennbar unangenehm. Führte diese Entscheidung doch auf direktem Wege die Bundeswehr nach Afghanistan. Begründet wurde der Bündnisfall damals damit, dass die Anschläge von 9/11 „von außerhalb der USA“ gekommen seien – eine Erklärung, die bis heute in Zweifel steht. Denn die entführten Maschinen waren allesamt Inlandsflüge, die mutmaßlichen Attentäter hatten vorher lange Zeit in den USA gelebt, und eine Verantwortung des in Afghanistan residierenden Osama bin Laden wurde nie juristisch relevant nachgewiesen – worauf bereits in der Vergangenheit auch Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, öffentlich hingewiesen hat.
Die These der Terrorplanung in Afghanistan stützt sich bis heute im Wesentlichen auf die Aussagen in Geheimgefängnisse verschleppter und dort gefolterter Gefangener, wie Abu Subaida, Ramzi Binalshibh und Khalid Sheikh Mohammed.[1] Deren Aussagen wurden nie von einem unabhängigen Gericht überprüft, nicht einmal die Ermittler der offiziellen 9/11 Commission hatten Zugang zu den vermeintlichen Kronzeugen, wie selbst der Abschlussbericht der Kommission einräumt.[2]
Zum Zeitpunkt der Erklärung des Bündnisfalls im Oktober 2001 hatte der damalige NATO-Generalsekretär George Robertson schlicht verlauten lassen, es sei nicht notwendig, dass die USA Beweise über die Hintermänner vorlegten. Es reiche aus, wenn die Regierung in Washington mitteile, dass die Anschläge im Ausland organisiert worden seien.
Die weiterhin in Bremen diskutierten Themen lauteten unter anderem: „Militärische Interventionen zum Schutz von Menschenrechten?“ (mit Prof. Reinhard Merkel), „Gladio und die Strategie der Spannung“ (mit dem Schweizer Historiker Dr. Daniele Ganser), sowie „Neue Geostrategische Konzepte der USA und die NATO“ (mit dem Geschichtsphilosophen und Publizisten Hauke Ritz).
Erstmals in einem solchen Zusammenhang gab es auch einen Themenblock „Historischer Faktencheck zur Debatte um 9/11“. Aber auch zu diesem Thema erreichten die Veranstalter vor allem Absagen der angefragten Referenten. Sowohl Prof. Bernd Greiner vom Hamburger Institut für Sozialforschung, als auch Elmar Theveßen, Redaktionsleiter und Terrorexperte des ZDF, kamen nicht nach Bremen – obwohl beide erst kürzlich umfangreiche Bücher zu 9/11 veröffentlicht hatten.
Die Referenten zum „Faktencheck 9/11“ waren letztlich der Historiker und Journalist Dr. Florian Huber, bekannt als Autor von Spiegel-TV-Dokumentationen, unter anderem des Films „Der 11. September – Die wahre Geschichte“, der 2010 zur Prime Time im ZDF gesendet worden war[3], sowie der Autor dieses Textes.
Dr. Huber schilderte in seinem Vortrag den Inhalt dieses Films. Er interpretierte den Erfolg des Anschlags als Geheimdienstversagen und führte dieses auf eine institutionelle Konkurrenz zwischen den Diensten zurück, konkret auf eine Männerfeindschaft zwischen John O’Neill vom FBI und Michael Scheuer von der CIA. Am Schluss seines Papiers stellte Huber diese These jedoch, anders als in seinem ZDF-Film von 2010, wieder in Frage:
Sind für dieses fatale Versagen institutionelle Gegensätze, Revierkämpfe, Rivalität und Ego- Kollisionen ausreichende Erklärungsmuster? Oder deutet das Versagen der Dienste doch eher auf den „inside job“, der die Anschläge zuließ?“
Mein eigener Vortrag nahm, darauf folgend, die Entstehungsgeschichte der 9/11 Commission, sowie die Beweislage zur Verantwortung Bin Ladens und der 19 mutmaßlichen Flugzeugentführer in den Blick. Auch das Versagen der Luftabwehr und die Rolle des Militärmanövers „Vigilant Guardian“ wurden kurz thematisiert.
In der anschließenden Podiumsdiskussion erklärte Dr. Huber, dass der 9/11 Commission Report innerhalb der Spiegel-Gruppe schon seit Jahren als weitgehend diskreditiert gelte. Schriftlich teilte ich Huber dazu nach der Konferenz mit, dass mich diese Aussage überrascht habe, da der Commission Report im politischen und medialen Mainstream nach wie vor als glaubwürdige und seriöse Grundlage der Berichterstattung zu den Anschlägen behandelt wird. Dazu Huber:
Wie ich auf dem Kongress sagte: 2009, als ich meine Recherchen aufgenommen habe, galt der Report zumindest in der Spiegel-Gruppe als diskreditiert. Man hielt ihn für ein eher peinliches Dokument der Bush-Regierung. (…) Es sind im Report Fehler und Auslassungen unterlaufen, weswegen er meines Erachtens nicht das Prädikat „Abschlussbericht“, sondern eher ein „mangelhaft“ verdient. Ich selber habe für unseren Dokumentarfilm den 9/11 Commission Report nicht in die Hand genommen. Das heißt aber nicht, dass alles darin falsch sein muss.
Daraufhin hakte ich nach, weshalb diese Zweifel von den Kollegen beim Spiegel denn nie öffentlich gemacht worden seien – und welche Aussagen des Reports überhaupt konkret angezweifelt würden. Dr. Huber ließ das unbeantwortet, erwiderte aber, dass im Spiegel durchaus kritisch über den Report berichtet worden sei. Auf Nachfrage konnte er das allerdings nicht belegen.
Dies aber führt zum Kern des Problems: Offenbar gibt es einen Konsens unter Journalisten von Leitmedien wie dem Spiegel, dass der 9/11 Commission Report keine glaubwürdige Quelle ist, ohne dass diese Überzeugung jedoch konkret sachlich, und vor allen Dingen öffentlich, begründet wird.
Die Aussage des Spiegel TV-Mannes, er selbst habe für seine Recherchen zu 9/11 den Abschlussbericht der Untersuchungskommission nicht einmal zur Kenntnis genommen, ist darüber hinaus an sich problematisch. Denn der Commission Report ist das Ergebnis der anderthalbjährigen Arbeit einer 80-köpfigen Expertengruppe. Es gibt weltweit keine vergleichbar gründliche Untersuchung der Anschläge.
Der Report ist und bleibt eine unschätzbare Quelle für jeden Rechercheur. Vieles erklärt er richtig und in beeindruckender Gründlichkeit – nur eben nicht die Verantwortung von Bin Laden für die Anschläge, und auch nicht deren konkrete Planung! Das eben ist es, was man an ihm kritisieren kann – und auch muss. Denn weiterhin dient der Report als letztes rechtfertigendes Argument. Auch das deutsche Auswärtige Amt verweist bei Fragen zur Legitimität des NATO-Bündnisfalls weiterhin auf ihn als finales Beweismittel.
Auslassungen des Commission Report
Bei aller berechtigten Kritik gab es innerhalb der 80-köpfigen Mannschaft der 9/11 Commission dennoch hervorragende Ermittler, wie zum Beispiel Michael Jacobson oder Dana Leseman, die wegen ihrer Hartnäckigkeit gefeuert wurde (Behinderte Ermittlungen). Und auch im zehnköpfigen Leitungsgremium der Commission gab es engagierte Aufklärer, wie den renommierten Anwalt Richard Ben-Veniste.
Der Vorsitz selbst, den nach Henry Kissingers Rückzug Thomas Kean und Lee Hamilton übernahmen, war hingegen vor allem an einem politischen Konsens interessiert. Und der Executive Director Philip Zelikow hat teilweise die Ermittlungen seiner Mitarbeiter behindert, dabei heimlich zum Weißen Haus Kontakt gehalten und wesentliche Zusammenhänge vertuscht. Schlüsselthemen wie ‚COG‘ (der Notfallplan für ‚Continuity of Government‘), ‚Able Danger‘, ‚WTC 7‘ oder das am 11. September stattfindende Militärmanöver ‚Vigilant Guardian‘ wurden von der Kommission erst gar nicht untersucht.
Das ist die zweite große Kritik vieler Rechercheure. Denn ‚COG‘ beispielsweise ist der Schlüssel zur verdeckten Ausnutzung der Anschläge durch die Regierung. ‚Able Danger‘ wiederum ist der Schlüssel zur Unterwanderung von Al-Qaida durch die CIA vor 9/11. ‚WTC 7‘ ist der Schlüssel zum Verständnis des Zusammenbruchs der Türme. ‚Vigilant Guardian‘ schließlich ist der Schlüssel zum Versagen der Luftabwehr, und zum Verständnis der Funktionsweise der Anschläge insgesamt. Alle vier Punkte sind bis heute im Wesentlichen unaufgeklärt. Entscheidende Details bleiben geheim.
Der Versuch, die Integrität der eigenen Arbeit durch Distanzierung vom Commission Report zu bewahren, greift aber auch grundsätzlich zu kurz. Denn praktisch jeder Experte der sich im Mainstream zu 9/11 äußert – auch der renommierte Autor Lawrence Wright oder Jean-Charles Brisard, die im ZDF-Film von Florian Huber interviewt wurden – bezieht sich direkt oder indirekt auf die amtliche Darstellung des Commission Report zur Planung der Anschläge. Dieser tatsächliche Kern der 9/11-Story, das sei noch einmal betont, basiert aber auf den berichteten Aussagen von Abu Subaida, Ramzi Binalshibh und Khalid Sheikh Mohammed, Männern die in Geheimgefängnissen gefoltert wurden und zu denen reguläre Ermittler nie Zugang hatten.
Schweigen und Zensur
Jeder, der sich aber vernünftigerweise auch davon distanziert, kann somit erkennen, dass die offizielle Story einem Kartenhaus gleicht, das längst zusammengebrochen ist. 9/11 ist im Kern ein unaufgeklärtes Verbrechen. Was weiterhin niemand laut sagen will. Das Schweigen dazu ist tatsächlich allgegenwärtig – und ohrenbetäubend.
Die Konferenz in Bremen war ein neuer Versuch, hier auf akademischer Ebene voranzugehen. Doch die Debatte dazu steht offenbar auch nach 12 Jahren immer noch ganz am Anfang. Dabei wird man ohne eine Aufklärung gerade auch der juristischen Umstände von 9/11 kaum rational über die heutige Rolle der Geheimdienste diskutieren können.
Sinnbild für all die Widersprüche und Vertuschungen bleibt der Prozess gegen die 9/11-Verdächtigen in Guantánamo, zu dem der „Spiegel“ kürzlich fragte: „Wie transparent und demokratisch ist ein Verfahren, das nur ausgewählte Zuschauer verfolgen dürfen, umgeben von Soldaten?“ Bereits Anfang des Jahres hatte die „Washington Post“ berichtet, dass eine „unsichtbare Hand“ nach Belieben Ton und Bild der Übertragung aus dem hermetisch abgeschotteten Gerichtssaal abschaltet – worauf nicht einmal der Vorsitzende Richter Einfluss hatte, geschweige denn, dass er davon wusste.
Man fragt sich unwillkürlich, vor welchen Enthüllungen die Zensoren wohl solche Angst haben.
http://www.heise.de/tp/artikel/39/39432/1.html
Quelle: Online-Zeitung Schattenblick, www.schattenblick.de